Der Anteil der Elb-Sozialdemokraten an den 16 Arbeitsgruppen ist für einen Stadtstaat recht hoch. Das zeigt, welches Gewicht Olaf Scholz inzwischen in der SPD hat.

Hamburg. Für einen Augenblick wurde Olaf Scholz ungehalten. Der Grund war, dass Anne Will sich am Mittwochabend in ihrer Talkshow nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ, dem Hamburger SPD-Bürgermeister ein eindeutiges Bekenntnis zum Mindestlohn abzuringen. „Der Mindestlohn wird im Koalitionsvertrag drinstehen. Das ist meine Prognose“, erwiderte Scholz und meinte, damit alles gesagt zu haben.

Doch Will sah darin noch ein kleines Schlupfloch und hakte deshalb nach: „Prognose oder Bedingung?“ Und dann entfuhr es Scholz, dass er sich ja wohl klar geäußert habe und die TV-Journalistin deshalb auch nicht nachzufragen brauche. Im nächsten Moment fing sich der Senatschef aber wieder und sagte, dass die Sozialdemokraten nur dann einen Koalitionsvertrag unterschreiben würden, „wenn der Mindestlohn drinsteht“.

Das war schon deshalb ein ungewöhnlicher Moment, weil es eigentlich zu Scholz’ Credo gehört, das Ende von Verhandlungen nicht vorwegzunehmen. Ihm waren noch in den Sondierungsgesprächen mit der CDU/CSU die Forderungen nach einer bestimmten Zahl von Ministerposten oder dem absoluten Nein zur Steuererhöhung zuwider gewesen. Für gewöhnlich lässt er sich vorab nicht festnageln und bleibt lieber im Vagen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er beim Bekenntnis zum Mindestlohn kein Staatsgeheimnis verraten hat. Was gab es also schon zu verlieren? Zumal dieses Thema bei den Sozialdemokraten gesetzt ist. Stehen die 8,50 Euro am Ende nicht im Koalitionsvertrag, die Parteimitglieder würden einem Bündnis mit der Union wohl nicht zustimmen. Und so machte es aus Sicht von Scholz auch nichts, dass er völlig entgegen seiner Natur der Beharrlichkeit und dem Charme seiner Gesprächspartnerin für einen winzigen Moment erlag.

Gut möglich, dass diese kleine Begebenheit untergeht bei den zahlreichen TV-Auftritten, die Scholz seit der Bundestagswahl vor fünf Wochen absolviert hat. Die landesweite Präsenz des stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden hat merklich zugenommen. Es war Scholz, der am Donnerstag vor einer Woche nach dem Ende der Sondierungsgespräche in den „Tagesthemen“ für seine Partei verkündete, dass man nun in Koalitionsverhandlungen mit der Union eintreten werde.

Wiederum eine Woche zuvor war er zu Gast in der Talkshow von Maybrit Illner. Die Auftritte sind sorgfältig ausgesucht. Nischensender haben es schwer. Die Sendungen müssen gute Quoten versprechen.

Für eine vergleichsweise gute Quote hat Scholz in einem ganz anderen Bereich gesorgt: nämlich bei den Hamburger Vertretern in den SPD-Arbeitsgruppen für die Koalitionsverhandlungen. Sieben Hamburger sind in den 16 Gruppen vertreten. Für einen Stadtstaat, der im Bundesrat lediglich drei von 69 Stimmen hat, eine ansehnliche Zahl.

Scholz selbst steht an der Spitze der Arbeitsgruppe Finanzen und Haushalt, wo er in den Verhandlungen mit der Union auf Wolfgang Schäuble trifft, den er noch aus eigenen Berliner Zeiten als Bundesarbeitsminister gut kennt.

Scholz, der sich seit seinem Amtsantritt zur Aufgabe gemacht hat, Hamburgs Gewicht im Bund zu erhöhen, hat es geschafft, etwa seine parteilose Kultursenatorin Barbara Kisseler in den Ausschuss Kultur und Medien zu hieven. Dort trifft sie – und das dürfte kein Zufall sein – auf Klaus Wowereit, Berlins Regierenden Bürgermeister, dessen Senatskanzlei sie von 2006 bis 2011 als Chefin geleitet hat.

Eine völlig klare Personalie ist Hamburgs Arbeits- und Sozialsenator Detlef Scheele, der für dieselben Ressorts in den Arbeitsgruppen verhandeln wird. Scheele war bereits Staatssekretär unter Scholz im Bundesarbeitsministerium. Er gilt daher nicht nur als Intimus des Senatschefs, sondern auch als ausgewiesener Experte auf seinem Gebiet. Letzteres wird zwar auch Guntram Schneider, Scheeles Amtskollegen aus Nordrhein-Westfalen zugesprochen, der ebenfalls in der Arbeitsgruppe vertreten ist. Doch Scheele wird durch seinen damaligen Job in der Großen Koalition ein größerer Einfluss auf Bundesebene nachgesagt.

Im Klartext verspricht man sich von Scheeles Expertise einfach mehr Durchschlagskraft bei den Verhandlungen mit der CDU/CSU. Offenbar so viel mehr, dass SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Manuela Schwesig ihn gebeten haben sollen, in die Arbeitsgruppe zu kommen, wie es heißt.

An der Wandsbeker Bundestagsabgeordnete und stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzende SPD Aydan Özoguz führte ebenfalls kein Weg vorbei. Sie besetzt die Unterarbeitsgruppe Integration. Gesetzt war auch der direkt gewählte Johannes Kahrs aus Mitte. Der stellvertretende Sprecher des Haushaltsausschusses wird sich um die Themen Euro und Bankenrettung kümmern.

Olaf Scholz hat von Anfang an von seinen Senatoren gefordert, sich bundespolitisch zu engagieren. Wenig Überredungskunst brauchte es, wie es heißt, bei Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks für die entsprechende Arbeitsgruppe. Weniger begeistert soll dagegen Bausenatorin Jutta Blankau gewesen sein. Sie wolle bundespolitisch ohnehin nichts werden, sei frei von derlei Eitelkeit.

Außerdem hat sie mit dem Wohnungsbauprogramm in Hamburg genug zu tun. Ein Engagement in den Koalitionsverhandlungen bedeutet schlicht noch mehr Arbeit. Doch derartige Argumente zünden bei einem Bürgermeister, der selbst ein Workaholic ist, überhaupt nicht. Blankau, so heißt es, soll sich darum kümmern, dass am Ende ordentlich Fördermittel für den Städtebau nach Hamburg fließen.

Darüber hinaus werden noch zwei andere Hamburger Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen nehmen. Allerdings gehören sie zur CDU: Dirk Fischer (Verkehr) und Landeschef Marcus Weinberg. Letzterer hat im Bereich Bildung derart überzeugt, dass die geschäftsführende Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ihn unbedingt in der Arbeitsgruppe haben wollte. „Aber eigentlich sind wir drei CDU-Hanseaten“, berichtigt Weinberg augenzwinkernd. „Angela Merkel kommt ja ursprünglich auch aus Hamburg.“