60 Tänzer, 140 Schüler, 75 Mitarbeiter: Das Ballettzentrum ist ein Kosmos für sich. Katja Engler stellt die Menschen vor, ohne die er nicht funktionieren würde – vom Ballettmeister bis zum Küchenchef.
Was in Shakespeares’ „Kaufmann von Venedig“ der Rialto war, wo jeder jeden traf, ist im Ballettzentrum das Treppenhaus. Die Stiegen sind breit, der Fußboden schwingt leicht, Licht scheint von allen Seiten – viel Raum, um sich zu finden: Das vordere Treppenhaus ist eine vertikale Piazza. Die Internatskinder kommen mit ihren Ranzen auf dem Rücken aus der Schule und begegnen den Tänzern der Compagnie, die gerade ihr Vormittagstraining hinter sich haben und in dicken Wärmestiefeln über die Stufen schlurfen. Hier steigen die externen Ballettschüler hinauf zum Training, ebenso Pianisten und Ballettmeister, kleine und fast erwachsene Eleven.
Ein solcher Treffpunkt ist auch die Kantine, einer jener Orte, denen man mit ihrer Patina und den betagten Möbeln ansieht, dass auch im Ballettzentrum dieser weltberühmten Compagnie jeder Cent umgedreht werden muss. Hier ist der italienische Gruppentänzer Sasha Riva gerade vom Mittagstisch aufgestanden, raus aus der Ecke mit dem bunten Sofa, auf dem seine Mittänzer sich herumfläzen. Er bringt seinen Teller weg: „Hier ist doch alles total super“, findet er. „Eine Struktur wie diese, mit so vielen Möglichkeiten, ist schon sehr selten.“
Der Tag beginnt früh, das erste Leben regt sich um kurz vor sieben. Pförtner Herbert Heidrich, der in seiner Freizeit Ballettszenen und surreale Landschaften mit rätselhaften Schachfiguren malt und mit seinen Bildern die Kantine geschmückt hat, ist noch nicht da. Nur Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ liegt in seiner kleinen Loge, zugeklappt. Später wird er erzählen, warum er hier seit acht Jahren so gern arbeitet, „mit einem Lächeln im Gesicht“.
Auch oben im Internat, im zweiten Stock, wo 34 Kinder geschlafen haben, tut sich langsam etwas. Gähnend schlurfen sie in einen der Waschräume, über den neuen Flauschteppich des breiten Flurs, wo sie am frühen Abend umherliegen, quatschen, sich dehnen oder auf ihrem Smartphone spielen. Unten in der Kantine haben die ersten angefangen zu frühstücken. Möhren, Paprika, Joghurt – der Besuch der Ernährungsberaterin hat seine Spuren hinterlassen, aber es gibt auch frische Brötchen, Käse, Wurst und Marmelade. Eine sehr traurig vor sich hinblickende Asiatin sitzt hier, Betty und Isabella, die große Anastasia aus der Ukraine und der kleinere Amerikaner Christian. Rebecca aus München rückt ihre Breitrandbrille zurecht: „Ich sehe Nasti und Christian den ganzen Tag, sie sind wie meine Geschwister. Wir gehen zusammen in dieselbe Schule.“ Trotzdem seien die Internatserzieherinnen „nicht wie unsere Mutter. Aber jeder hier hat seine Lieblingserzieherin. Das schon!“ In der Schule, da fühle sie sich manchmal bestaunt „wie ein Tier im Zoo. ,Was? Ihr trainiert sechsmal die Woche?‘, werden wir gefragt“. Vom Sportunterricht sind sie alle befreit: Wegen des Ballettschul-Trainings haben sie in der Schule fünf Wochenstunden weniger, und wenn sie früher losmüssen, versuchen sie, den Lernstoff nachzuarbeiten.
