Vor einem Monat fegte Sturmtief „Christian“ über Norddeutschland hinweg. Bis heute dauern die Aufräumarbeiten an. 6000 Schadensmeldungen über insgesamt sieben Millionen Euro.
Langenhorn. Als wäre ein göttlicher Handkantenschlag auf das Holz niedergegangen. Windschief hängt der gesplitterte Ast im Baum, vielleicht 40 Zentimeter dick ist er, einfach abgeknickt. Mit ungeheurer Wucht muss die 80 Jahre alte Stieleiche auf der Straße Auf dem Felde in Langenhorn vom Sturm getroffen worden sein, weshalb Dennis Janssen nun auf wackligem Totholz balanciert. Nur mit zwei Seilen gesichert. Unter den Füßen des Baumkletterers knirscht, knackt und knarzt es bedrohlich. Die Diagnose: Orkanschaden. Rettung? Ausgeschlossen. Dennis Janssen wirft die Kettensäge an.
Vor einem Monat fegte Orkantief „Christian“ als stärkster Sturm seit 19 Jahren über Hamburg hinweg. 876 Einsätze registrierte die Polizei allein an jenem 28. Oktober. Doch die Aufräumarbeiten dauern bis heute an. Vor allem Privatleute müssen ihre geschädigten Bäume fällen lassen. In ganz Deutschland werden die finanziellen Sturmschäden vom weltgrößten Rückversicherungsmakler Aon Benfield auf 200 bis 300 Millionen Euro geschätzt. In Hamburg spricht die Feuerkasse inzwischen von 6000 Schadensmeldungen mit einem Gesamtvolumen von sieben Millionen Euro.
Es sind Hausmiteigentümer wie Tomislav Baric, die betroffen sind. Während Baumkletterer Dennis Janssen oben im Baum das Holz zerstückelt, blickt Baric in die demolierte Krone. „Unter dem Baum habe ich als kleiner Junge noch Fußball gespielt“, sagt er. Jetzt musste er die Baumfällspezialisten Arbor Artists rufen, um die Stieleiche fällen zu lassen. Mehr als 1000 Euro wird ihn das wohl kosten. „Es ist schade um den Baum“, sagt Baric. „Aber der Ärger hält sich Grenzen. Vielleicht wird es ja doch noch ein Versicherungsfall.“
Die Feuerkasse, nach eigenen Angaben Hamburgs größter Gebäudeversicherer, hat vier Innendienstarbeiter und 20 externe Sachverständige für die Orkanschäden abgestellt. Trotzdem werde man noch bis zum Jahresende brauchen, um alles aufzuarbeiten. „Die größten Schäden beliefen sich jeweils auf mehr als 100.000 Euro“, sagt Feuerkassen-Sprecher Christoph Prang. Glücklich unter den 250.000 Hamburger Versicherten konnte dabei sein, wer eine sogenannte erweiterte Gebäudeversicherung abgeschlossen hatte. Sie beinhalte auch das Aufräumen und Fällen von sturmgeschädigten Bäumen.
Für Firmen wie Kahlschlag lohnt sich deshalb die Aufarbeitung des Orkans. Geschäftsführer Jan Hedrich spricht von einem Auftragsplus von 25 Prozent. „Wir haben wohl noch bis Februar zu tun“, sagt dagegen Niels Martensen, Geschäftsführer bei Arbor Artists. Die Hamburger Baumkletterspezialisten verzeichnen sogar ein verdoppeltes Auftragsvolumen, mussten eine Prioritätenliste anfertigen. Nach unmittelbar betroffenen Häusern und Gleisen werden nun gefährdete Privatgrundstücke von kritischen Bäumen befreit.
Was für Gartenbau- und Fällbetriebe ein gutes Geschäft bedeutet, ist für Privatleute, deren Versicherung nicht einspringt, ein teures Vergnügen. Allein einen Baum vom Amt begutachten zu lassen und eine Fällgenehmigung einzuholen, koste etwa 150 Euro. Hinzu kommen die Kosten für die eigentlichen Sägearbeiten, 300 bis 1500 Euro, je nach Grundstücks- und Baumbeschaffenheit. „Unser kostspieligster Einzelauftrag war bisher eine 13.000 Euro teure Baumfällung bei einer Millionärin“, sagt Arbor-Artists-Chef Martensen.
Insgesamt waren Privatleute im Stadtgebiet unterschiedlich stark betroffen. Im Bezirk Altona seien 80 sturmgeschädigte Bäume auf Privatgrund gemeldet worden, in Wandsbek waren es 100, in Mitte und Harburg dagegen nur je fünf. Der Bezirk Eimsbüttel konnte dazu keine Aussage treffen. Allerdings beziffert Sprecherin Aileen Röpcke die Schadenssumme im öffentlichen Raum auf gut 185.000 Euro.
Verglichen mit anderen Unwettern seien die Schäden nach „Christian“ zwar erheblich, sagt Feuerkassen-Sprecher Prang. Allerdings waren die Stürme „Verena“, „Vivian“ und vor allem „Daria“ Ende Januar 1990 noch verheerender. Der Antragsflut nach dem jüngsten Orkantief müsse beim Großversicherer trotzdem mit Überstunden und Sonnabendarbeit begegnet werden. Alles in Augenschein zu nehmen ginge nicht, sagt Prang. „Etwa zehn Prozent der Schäden haben wir begutachtet.“ Für den Rest mussten dokumentarische Fotos der Versicherten langen.
Auch in Langenhorn hat Hausbesitzer Tomislav Baric Fotos gemacht, auf denen Gefahr in Verzug deutlich werden soll. Der Ast der Eiche war in einen Nachbarbaum gekippt und drohte abzustürzen. Um halb neun in der Früh ist Dennis Janssen mit Steigeisen in den verwundeten Baum geklettert. Fünf Stunden später ist von der Stieleiche gerade mal noch der Stumpf übrig. Die Bilanz: ein Orkanopfer weniger. 1000 Euro weniger für Hausbesitzer Baric. Nur einer von 6000 Hamburger Sturmschäden.