Reisende machen ihre Ansprüche bei Verspätung nur selten geltend. Hamburger Kanzlei KSP arbeitet mit Verbraucherportalen zusammen. EU will Rechte der Passagiere beschneiden.

Hamburg Wer von Hamburg aus nach Newark im Bundesstaat New Jersey fliegt, muss sich auf Verspätungen einstellen. Mal sind es vier, aber auch mal sieben Stunden, die die Passagiere später am Ziel eintreffen. In der Verspätungsstatistik des Internetportals Flugrecht taucht diese Hamburger Verbindung von United Airlines häufiger auf. Besonders hart traf es Familie M. Ihr Flieger musste noch vor der Landung in Hamburg wegen eines technischen Defekts wieder umkehren. Ein pünktlicher Abflug in Hamburg war so erst gar nicht möglich. 23 Stunden saß die Familie mit ihrer zwölfjährigen Tochter in Fuhlsbüttel fest. Erst dann konnten sie nach Newark aufbrechen. 600 Euro pro Person Entschädigung stehen der Familie für die Verspätung zu. „Wir konnten die Ansprüche recht schnell durchsetzen“, sagt Andreas Seegers, Partner der KSP Rechtsanwälte, der größten Kanzlei der Hansestadt.

Doch das ist eher die Ausnahme als die Regel. Zwar sind die Rechte der Passagiere bei Verspätung, Annullierung oder Überbuchung klar geregelt. Schon bei einer Verspätung von mehr als drei Stunden kann der Passagier 250 Euro einfordern. Außerdem müssen bei Kurzstreckenflügen ab zwei Stunden Verzögerung Getränke und Nahrungsmittel gereicht werden.

Insgesamt können für Folgeschäden Schadenersatzansprüche von bis zu 5200 Euro geltend gemacht werden (siehe Tabelle). Doch die Fluggesellschaften mauern. „Einerseits sind die Rechte bei den Passagieren noch nicht ausreichend bekannt, andererseits lehnen die Fluggesellschaften, die Forderungen ihrer Kunden meist ab, obwohl die berechtigt sind“, sagt Seegers. „Meist verweisen die Airlines auf außergewöhnliche Umstände und wollen sich so der Verantwortung entziehen“, sagt Ottmar Lell von der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Die Folge: „Nur wenige Passagiere setzen ihre Ansprüche durch, obwohl die europaweite Verordnung zu Fluggastrechten bereits seit 2005 gilt“, sagt Seegers. „Die Größenordnung liegt sicher im einstelligen Prozentbereich.“ Die Passagiere verschenken damit Millionen. Nach einer Aufstellung des Verbraucherportals für Fluggastrechte Flightright haben in Deutschland rund 1,3 Millionen Passagiere jährlich infolge von Flugverspätungen oder -ausfällen Anrecht auf eine Entschädigung. Bei durchschnittlich 400 Euro pro Fall haben die Verbraucher damit ein Anrecht auf 520 Millionen Euro an Entschädigungszahlungen. Wenn man davon ausgeht, dass maximal zehn Prozent der Verbraucher ihre Rechte auch durchsetzen, dann schenken die deutschen Flugpassagiere den Airlines knapp 470 Millionen Euro – Jahr für Jahr. Innerhalb Europas geht es für die Fluggesellschaften um Milliarden. Obwohl nur ein Bruchteil der Rechte geltend gemacht wird, will die Europäische Kommission die Passagierrechte wieder schwächen. Erst nach fünf Stunden Verspätung gäbe es dann eine Entschädigung. „65 Prozent aller jetzigen Ansprüche würden dann wegfallen“, sagt Lell.

Der Vorstoß der Europäischen Kommission zugunsten der Airlines lässt sich aber auch damit erklären, dass die Verbraucher allmählich aufbegehren. „Die Airlines haben es in der Hand, wie beschwerdebereit die Kunden sind“, sagt Claudia Holz. „Wer schlecht betreut und informiert wird, stellt eher Schadenersatzansprüche“, sagt die Expertin für Fluggastrechte bei KSP. Schlecht bei den Passagieren kam die achtstündige Stadtrundfahrt in Kopenhagen an, die eine Airline statt einer Hotelübernachtung organisierte. Auch wer auf dem Fußboden des Flughafens statt im Hotelbett schlafen muss, wird eher klagen als verzichten.