Nur mit dem Heimweh sei es am Anfang schlimm gewesen, und manchmal, da hat Isabella auch überlegt, ob sie mit dem Ballett aufhören und zurück nach Hause soll. Aber nach den Ferien ging es wieder besser. Für solche Krisen, die fast jedes Internatskind durchmacht, sind Frauen wie Yasemin Cacmak da, die lieb und warmherzig mit den Kindern umgehen. Sie hat selbst drei Kinder, arbeitet hier seit zehn Jahren und hat die vergangene Nacht auf dem schmalen Bett im Aufenthaltsraum verbracht. Dort, wo alle Erzieherinnen schlafen, wenn sie Nachtdienst haben, für jedes Kind erreichbar: „Das Internat ist meine zweite Wohnung. Die Kinder hier behandele ich wie meine eigenen.“ Beim Schichtwechsel tauschen sich die Erzieherinnen aus über Kummer und Krankheit, darüber, wer zu spät zur Schule gekommen ist und wer neue Schuhe braucht.
Schlimm werde es, wenn einer der jungen Ballettschüler verletzt oder krank sei. „Oft kommt dann noch das Heimweh dazu“, sagt Internatsleiterin Ulrike Oergel. Normalerweise aber hätten die Kinder „die Kraft der drei Herzen. Gerade vor der Zimmerzeit, vorm Schlafengehen. Dann ist das hier wie auf Klassenreise.“
Alle, die hier mehr oder weniger verschlafen frühstücken, gehen gleich zur Schule. Für Internatskinder aus Asien, den USA oder Australien ist das Ballettzentrum fast das ganze Jahr über ihr Zuhause, sie sind auch nachts, am Wochenende und in kürzeren Ferien hier, weshalb der Küchenchef Torsten Fröhling dann ernährungsphysiologisch ein Auge zudrückt, wenn es Herzenswünsche zu erfüllen gilt, die zu Hause die Mama brutzelt: „Anna wünscht sich Pfannkuchen. Ganz viele!“ steht auf dem Wunschzettel.
Am Frühstücksraum und der vollgequalmten Raucherkemenate vorbei geht es durch einen dunklen Flur. Eine Tür führt in die Waschküche, weiter vorn hängt die lange Pinnwand, auf der mit Bangigkeit die jeweilige Besetzung für die Aufführungen in der Staatsoper erwartet wird. Hier fließen Tränen, springt man sich vor Freude um den Hals oder ballt die Faust in der Tasche. Hier entscheidet sich, wer auf der großen Bühne eine ersehnte Rolle tanzen darf und wer leider weiter an sich, der Technik und dem perfekten Ausdruck arbeiten muss.
Um die Ecke herum ist der gesamte Flur mit langen Containern vollgestellt. Kostüme, 150 Paar Spitzenschuhe, Schläppchen, Trainingsklamotten und Kulissenteile sind drin, sie werden schon jetzt in die USA verschifft, wo erst Wochen später das nächste Gastspiel stattfindet. Der technisch-künstlerische Koordinator Vladimir Kocic und Roland Behnke vom Transport-Team der Staatsoper verschnaufen kurz auf einer der Kisten, dann müssen sie weitermachen mit dem Verladen.
Die Tourneemanagerin Rachel Gimber einen Stock höher weiß genau, was in jedem der Container drin ist. Sie muss das Organisieren im Blut haben. „Ich habe eine Vorliebe für Excel-Tabellen“, gesteht sie fröhlich. Deshalb habe sie auch Kulturmanagement studiert, nachdem sie früher Beleuchterin, Inspizientin und Regieassistentin gewesen war. Sie koordiniert so gut wie alles: Visa, Pässe, Technik, Dokumente für den Zoll, Transport, Logistik. Zwölf Seecontainer wurden an diesem Vormittag verladen. Das Hamburg Ballett geht auf Amerika-Tournee, „Liliom“ wird in Costa Mesa getanzt, der „Sommernachtstraum“ in San Francisco und die „Dritte Mahler“ in Chicago.
