Unternehmen haben den Kunden als Produzenten entdeckt. In der Holsten-Brauerei in Hamburg können Laien ihr eigenes Bier brauen, bei Hachez kann sich jedermann als Chocolatier probieren.

Um eine Probe aus dem Läuterbottich aufzufangen, benutzt Rüdiger Weck einen Bierbecher aus Plastik. Die gelbe, lauwarme Flüssigkeit darin schmeckt allerdings höchst eigenartig, nach Getreide und sehr, sehr süß.

Das Gebräu hat ein zwar gewöhnungsbedürftiges, jedoch unvergleichliches Aroma. Nicht viele Leute haben das Glück, einmal Würze zu probieren, sagt Weck.

Der Braumeister ist seit sechs Jahren bei Holsten und führt in der seit Juni geöffneten „Brauwelt“ Bierseminare durch. Ihm steht eine Mikrobrauerei von 1985 zur Verfügung, die ehemals zur Forschung und Entwicklung genutzt wurde, die Anlage ergibt rund 70 Liter Bier.

Während eines achtstündigen Seminars werden Laien hier zu Bierexperten. Auf dem Stundenplan stehen die Themen Bierhistorie, Brauprozess und Rohstoffkunde.

Jede Gruppe braut ihr eigenes Bier

Der Clou: Jede Gruppe braut während der Lehrzeit ihr eigenes Bier. Welche Geschmacksrichtung es haben soll, wird gemeinsam entschieden. Weck rät stets zum Experiment – auch, um zu zeigen, was man aus den vier Zutaten, die das deutsche Reinheitsgebot erlaubt, alles machen kann.

Mit dem beliebten Getränk aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe hat die eben gekostete Substanz noch nichts zu tun. Und doch ist die sogenannte Würze auf dem besten Weg zum Bier.

Viele komplizierte Brauschritte sind nötig, am Ende wird ein Frühlingsbock daraus. Weck hat es allein angesetzt, im Seminar übernehmen die Teilnehmer anstehende Aufgaben – sie wiegen Rohstoffe ab, befüllen die Schrotmühle, kontrollieren die Geräte.

Hier wird vieles, was in der großen Brauerei nebenan automatisch geht, von Hand gemacht. Weck setzt pro Woche maximal drei Sude an, schließlich hat er nur neun Lagertanks.

Dort müssen die Jungbiere bei 0 Grad Celsius etwa einen Monat reifen, dann wird das fertige Produkt in Bügelflaschen gefüllt und zu den Seminaristen nach Hause geschickt.

Ein gutes Bier braucht seine Zeit

Ein gutes Bier sollte einen Tag sieden, eine Woche gären und einen Monat lagern, so lautet die Faustregel. „Bier braucht Zeit“, sagt Weck, „damit sich das, was man mit ihm transportieren will, darin auch wiederfindet.“

In seiner kleinen Brauerei ist das künftige Bockbier gerade im Sud, während ein zweites Bier im Gärtank blubbert. Wer auf eine Leiter klettert, kann oben in den Tank hineinsehen und erblickt weißgelben Schaum, genannt Kräusen. Wenn der Gärprozess beginnt, endet das Seminar.

Dann müssen alle Zutaten ordnungsgemäß zusammengebraut worden sein. Den Anfang macht das Malz. Säckeweise liegen verschiedene Sorten vermälzter Gerste bereit.

Auch hier darf gekostet werden, die Körner sind hart und schmecken ganz unterschiedlich, Pilsener Malz nach Brot, Münchner Malz süßlich, Caramellmalz nach Karamell.

Für das Frühlingsbock hat der Braumeister helles Pilsner Malz und etwas Rauchmalz genommen, dessen Aroma an geräucherten Schinken erinnert.

Hinterher schwirrt den Teilnehmern der Kopf

Im Maischbottich wird aus Malzschrot und Brauwasser die Maische erzeugt, in der Maischpfanne wird sie erhitzt. Die Mischung kommt in den Läuterbottich, wo Flüssiges und Festes getrennt werden.

Die sich absetzenden, festen Bestandteile der Maische heißen Treber, der flüssige Malzzuckerextrakt ist die Würze. In der Sudpfanne wird der kochenden Würze Hopfen hinzugefügt, durch ihn lässt sich unter anderem beeinflussen, welche Bitterkeit das Bier haben soll.

Weck arbeitet mit neun Hopfensorten, es gibt etwa 50. Im Whirlpool wird die Würze geklärt, anschließend gekühlt. Die Hefe kommt im Gärtank dazu, sie vergärt den Zucker in Alkohol. Wieder hat der Brauer die Wahl, denn jeder der 150 Hefestämme führt zu einem anderen geschmacklichen Ergebnis.

„Wenn die Teilnehmer hier rausgehen, dann schwirrt ihnen der Kopf nicht vom Bier sondern davon, was Bier alles ist“, sagt Weck, der sich privat am liebsten Weizenbiere und „knackige Pilsbiere abseits vom Mainstream“ einschenkt.

Seine handwerklich gebrauten Biere in der Minibrauerei haben mit Massengeschmack nichts zu tun, sie sind naturtrüb und nicht haltbar gemacht – also weder filtriert noch pasteurisiert, wie es für den Handel üblich ist.

Das Reinheitsgebot schränkt ihn nicht ein: „Über meine neun Malze habe ich eine ungeheure Bandbreite, damit kann man spielen.“

Kundenbindung wird verstärkt

Einen Eindruck von den Möglichkeiten der Braukunst, deren Ursprünge bis zur Zeit der Sesshaftwerdung des Menschen zurückreichen, bekommt der Besucher hier.