Doch noch scheuen viele das Risiko einer Klage. Wer sich nicht direkt an spezialisierte Anwälte wenden möchte, kann die Dienstleistungen von Firmen in Anspruch nehmen, die sich darauf spezialisiert haben, die Passagierrechte durchzusetzen. Sie heißen Flightright, Fairplane, Flugrecht oder Refund Me und bieten ihre Leistungen im Internet an. Im Erfolgsfall müssen die Passagiere bis zu 25 Prozent (zuzüglich Mehrwertsteuer) der erstrittenen Entschädigung an die Verbraucherportale abtreten. Ein Kostenrisiko besteht nicht. „Wir übernehmen die Korrespondenz mit den Airlines und fordern die gesetzlich geregelten Entschädigungssummen ein“, sagt Marcus Schmitt, Geschäftsführer von Flightright. „Notfalls bringen wir die Fälle auch mithilfe unserer Partnerkanzleien vor Gericht.“ Eine davon ist KSP. Seit dem 1. November können sich Fluggäste auch an die neue Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr wenden. Ein ausgehandelter Kompromiss der SÖP muss von Passagier und Fluggesellschaft akzeptiert werden. Macht die Airline nicht mit, waren die bisherigen Verhandlungen vergeblich. Marcus Schmitt, Geschäftsführer von Flightright erwartet, dass die Vergleiche sich aber in der Mitte der Forderungen einpendeln werden.

KSP hat bisher in zwei Jahren 5000 Verfahren zu Fluggastrechten geführt. Betroffen waren 12.000 Passagiere. Tendenz steigend. „Wir werden dieses Geschäftsfeld weiter ausbauen, denn im Gegensatz zu den Verbraucherportalen können wir als Anwälte auch Klage einreichen. Ein Teil der Fälle kommt von den Verbraucherportalen. „Außerdem arbeiten wir mit Firmen zusammen, deren Mitarbeiter viel fliegen“, sagt Seegers. Immerhin erfordern 65 Prozent der Fälle das Klageverfahren. „Aber nach Einreichung der Klage sind 70 Prozent der Verfahren erfolgreich für die Passagiere, ohne dass es zu einem Prozess kommt“, sagt Seegers. Insgesamt beziffert er die Erfolgsquote auf 95 Prozent. Im Durchschnitt liegt die Erstattung für die Fluggäste bei 400 Euro.

Große Unterschiede zwischen den Airlines gibt es nicht. „Auf schriftliche Beschwerden reagieren sie oft erst nach einem Monat oder überhaupt nicht“, sagt Lell. Die häufigste Ausrede, um Ansprüche abzuwehren, sind außergewöhnliche Umstände. „Doch technische Defekte wie beschädigte Reifen oder eine defekte Bordtoilette sind keine außergewöhnlichen Umstände“, sagt KSP-Expertin Holz. Auch ein Streik ist nicht automatisch ein außergewöhnlicher Umstand, weil die Arbeitsniederlegung meist vorher angekündigt wird. Dagegen können Vulkanausbrüche, Vogelschlag oder ein Blitzschlag durchaus außergewöhnliche Umstände sein, die bei einer Verspätung die Fluggesellschaft von Ausgleichzahlungen befreien. Aber auch dann müsse die Fluggesellschaft alles unternehmen, um die Verspätung so kurz wie möglich zu halten oder eine Annullierung abwenden, sagt Holz. „Sonst droht auch in diesen Fällen Schadenersatz.“

Bei ihren Recherchen zu Verspätungen und Annullierungen stoßen die KSP-Anwälte häufig auf Umstände, die Stunden oder gar Tage vor dem beanstandeten Flug stattgefunden haben. „Das reicht aber nicht aus, um Schadenersatzansprüche abzuwehren“, sagt Seegers. Wer seine Rechte geltend macht, hat also große Chancen, eine Entschädigung zu bekommen. Die Ausgleichsansprüche verjähren in Deutschland erst nach drei Jahren.