Rachel Gimber bespricht die Auf- und Abbaupläne der Theater und koordiniert alles mit den technischen Leitern. Trotzdem gehe immer irgendetwas schief, „man versucht, alles zu bedenken, aber dann kommt der Punkt, wo ich nur noch reagiere. Dabei trainiere ich immer noch Gelassenheit.“ Sie sei dafür da, dass „die Tänzer sich außer um das Tanzen um möglichst wenig kümmern müssen. Man muss für die alle hier kämpfen.“
Die Pässe, die seien ein ganz großes Thema beim Hamburg Ballett. Entweder sie wurden aus Versehen gewaschen, sind verloren, mitten auf der Tournee zerrissen oder abgelaufen. Davon kann Rachel Gimber ein Lied singen. Dann telefoniert sie sich wie eben die Finger wund, spricht mit Konsulaten und Botschaften, und manchmal steigt sie auch in den Flieger, um noch alles rechtzeitig an den Start zu holen. Man glaubt ihr sofort, wenn sie sagt: „Ich kann sehr deutlich werden.“
Vor jeder Tournee reist sie zu den Auftrittsorten, sucht geeignete Hotels und ermittelt, ob es einen Swimmingpool gibt, worüber die Tänzer immer froh sind. Sie fragt ab, wo man nach 23Uhr noch etwas Gutes zu essen bekommt, denn Tänzer treten mit leerem Magen auf. In den ausgewählten Hotels muss man sich wohlfühlen können, die Wege zum Theater oder Restaurant müssen kurz und sicher sein. Rachel Gimber schreibt immer ein Reiseheft, das sie allen beim Tourneestart in die Hand drückt – mit praktischen Tipps.
Während die rührige Tourmanagerin plaudert, hat Herbert Heidrich in seiner Pförtnerloge alles im Blick. Er ist ein stiller Mensch, der jetzt zu schwärmen beginnt: „Ich liebe dieses Haus. Die Atmosphäre, die Menschen – das passt einfach, es ist wie eine Symbiose.“ Vor mehr als 20 Jahren hat Herbert Heidrich von seiner Malerei gelebt, „irgendwann war das verschüttet. Die Arbeit hier hat mich wieder freigeschaufelt.“ Als er angefangen habe, „war für mich Ballett etwas, was kein Mensch braucht. Mittlerweile bin ich allerdings ein faszinierter Beobachter und Entdecker.“ Inzwischen sind die Tänzer an ihm vorbeigezogen, droben wird schon wieder trainiert. Auch John Neumeier ist da, er erarbeitet mit dem Bundesjugendballett eine neue Choreografie.
Das Training ist ansonsten getrennt für Schüler und Compagnie, jüngere und ältere Schüler, Frauen und Männer. Außerdem finden ständig Proben statt. Eineinhalb Stunden muss jeder hier trainieren, anschließend folgen fünf Stunden Proben. Männer trainieren mehr Beinarbeit und Sprünge, und erstaunlicherweise hat sich die Erste Solistin Silvia Azzoni zu ihnen an die Stange gestellt. „Ich brauche heute etwas Klares, Stringentes“, erklärt sie später. Beim Männertraining findet sie das eher, denn Tänzerinnen üben mehr Armführung, Drehungen, Haltung, mehr Feinarbeit.
Da die Compagnie permanent auftritt, müssen die aktuellen Ballette ständig geprobt werden, denn John Neumeiers Choreografien sind sehr komplex und riskant, sobald nicht alles mit traumwandlerischer Sicherheit geschieht. Tänzerinnen lassen sich von oben in die Tiefe stürzen und werden sicher aufgefangen, sie werden herumgewirbelt und wechseln den Partner im Sprung und in der Drehung. All das ist nur möglich mit fast blindem Vertrauen, wenn jeder weiß, was er tun muss, und das auch perfekt beherrscht. Ballett ist eben die einzige Verbindung zwischen Kunst und Leistungssport.
Häufig unverzichtbar ist die Anwesenheit von Sonja Tinnes bei den Proben. Sie hat beim Londoner Royal Ballet das Handwerk der Choreologin gelernt und bezeichnet sich als „Gedächtnis“ von John Neumeier. Jeden Schritt, jede Armhaltung hat sie mit einer speziellen Schrift in ihren Büchern notiert, die alle sortiert in Schränken bereitstehen. Wenn während der Proben Zweifel auftreten über Bewegungsabläufe oder choreografische Details, kann Sonja Tinnes aushelfen. Auch sie malt in ihrer Freizeit, ihre Tänzerporträts zieren ebenfalls die Kantinenwände.
