Viele Sozialdemokraten seien befremdet über das Agieren des Senats. Für die Linie von Bürgermeister Olaf Scholz gibt es in Berlin aber auch Lob.

Hamburg/Berlin. Das Telefon klingelt. Man wolle über Flüchtlingspolitik und die Rolle der SPD sprechen. „Das heißt nichts Gutes“, antwortet ein Sprecher eines SPD-Politikers in Berlin spontan. Zuwanderer, Asylbewerber und Flüchtlinge – ein emotionales Thema. In Europa, im Bundestag, in Hamburg. Politiker wägen ihre Aussagen gut ab, man wolle nicht missverstanden werden. Parteien können mit dem Asylpolitik Populismus betreiben und Stimmen fischen. Sie können aber auch viel verlieren. Vielleicht gerade die SPD, deren Anhänger traditionell, stärker als die Union (eher restriktiv) oder die Linken (eher für offene Grenzen), zwischen Rechtsstaat und Solidarität besonders gewichten müssen.

In Hamburg ist vieles aufeinandergeprallt: Lampedusa-Gruppe, Gentrifizierung, Randale. Bundespolitiker der SPD nehmen das wahr, werden damit konfrontiert. Wie die SPD in Hamburg entscheidet, fällt auch auf die Fraktion im Bund zurück. Und in Berlin gibt es beides: Lob und Kritik für den Umgang von Bürgermeister Olaf Scholz und seinem Senat mit Flüchtlingen.

Natürlich sei Hamburg als Stadtstaat in einer anderen Position als Flächenländer bei der Flüchtlingsdebatte, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter dem Abendblatt. „Missmut gibt es vor allem an der Art, wie eine restriktivere Innenpolitik dem Bürger kommuniziert wird.“ Bei der Gruppe aus Lampedusa, die in der St. Pauli-Kirche untergekommen waren und sich lange gegen die rechtlich vorgeschriebene Einzelfallprüfung gewehrt hatten, habe der Senat hart aber sicherlich rechtlich richtig reagiert. „Dennoch wäre es wünschenswert, wenn man dem Bürgermeister oder dem Innensenator dann auch einmal öffentlich anmerkt, dass eine solche Entscheidung menschlich nicht leicht gefallen ist.“

„Viele SPD-Mitglieder sind befremdet“

Ein Mitglied aus dem Bundesvorstand der SPD kritisiert noch schärfer: „In der Bundes-SPD sind viele Mitglieder befremdet darüber, wie der Hamburger SPD-Senat in manchen Flüchtlingsfragen agiert.“ Der Senat zeige „Härte bei denen, die zuallererst unsere Hilfe benötigen. Progressive und liberale Asylpolitik zeigt Hamburg vor allem bei Flüchtlingen, die sich schnell selbst integrieren und sowieso willkommen sind.“

Heute ist die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik Debatte im Bundestag. Ein Antrag der Linken fordert unter anderem eine Änderung der „Dublin-Verordnung“, so dass Asylsuchende die Wahl haben, in welchem EU-Staat ihr Verfahren laufen soll, etwa wegen familiärer Bindungen. Hamburg wollte die Lampedusa-Gruppe ins Erstaufnahmeland Italien zurückschicken. So sieht es das EU-Recht bisher vor.

Auch der SPD-Experte für Asylpolitik, Rüdiger Veit, wird im Bundestag reden. Er sagt, auch die SPD-Fraktion trete für eine Änderung des Dublin-Abkommens ein. „Deutschland muss verstärkt selbst Asylverfahren an sich ziehen.“ Doch in den Koalitionsverhandlungen konnte die SPD diesen Punkt nicht durchsetzen. Der Widerstand in der Union sei zu groß gewesen, so Veit. Weil Griechenland „heillos überfordert“ sei mit der Aufnahme von Flüchtlingen, wolle die SPD-Fraktion den EU-Außenstaaten stärker finanziell helfen. Doch auch davon steht nichts im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU. „Das ist mehr als ärgerlich“, sagt Veit. Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner sagt, dass der Koalitionsvertrag trotz des Widerstands der Union „deutliche Handschrift der SPD“ trage.

Diese und andere Ideen für eine „humanitäre Flüchtlingspolitik“ standen im Regierungsprogramm, mit dem die SPD 2013 in den Wahlkampf zog. Wichtige Grundlage der Positionen sind Ergebnisse einer Arbeitsgruppe unter Stegners Führung. Angeregt hatten diese AG die Jusos, beschlossen wurde sie dann vom Parteivorstand.

18 Seiten ist der Abschlussbericht vom Frühjahr 2013 lang, den später auch der Parteivorstand abgesegnete. Mehrere Teilnehmer aus der SPD-Arbeitsgruppe berichten dem Abendblatt, dass es zu einigen Vorschlägen Widerspruch gegeben hat. Aus Hamburg und anderen Kommunen. Einer sagt: Vor allem aus Hamburg habe es Protest gegeben. Scholz hätte sogar bei Parteichef Sigmar Gabriel gegen einzelne Beschlüsse in dem Papier interveniert.

Vor allem bei der Abschaffung der Residenzpflicht und der Abschiebung über den Flughafen sowie die Frage, welche Ansprüche auf Sozialleistungen Asylbewerber haben, sei von Vertretern Hamburgs kritisiert worden, berichten Teilnehmer. Hamburg hätte Sorge vor zu großer „Anziehungskraft“ für Flüchtlinge gehabt: Je liberaler die Politik, desto mehr ziehen in Metropolen. Dort suchen Asylbewerber lieber Unterschlupf als im Hamburger oder Berliner Umland – dabei ist Wohnraum ohnehin knapp. Hamburgs SPD-Fraktionschef Andreas Dressel saß damals in der Stegner-AG und formuliert die Position der Stadt so: „Es ist wichtig, die Umsetzungsperspektive einer großen Stadt im Blick behalten. Es ist eine Integrationsherausforderung, die wir gerne annehmen, die wir aber nicht auf die leichte Schulter nehmen wollen.“

Die Kritik am Senat ist die eine Seite. Auf der anderen Seite loben SPD-Bundespolitiker, wie sich Innensenator Michael Neumann gegenüber Parteifreunden eingesetzt habe, um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien deutlich zu erhöhen. Die Integration von Zuwanderern sei unter Bürgermeister Scholz vorbildlich, sagt Bundestagsabgeordneter Ernst Dieter Rossmann dem Abendblatt. Hamburg agiere in Flüchtlingsfragen „lobenswert und liberal“. Andere SPD-Politiker heben hervor, dass Hamburg bei der Einbürgerung bundesweit Vorreiter sei. Teilnehmer aus der Stegner-Gruppe sagen heute: Alle Seiten in der SPD hätten sich für eine gemeinsame Politik bewegt. Derzeit bringt die SPD-Fraktion einen Antrag in die Bürgerschaft ein, der mehr Deutschkurse für Flüchtlinge durchsetzen will. Residenzpflicht und Bleiberecht wurden bereits gelockert.

Die Diskussion um eine SPD-Flüchtlingspolitik verläuft somit nicht nur zwischen linkem und rechtem Parteilager. Sie verläuft quer durch die Fraktion – und zwischen Stadtstaaten, Kommunen und Flächenländern.