Die Abendblatt-Fotografen drücken jedes Jahr Hunderttausende Male auf den Auslöser. Ihre besten Motive gibt’s in einer Serie. Marcelo Hernandez über die Verantwortung eines Fotografen für die Menschen.

Als Einwanderer habe ich in Hamburg auch das Leben von unten kennengelernt. Vielleicht ist das der Grund, warum ich Sozialreportagen so wichtig finde. Ich stamme aus Chile, dort habe ich Journalistik studiert und als Kulturjournalist für Zeitschriften gearbeitet.

1997 kam ich zum Studieren nach Hamburg. Diese Stadt hat mich einfach umgehauen! Hamburg wirkte auf mich schön und vertraut, aber dennoch kantig und spannend. Ich wäre nie in Deutschland geblieben, wenn ich nicht in Hamburg gelandet wäre.

Trotzdem war der Anfang für mich nicht einfach. Ich kann nachvollziehen, wie es ist, die deutsche Sprache nicht zu verstehen. Ich kann nachvollziehen, warum Menschen sich in Deutschland ausgegrenzt fühlen. Sozial Schwache haben keine Lobby. Für mich sind ihre Probleme nicht abstrakt.

Die Chancen, Redakteur einer deutschen Zeitung zu werden, waren nicht gerade gut. Schließlich habe ich die deutsche Sprache erst hier richtig gelernt. Ich habe jedoch eine andere Sprache für meinen Journalismus entdeckt: die Sprache der Bilder.

Seit 2005 arbeite ich als Fotograf für das Hamburger Abendblatt. Es ist wichtig, dass Journalisten eine Haltung zu einem Thema haben. Sozialreportagen geben mir das Gefühl, mehr auslösen zu können als ein ästhetisches Gefühl. Ich möchte mit meinen Bildern etwas bewirken. So wie im Fall Kate Amayo. 2010 sollte die damals 20-Jährige abgeschoben werden. Sie war vier Jahre zuvor illegal aus Ghana nach Hamburg gekommen.

Als ich sie fotografieren wollte, war sie sehr zurückhaltend. Sie sagte, dass sie sich dafür schäme, illegal nach Deutschland eingewandert zu sein. Ich habe ihr damals gesagt, dass sie stolz auf das sein kann, was sie in Deutschland erreicht hat. Ihr Abitur hatte sie mit 1,8 bestanden, sie spricht perfekt Deutsch, hatte einen Studienplatz sicher.

Ihr Fall sollte anderen Mut machen. Sie war ein Vorbild für Integration. Kate Amayo hat mir damals vertraut – und sich nur von mir fotografieren lassen.

Porträts sind mein Spezialgebiet. Doch es geht nicht nur um die Gesichter der Menschen, die ein gutes Bild ausmachen. Auch ihre Umgebung ist wichtig. Ich suche etwas Irritierendes, etwas, was zum Hingucken reizt.

Ein gutes Beispiel dafür ist mein Porträt von Jörg Pilawa. Das Büro des Moderators war schlicht. Doch an der Wand hing ein Bild – von Ché Guevara. Für das Foto bat ich Pilawa, sich direkt vor das Bild zu stellen. Ich habe die Perspektive so gewählt, dass die Augen von Guevara und Pilawa auf einer Höhe waren.

Mir ist es wichtig, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die ich fotografiere. Dabei ist für mich der TV-Moderator genauso wichtig wie der Obdachlose. Ich muss sensibel sein. Es gibt Fotografen, die glauben, dass ihre Kamera eine Waffe ist. Meine Kamera ist keine Waffe. Sie ist eine Einladung, in Kontakt zu treten. Ich interessiere mich für die Menschen, die ich für das Hamburger Abendblatt fotografiere – für ihre Geschichten, für ihre Probleme, für ihre Träume.

Fotografen sind häufig auf der Suche nach dem besonderen Moment und der unkonventionellen Perspektive. Doch auch jeder normale Augenblick hat etwas Außergewöhnliches.