Schräg gegenüber von ihr logiert die Leitung. Die stellvertretende Direktorin Ulrike Schmidt hat sich weg vom vollen Schreibtisch zum Essen in die Kantine gesetzt. Seit 1991 ist sie hier, als Managerin des Ganzen. „Bei mir landet alles Negative“, lacht sie, eine Frohnatur. Sie ist die Feuerwehr, wenn es kriselt, gravierende Dinge nicht klappen, sie plant mit dem Ballettdirektor die Premieren und verhandelt weltweit mit Theatern über Gastspiele, Kosten, Zeiträume. „Wir machen alles gemeinsam hier. Aber man muss sich auch aushalten. Ich hatte immer ein Leben außerhalb des Ballettzentrums. Und ich brauche auch eine räumliche Distanz. Sonst kann ich meinen Job nicht gut machen.“ Vier bis sieben Gastspiele gibt das Hamburg Ballett weltweit im Jahr, „und obwohl die Zeiten schwierig sind – Paris und Athen beispielsweise leiden unter Kürzungen –, kommt sofort etwas anderes. Wir haben so viele Anfragen, dass wir gar nicht alle wahrnehmen können.“
In der etwas finsteren Kantine hat sich Küchenchef Torsten Fröhling die Schürze abgebunden. Sein Team umfasst 16 Leute, er beliefert auch umliegende Kindergärten, „sonst bricht für uns in den Sommerferien und wenn die Compagnie auf Tournee ist, ja alles weg“. Der Anfang sei, gelinde gesagt, etwas holprig gewesen. Hier sei es nämlich nicht so wie in normalen Kantinen. Deutsches Essen sei nicht so gefragt.
Die Balletttänzer, die alle auf ihre Linie achten müssen, sind Komponenten-Esser, sie stellen sich alles selbst zusammen, und darauf geht Torsten Fröhling längst gelassen ein. Fettarme Gänsekeulen glänzen einladend hinter dem Tresen, drei verschiedene kohlenhydratreiche Beilagen, diverse Gemüse und eine ansprechende Salatbar mit einem äußerst leckeren Avocado-Salat.
Tänzer, flüstert schon Ulrike Schmidt, sind manchmal angespannt und unausgeglichen. So kann es passieren, dass sie ihren Frust am Kantinenpersonal auslassen. „Dann sind wir hier die Prellböcke“, sagt Fröhling gleichmütig. „Aber man muss Verständnis haben. Es sind Künstler, und kein Tag ist wie der andere. Ich will das hier nicht mehr missen.“
Wieder oben angekommen, wendet sich ein großer, schlanker Mann von seinem Drehstuhl. So lange wie er hier arbeitet, hat er im Prinzip „alles mitgemacht. Ich war Solist, Assistent und bin heute Ballettmeister und für die künstlerische Koordination zuständig.“ Eduardo Bertini sieht sich von der ersten oder zweiten Reihe aus jede (!) Ballettvorstellung genau an, auch wenn John Neumeier selbst da ist. Hinter der Bühne ist er dann für die komplizierte Verbeugungsordnung zuständig.
Er ist der Seismograf des Ensembles, er bemerkt Krisen als Erster, und dann „muss man spüren, ob die Probleme, die ein Tänzer hat, physischer oder psychischer Natur sind. Manchmal muss man leider auch ein bisschen hart sein. Wenn man hier zu viel loslässt, fällt alles zusammen. In der Kunst gibt es keine Demokratie. Der Beste muss die großen Rollen tanzen.“ In anderen Städten studiert Eduardo Bertini den „Nussknacker“ von John Neumeier ein, „Romeo und Julia“, „Sommernachtstraum“, „Schwanensee“ oder „Die Kameliendame“.
