Die neue Vorsitzende Katja Karger entspricht nicht dem Klischee der Funktionärin. Die Industriekauffrau will durchaus frischen Wind in den DGB bringen. Aber Karger ist keine Revolutionärin.
St. Georg. Jung, Frau, parteilos und keine Hamburgerin: Die 44 Jahre alte Katja Karger, die seit einer Woche an der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) steht, widerspricht gleich in vierfacher Hinsicht dem bisherigen Erscheinungsbild und Selbstverständnis des traditionsbewussten und männerdominierten Dachverbands der Arbeitnehmer-Organisationen. „Der DGB Hamburg wagt das Experiment mit mir“, sagt Katja Karger selbstbewusst und gut gelaunt in ihrem Büro in der zehnten Etage des Gewerkschaftshauses am Besenbinderhof, das sie sich bis zum Jahresende mit ihrem Vorgänger Uwe Grund teilt.
Die Industriekauffrau, die ihren Master-Abschluss in Kulturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität gemacht hat, will durchaus frischen Wind in den DGB bringen. Aber Karger ist keine Revolutionärin. „Ich brauche die Erfahrung derjenigen, die jahrelang in den Gremien gesessen haben“, sagt die gebürtige Bremerin. Und dabei wird sie nicht zuletzt an Uwe Grund denken, der sie in den ersten Monaten begleitet. Grund blickt auf eine jahrzehntelange Karriere in den Gewerkschaften und der SPD zurück, deren Fraktionschef in der Bürgerschaft er unter anderem war.
Grund war es auch, der ihr den Weg an die Spitze des DGB geebnet hat. „Ein Freund erzählte mir beim Bier in einer Berliner Kneipe, dass die Hamburger einen neuen DGB-Chef suchen“, sagt Karger. Sie habe sich dann beworben, ohne sich große Chancen auszurechnen. Als Karger privat in Lüneburg war, habe sie spontan bei Grund angerufen und gefragt, ob sie zum Gespräch vorbeikommen könne. „Zu meiner Überraschung hat er sofort gesagt, dass das eine sehr gute Idee sei.“ Zwei Stunden hätten sie dann miteinander gesprochen. Das Ergebnis war, dass Grund die junge Berlinerin der DGB-Findungskommission als seine Nachfolgerin empfahl. „Ich bin immer noch ein bisschen damit beschäftigt, das alles zu glauben“, sagt die DGB-Chefin.
Karger spricht offen über einen weiteren Kulturbruch, den sie mit ihrer Biografie so manchem Gewerkschaftsfunktionär mit seinem gesicherten Arbeitsverhältnis zumutet: Nach dem Hochschulexamen – ihre Abschlussarbeit trägt das symbolträchtige Datum 1.Mai 2013 – war Karger sechs Monate lang arbeitslos und bezog Hartz IV.
Die Themen Mindestlohn, Altersarmut und soziale Spaltung sind ihr wichtig
„Ich weiß, wie es sich anfühlt, im Jobcenter in der Schlange zu stehen und keine Privatsphäre mehr zu haben, weil alle mitbekommen, was man gefragt wird“, sagt sie. Die Sachbearbeiter redeten immer mit lauter Stimme – gewohnt, sich Gehör zu verschaffen und abgestumpft zugleich. „Nach einer halben Stunde bin ich heulend nach Hause gerannt, obwohl ich starke Nerven habe“, erzählt Karger. Für sie ist das, was den Menschen in den Jobcentern passiert, „strukturelle Gewalt“.
Das will Karger, die künftig im Verwaltungsrat der Agentur für Arbeit sitzt, versuchen zu ändern. Mehr Beratungszeit, nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte sollen bei der Jobvermittlung zählen. „Wir brauchen eine andere Kultur im Umgang mit den Menschen. Mich hat der Glaube verlassen, dass man mit dem jetzigen System die Menschen fördern kann.“
So einschneidend die Arbeitslosigkeit war, Karger blickt auf 20 Berufsjahre zurück. Sie war Redaktionsassistentin beim privaten Radiosender ffn in Hannover und arbeitete schon dort im Betriebsrat mit. Als Projektmanagerin des Berliner Internetunternehmens Pixelpark gründete sie den Betriebsrat mit und wurde dessen Vorsitzende. Und Karger arbeitete sechs Jahre lang als Gewerkschaftssekretärin bei connexx. av, einem Ver.di-Projekt, mit dem gewerkschaftsferne Berufsgruppen in den neuen Medien, privaten Rundfunk- und Fernsehsendern sowie Filmschaffende gewonnen werden sollen.
„Ich kann Leute zusammenbringen, Kooperationen schaffen und Netzwerke aufbauen“, so sieht sich die DGB-Chefin selbst. Und sie bringe Verständnis für die Befindlichkeiten der Einzelgewerkschaften mit – seit Kindertagen: Ihr Vater war Metallarbeiter bei der Bremer Klöckner-Werft und Mitglied der IG Metall. Mit Argusaugen wacht Karger über die Entwicklung beim Thema Mindestlohn in den Koalitionsverhandlungen in Berlin. Die Themen Altersarmut und soziale Spaltung liegen ihr besonders am Herzen. Da biete Hamburg ein reiches Betätigungsfeld.
„Die Stadt ist unglaublich nett und freundlich. Nach 15 Jahren in Berlin gefällt mir das sehr“, sagt Karger. Besonders freut sich die temperamentvolle Frau auf die Touren mit der Hadag-Fähre 62 von den Landungsbrücken nach Finkenwerder. „Bei Wind und Wetter“, wie Karger betont.