Die biblischen Begründungen für das Engagement sind solide
Hamburg. Christinnen und Christen richten sich auf das Evangelium hin aus. Wir feiern Gottesdienste, suchen die Stille vor Gott, beten und setzen uns mit der Bibel auseinander. Das Evangelium in Predigt und Seelsorge immer wieder zu verkündigen ist maßgebliche Aufgabe der Kirche. Sie soll durch solche Verkündigung dazu einladen, das eigene Leben auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft zu verstehen und Gott als lebendige Kraft zu erleben.
Aber gerade solche Konzentration auf das Wort Gottes kann nicht bei einer hinter den Mauern der Kirchen und Herzen versteckten Spiritualität stehen bleiben. Eine Pflege der eigenen Gottesbeziehung, die den anderen unbeachtet lässt, wird letztlich zum Selbstzweck. Solche Bezogenheit auf sich selbst kennt die Bibel nicht.
Lebendige Frömmigkeit will nach außen, will umsetzen und umgesetzt wissen, was Nachfolge Jesu ist. Sie will und muss Gestalt annehmen, nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch in gesellschaftlicher Verantwortung. Unter anderem bedeutet das, dass wir als Gemeinschaft von Christinnen und Christen, also als Kirche mit Wort und Tat tätig werden, wenn politische Entwicklungen einer am Evangelium orientierten Gerechtigkeit, Würde und Freiheit zuwiderlaufen.
Gott sei Dank und mit soliden biblisch-theologischen Begründungen setzt die evangelische Kirche sich für Flüchtlinge, für die Bewahrung der Schöpfung, für soziale Gerechtigkeit ein! Auch das gehört nämlich zu ihren Kernaufgaben. Zu allen Zeiten haben Menschen unter Berufung auf die Botschaft von Gerechtigkeit und Freiheit das gesellschaftliche Leben mitgestaltet, und zwar nicht allein in geistlicher Hinsicht. Von solchem Handeln zeugen bereits die biblischen Texte selbst.
In der Debatte um das Verhältnis von Staat und (evangelischer) Kirche zueinander beruft man sich häufig auf Martin Luthers Zweireichelehre. Oft wird diese dabei auf die Aussage verkürzt, die Kirche habe sich nicht in die Angelegenheiten der Politik einzumischen, da diese ihre eigenen Ordnungen habe. Tatsächlich geht Luther von einer klaren Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Autorität aus. Das bedeutet für ihn allerdings keineswegs ein Stillehalten gegenüber allen obrigkeitlichen Entscheidungen.
Es hat der evangelischen Kirche niemals gutgetan, sich den Herausforderungen ihrer Zeit auf diese Weise zu entziehen. Gerade im unvermischten Gegenüber zu den politischen Kräften hat die Kirche in Luthers Augen die Aufgabe, den Staat an seine Verantwortung zu erinnern. Sie muss Stellung beziehen, wo die Orientierung am Evangelium im gesellschaftlichen Kontext bedroht scheint. Sie muss auch entsprechend handeln.
Die Kirche hat für die Menschen die Stimme zu erheben, deren Stimmen nicht gehört werden. Auch aktiv für sie einzutreten ist Teil ihrer Verantwortung. Wenn die Kirche diesen Auftrag ernst nimmt, lässt sie ihre Mitglieder, ihre Gemeinden und Dienste nicht nur die Wunden derer verbinden, die auf der Strecke zu bleiben drohen, sondern fällt als Institution auch mal „dem Rad selbst in die Speichen“, wie Dietrich Bonhoeffer es ausdrückt.
Die Kirche ist nicht Politik, aber sie ist politisch. Eine Kirche, die sich aus der Politik und den drängenden Fragen der Gesellschaft heraushält, ist eine unglaubwürdige, eine tote Kirche. Eine solche Kirche wäre nicht meine.