Ohne die gute Fee aber, ohne Monika Brandt, eine kampferprobte Physiotherapeutin mit rauer Stimme und geradem Blick, würde das Hamburg Ballett innerhalb kürzester Zeit Riesenprobleme bekommen. Sie beschreibt sich als Krankenschwester, Heilpraktikerin und Pilatestrainerin, in Wahrheit ist sie Kummerkasten, Frau Doktor und Mama in einer Person. Seit 32 Jahren arbeitet sie für die Compagnie, und sie liebt ihren Job so, dass sie sogar ihr Mittagessen im nicht gerade geräumigen Behandlungsraum einnimmt, die Tür immer im Blick: „Hast du Pflaster für mich?“, fragt gleich darauf eine humpelnde Asiatin und zeigt auf ihre geschundenen Füße, an denen eine Blase blutet. Viele Tänzerinnen kleben wegen des schmerzlichen Spitzentanzens alle Zehen mit Pflastern zu, aber auch das führt auf Dauer zu gereizter Haut. Gleich darauf kommt eine zweite herein: „Moni, mir ist schlecht.“ Tanzen ist kein Zuckerschlecken, Tanzen bedeutet täglichen Kampf mit technischen und körperlichen Grenzen und: Schmerzen. Aber Tanzen füllt eben auch die Seele mit der größtmöglichen Euphorie, die man in den Augen jedes glücklichen Tänzers glitzern sieht. Die Erste Solistin Silvia Azzoni sagt dazu: „Ich lebe für den Tanz, das ist meine Leidenschaft und Berufung, denke ich. Damit alles schön und leicht aussieht, muss man natürlich manchmal ein wenig leiden.“
Monika Brandt schnellt von ihrem Stuhl hoch. Pflaster, Medizin – sie hat fast immer, was gerade gebraucht wird. In ihrer riesigen Badewanne mit Unterwassermassage kommt der verkrampfteste Tänzer mit den härtesten Muskeln wieder zu sich, und wenn nicht, dann hilft eine Fangopackung. Bei angeschlagenen „Wackelkandidaten“ ist sie zur Stelle, auch abends vor und während der Vorstellung. Auf sämtlichen Gastspielen ist sie mit großer Tasche und trockenem Humor im 24-Stunden-Dienst und handelt nach der goldenen Regel: Die, die Hauptrollen tanzen, haben Vorrang. „Zehn am Tag“ ist ihr offizielles Behandlungssoll, „in echt 20“, nuschelt sie herüber. Sie hat keine Kinder, dafür mehrere Ehen hinter sich: „Ich bin hier auch Mama. Und das finde ich schön so.“
Das Ballettzentrum wird an diesem langen Tag erkennbar als ein Ort, wo alles ineinandergreift, wo das eine logisch aus dem anderen hervorgegangen ist und alle miteinander verbunden sind, wo der kleinste Ballettschüler den Ersten Solisten bei allen Proben zusehen kann, wo jeder Schüler dabei sein darf, wenn John Neumeier eine neue Choreografie entwickelt. Und wo viele Menschen im Hintergrund aufopferungsvoll dafür sorgen, dass der ganze große Apparat reibungslos funktioniert. Nur so ist der enorme Erfolg, der internationale Aufstieg des Hamburg Balletts zu erklären. Er ist das Ergebnis jahrelanger harter (Überzeugungs-)Arbeit und des Festhaltens an dem Traum, nicht nur mit Menschen zu arbeiten, die das künstlerische, körperliche und technische Potenzial dafür haben. Sondern auch Bedingungen für die Arbeit zu schaffen, die alle Kräfte für den Tanz bündeln.
Hingabe. Was für ein intimer, was für ein riskanter Begriff. „Ich bin sicher, dass es für die Institution Hamburg Ballett wichtig war, dass ich so lange hier geblieben bin, so kontinuierlich gearbeitet habe, mich der Compagnie und der Schule hingegeben habe“, sagt John Neumeier.
Ja, ohne seine Beharrlichkeit, mit der er seine Vision verwirklicht und dafür Partner in Politik und Gesellschaft gesucht hat, gäbe es das alles wohl nicht. Immer wieder betont der Ballettchef mit Recht, er könne in New York, Paris, London mit tollen Compagnien arbeiten. „Aber was ich nicht überall machen kann, ist mit Geduld und Durchsetzungsvermögen (...) eine Institution aufzubauen, die so gut organisiert ist und von einer solchen Qualität, dass dieser Ort auch ohne mich eine Zukunft hat.“ Wenn aber auch nur einer hier, der viel Verantwortung trägt, Dienst nach Vorschrift schieben würde, dann würde dieser Kosmos des Tanzes schnell in sich zusammenfallen.
Das Abendessen ist vorbei, lauter müde Kinder schleppen sich hinauf. Bettruhe für die Elfjährigen ist um 20.30 Uhr, die Ältesten, die 17-Jährigen dürfen bis 23 Uhr aufbleiben. Zum Lesen oder Schlafen klettern sie in ihre Etagenbetten in Zweier-, Dreier- und Viererzimmern. In einem riecht es nach Süßigkeiten, woanders nach Schweißfüßen – wie zu Hause eben. Aber auch ein bisschen wie auf einer Klassenreise.