Die Idee, Produktwerbung mit Einblicken in die Produktionsabläufe zu verbinden, ist nicht neu. Durch die Chance zum Selbermachen wird die Kundenbindung aber zusätzlich vertieft.

Ganz im Sinne des chinesischen Philosophen Konfuzius: „Erkläre mir, und ich vergesse. Zeige mir, und ich erinnere. Lass es mich tun, und ich verstehe.“

Chocolatier-Erfahrungen sammeln im „Chocoversum“

Nicht nur Holsten baut auf kreative Konsumenten. Auch der Bremer Schokoladenhersteller Hachez hat in Hamburg eine Erlebniswelt geschaffen.

Von außen betrachtet wäre die Situation dort sicher komisch: Zwölf erwachsene Menschen, darunter junge Paare und gestandene ältere Herren, stehen um drei hohe Arbeitstische herum und schlagen mit flachen Plastikformen darauf herum.

Jedem wurde eine Kelle flüssiger Schokolade ausgeschenkt. Jetzt gilt es, durch Schütteln und Klopfen die sämige Masse in der Form gleichmäßig zu verteilen und Luftblasenbildung zu verhindern.

Die Tafeln sollen später nicht aussehen wie Schweizer Käse, scherzt Arne Krutisch, der die Besuchergruppe durch das Schokoladenmuseum führt.

Eigene Sorten kreieren

Jeder, der die Ausstellung im „Chocoversum“ besucht, erhält eine neunzigminütige Führung, jeder gestaltet eine eigene Tafel Schokolade. Bei rund 110.000 Besuchern pro Jahr, darunter sind viele Schulklassen, liegt der Schokoladenverbrauch des Hauses bei zehn Tonnen.

Wissensvermittlung geht auch hier über die Sinne, Studieren steht in bestem Einklang mit Probieren, das bedeutet nicht nur Kosten, sondern auch Ausprobieren.

In ihre zurechtgerüttelte Schokoladencreme dürfen die Laien-Chocolatiers drei weitere Zutaten geben – je nach Gusto. Zur Wahl stehen zum Beispiel Kokosflocken, Sonnenblumenkerne, Honig Pops, Rosinen, sogar Gummibärchen, für Kenner ist auch gerösteter Edelkakao dabei.

Manche werfen die Zutaten wahllos in die Schokolade, andere legen sorgfältige Muster, ein Dutzend Variationen entsteht, kunterbunt oder klassisch. Krutisch stellt die Kreationen kühl, damit sie sich festigen können.

Von der Kakaofrucht zur Schokolade

Welche Odyssee die 35-prozentige Edelvollmilchschokolade hinter sich hat, die hier im Atelier neue Gestalt annimmt, hat der Guide zuvor erklärt. Die Führung beginnt mit dem Kakaobaum, der nur in den Tropen wächst.

60 Prozent des Weltkakaos kommen von der Elfenbeinküste und aus Ghana, entdeckt wurde der Rohstoff aber von den Mayas.

Krutisch erzählt, dass die Kinder in den Herkunftsländern gerne das Fruchtfleisch von den Bohnen lutschen, und reicht eine geöffnete Kakaofrucht herum. Der Geschmack dieses alternativen Bonbons lässt an Litschi denken.

Kakaofrüchte werden mit Macheten geerntet. Die Frucht bleibt liegen, bis das Fruchtfleisch zu gären beginnt, der lange Fermentierungsprozess gibt der Bohne ihren typischen Geschmack.

Nach der Trocknung sieht sie wie eine Mandel aus. Einige aus der Gruppe beißen die steinharte Schale mühsam auf und kosten das nussige, etwas bittere Innere, das einem Hauch von Schokoladenaroma hat.

Aus Lautsprechern kommt jetzt Möwengeschrei, das man draußen vor der Tür mit Blick auf die Speicherstadt tatsächlich hört. Der Hamburger Hafen ist ein wichtiger Umschlagsplatz für Kakao.

Darum passt das Chocoversum auch hierher, zumal im Bremer Werk keine Führungen möglich sind.

In Schokolade steckt viel Arbeit

Angenehmer Duft verrät, wie es mit der Bohne weitergeht: Sie wird geröstet. Anschließend ist die Schale leicht zu knacken. Sie kann ausgesiebt und und per Gebläse entfernt werden, zurück bleiben die Kakao-Nibs.

Drei Maschinen, die bis in die 50er-Jahre in der Hachez-Manufaktur im Einsatz waren, tun jetzt im Museum ihren Dienst. Ein Melanger verrührt Kakao-Nibs und Zucker, die Masse schmeckt kräftig und lecker, fühlt sich aber noch recht grob auf der Zunge an.

Die Feinwalze macht dann aus der Substanz ein zartes Pulver, das im Munde zergeht. „Das Herzstück der Herstellung, erklärt Krutisch, sei die Conche, erfunden 1879 vom Schweizer Fabrikanten Rodolphe Lindt.

In dieser Maschine schmilzt das Pulver wieder und wird gerührt. Dabei verflüchtigen sich unerwünschte Geschmacksstoffe, während sich zugleich durch Wärme und Sauerstoff veredelnde Aromen bilden. Bitterschokolade muss 72 Stunden conchiert werden, erst dann ist sie perfekt.

Auch die selbst kreierte Schokolade ist jetzt fest und fertig. Eine Probe bestätigt: Der botanische Name des Kakaobaumes lautet nicht umsonst Theobroma cacao, Speise der Götter.

Holsten Brauwelt, Holstenstraße 224, www.holsten-brauwelt.de; Chocoversum, Meßberg 1, www.chocoversum.de