Kultur, Stadtleben und unbequeme Themen: Das Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ wird 20 Jahre alt. Was 1993 als zweijähriges Projekt geplant war, gehört heute fest zu Hamburg – in die Medienlandschaft und ins Stadtbild.

Hamburg. Das Hamburger Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ wird 20 Jahre alt. Das Jubiläum soll mit einer Geburtstagsparty im Kulturzentrum „Fabrik“ in Altona an diesem Mittwoch (6. November, ab 19 Uhr) gefeiert werden.

Durch das Jubiläumsprogramm führt Kultmoderator Michel Abdollahi, es gibt Live-Musik von Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol mit ihrer Band Gloria. Die Laudatio zum Jubiläum hält Tagesschausprecherin Judith Rakers.

Ebenfalls geplant ist das Treffen dreier Diakoniechefs: Zeitungsgründer Stephan Reimers wird auf die aktuelle Herausgeberin Annegrethe Stoltenberg und ihren Nachfolger Dirk Ahrens treffen. Bei einer Tombola gibt es 300 Preise im Wert von rund 10.000 Euro zu gewinnen.

Chefredakteurin Müller ist seit Anfang an dabei

Die Chefredakteurin sitzt mitten drin: Um zu Birgit Müllers Büro zu gelangen, läuft man durch einen Raum mit Kaffeetresen, wo sich Obdachlose treffen, aufwärmen und stärken können. Einen Raum weiter beginnt die Redaktion.

Schlichte Büros, die meisten Türen stehen offen, alle liegen auf der gleichen Etage im Erdgeschoß. „Es ist uns ganz wichtig, dass wir mit den Verkäufern auf Augenhöhe arbeiten“, sagt Birgit Müller. Das gilt auch für den Inhalt des Heftes: Denn die Texte werden von Journalisten geschrieben, nicht von den Obdachlosen.

Gegründet wurde „Hinz&Kunzt“ 1993 von Stephan Reimers, Hamburgs damaligen Diakonie-Chef, als Kooperation zwischen Journalisten und Obdachlosen. Vorbild war das Straßenmagazin „Big Issue“ in London.

„Hinz&Kunzt“ gehört zu ersten deutschen Straßenmagazinen

Die Zeitung gehört zu den ersten deutschen Straßenmagazinen. Vorher erschienen nur „Bank-Express“ (1992, heute: Draußenseiter) in Köln und „Biss“ (Oktober 1993) in München.

Insgesamt gibt es heute 26 Straßenzeitungen im deutschsprachigen Raum – „Hinz&Kunzt“ in Hamburg ist die erfolgreichste in Deutschland. Bereits 1996 erhielt das Blatt den „Erich-Klabunde-Preis“ (10.000 D-Mark) des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) in Hamburg, im Mai 2002 folgte der mit 15.000 Euro dotierte „Max- Brauer-Preis“ der Alfred-Toepfer-Stiftung.

Die Themen drehen sich um Leben, Kunst und Kultur in der Stadt, angereichert mit investigativen Geschichten und unbequemen Fakten. Denn „Hinz&Kunzt“ bringt immer wieder Themen, die Stadt und Politiker lieber totschweigen würden.

„Ursprünglich wollten wir gar nicht politisch sein“, erzählt Müller. Doch inzwischen sei das Magazin ein wichtiges Organ für sozial Benachteiligte geworden. „Hinz&Kunzt“ kämpfe zum Beispiel für mehr Wohnungen, für die bessere Behandlung von Hilfeempfängern und gegen Abzockvermieter und Zwangsräumungen. „Das Heft soll aber kein Jammerblatt sein“, sagt die geborene Württembergerin Müller. Eher finden sich immer auch Geschichten „mit Aufbruchscharakter“ im Heft.

Zu Beginn wollte Birgit Müller mit „Hinz&Kunzt“ die Obdachlosigkeit auf Hamburgs Straßen in den Griff bekommen. „Das war etwas größenwahnsinnig“, sagt die Chefredakteurin heute. Sie habe es als eine Art „Durchlauferhitzer“ gesehen: Menschen ohne feste Bleibe sollten durch den Verkauf des Heftes Geld verdienen und wieder Struktur in ihr Leben bringen.

„Uns wurde schnell klar: Das geht nicht so einfach“, sagt die Chefredakteurin. „Uns war damals nicht bewusst, welche Probleme mit Wohnungslosigkeit noch einhergehen.“ Körperliche Leiden und Einsamkeit gehören dazu.

65.000 Hefte werden pro Ausgabe vertrieben

Insgesamt wurden seit Beginn 5.800 Verkäuferausweise ausgegeben. Derzeit gibt es 462 aktive Verkäufer. Koordiniert werden sie vom Vertriebsteam – das natürlich auch in den Räumen in der Innenstadt angesiedelt ist. Die meisten dieser Kollegen haben ebenfalls „ihre eigene Straßenvergangenheit“, wie Müller es nennt.

Pro Ausgabe vertreiben die Verkäufer rund 65.000 Hefte. Vom Verkaufspreis von 1,90 Euro geht ein Euro an den Verkäufer. Finanziert wird „Hinz&Kunzt“ durch Spenden. Der Freundeskreis mit 1.700 Mitgliedern hilft ebenso wie Menschen, die unregelmäßig unterstützen. „Aber auch sonst sind wir immer auf die Hilfe anderer angewiesen“, sagt Müller. Doch ob Benefizkonzert, Verkäuferaktion oder Plakat-Kampagne – es fände sich immer jemand, mit dem sie ihre Ideen zusammen verwirklichen könnten.

Die Arbeit ist nicht immer leicht, sagt auch Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Er arbeitet ebenfalls seit den Anfangstagen für „Hinz&Kunzt“ und ist meistens bei den Verkäufern auf der Straße. „Aber es ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn etwas kleines Gutes passiert“, sagt er.

Verkäufer, die an einem Stammplatz etwa vor einem Supermarkt stehen, knüpfen nicht selten engeren Kontakt mit ihren Kunden. „Da passieren tolle Dinge, Menschen helfen denen, die es nötig haben“, sagt er. Das sei auch die „Grundidee“ von „Hinz&Kunzt“: „Wir wollen Brücken bauen, und die Hamburger und die Hinz&Künztler beweisen ständig, dass es funktioniert.“

Erschrecken würde ihn, dass sich Menschen an so vieles gewöhnen, sagt Karrenbauer. „Aber wir dürfen nicht akzeptieren, dass Menschen auf der Straße schlafen.“ Das durchschnittliche Lebensalter eines Obdachlosen sei 47. Seit zehn Jahren hat „Hinz&Kunzt“ einen Gedenkbaum auf dem Öjendorfer Friedhof. Am Totensonntag wird dort der Verstorbenen gedacht und für jeden ein kleines Messingschild am Baum befestigt.

Die Novemberausgabe mit der Nummer 249 ist ein dickes Jubiläumsheft mit 108 Seiten – und darum etwas teurer als sonst: Es kostet 2,20 Euro, davon gehen 1,20 Euro an den Verkäufer.

Bereits im Januar startete „Hinz&Kunzt“ eine ganzjährige Plakatkampagne zum 20. Geburtstag. Unter dem Motto „Gegen soziale Kälte hilft Herzenswärme“ posierten Altkanzler Helmut Schmidt, TV-Koch Tim Mälzer, Tagesschausprecherin Judith Rakers und Versandhausunternehmer Michael Otto für die Zeitung. Stadtweit wurden ganzjährig 800 Großplakate mit den Motiven gezeigt.