In der stark vom Kaufmannsberuf geprägten Hansestadt zeugt noch viel von der brutalen Kehrseite des Welthandels, den Kolonialkriegen. Kritiker mahnen: Nicht alle Erinnerungen sind richtig eingeordnet.

Wenn Migrationsforscher Louis Henri Seukwa durch die Stadt geht, mag er manchmal seinen Augen kaum trauen. Da begegnet er einem „Afrika“-Haus in der Großen Reichenstraße, einem Dominikweg und dem „Tansania-Park“ in Jenfeld. Dort steht das „Askari“-Relief aus Terracotta, das einen weißen Offizier in martialischer Pose und zwei schwarze Soldaten zeigt.

Oder der gebürtige Afrikaner betrachtet zwei Gedenktafeln im Hamburger Michel. Auf denen steht: „Aus Hamburg starben für Kaiser und Reich in China/in Afrika“. Erklärende Informationen über die wahren Hintergründe um die Jahrhundertwende? Fehlanzeige.

Was für die einen auf erstem Blick nach Nationalismus, aber auch der Sehnsucht nach fernen Kontinenten aussieht, ist für die anderen ein handfester Skandal. Zu denen gehört Professor Henri Seukwa von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Denn der aus Kamerun stammende Wissenschaftler weiß, dass es sich dabei um noch immer sichtbare Spuren eines schweren kolonialen Erbes handelt, von dem einst die Hamburger Kaufleute wirtschaftlich erheblich profitierten, aber Afrikaner um Leib und Leben fürchten mussten. Seukwa kann all den Relikten der Vergangenheit nicht viel abgewinnen. Zumal sie für den Betrachter nicht näher erläutert werden. Deshalb bezeichnet er den heutigen Umgang mit diesen Symbolen im öffentlichen Raum als „schockierend unsensibel“.

Der Erziehungswissenschaftler steht mit seinem Urteil nicht allein: Seit einigen Monaten gibt es in Hamburg eine wachsende kontroverse Diskussion über die deutsche Kolonialgeschichte – und ihren Umgang damit. Zunächst befasste sich im Frühjahr der Kulturausschuss der Bürgerschaft damit. Dann öffnete die Ausstellung „Freedom Roads! Koloniale Straßennamen, postkoloniale Erinnerungskultur“ ihre Pforten, die noch bis zum 22. September im Kunsthaus (Klosterwall) zu sehen ist. Außerdem organisierte die Evangelische Akademie der Nordkirche eine Podiumsveranstaltung im Michel. Spätestens seitdem ringt die Stadt mit ihrem blutigen kolonialen Erbe. „Zum ersten Mal gab es in Hamburgs zentraler Kirche eine öffentliche Diskussion über die Frage, wie eine angemessene Erinnerung an die Kolonialkriege gestaltet werden kann“, sagt Pastor Ulrich Hentschel von der Nordkirchen-Akademie.

Die Spuren der Kolonialgeschichte sind in der Hansestadt auf vielfältige Weise sichtbar. Das „Afrika“-Haus in der Großen Reichenstraße zum Beispiel wurde 1899 für die Firma C. Woermann gebaut, die Ende des 19. Jahrhunderts Hoheitsrechte über einige Küstenstriche des späteren Kameruns erworben hatte. Wie aus einer Aufsatzsammlung der Bündnisgrünen zum Thema „Hamburg und Kolonialismus“ hervorgeht, war der Hamburger Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordnete Woermann an einem internationalen Kupfer-Konsortium beteiligt. Doch der Kupferabbau am Nordrand des Hererogebietes löste blutige Kämpfe aus. Tatsächlich waren die deutschen Kolonialkämpfe in Afrika und China Eroberungskriege, sagt Pastor Klaus Schäfer, Missionsdirektor der Nordkirche. Allein in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, wurden zwischen 1904 und 1908 rund 65.000 bis 85.000 Herero sowie rund 10.000 Nama ermordet. Einige Wissenschaftler bezeichnen diese Kolonialkriege als „ersten Genozid des Jahrhunderts“.

Ein anderes Beispiel ist die Wißmannstraße in Wandsbek. Viele Bürger können mit der Bedeutung dieses Namens nicht mehr viel anfangen. Doch das Straßenschild soll an Hauptmann Hermann von Wißmann (1853 bis 1905) erinnern, der die Niederschlagung eines Aufstandes an der ostafrikanischen Küste angeordnet hatte – und zwar aufgrund wirtschaftlicher Interessen von Hamburger und Bremer Kaufleuten.

Auch der Dominikweg in Jenfeld, benannt nach dem Major der deutschen Schutztruppe in Kamerun, Hans von Dominik (1870 bis 1910), ist schlecht beleumdet. Der Truppenführer pflegte die von ihm dirigierten Überfälle auf afrikanische Dörfer stets mit „Waidmanns Heil“ zu eröffnen, schreibt Buchautor Jürgen Petschull. Noch heute sei Dominik in Kamerun weithin unter dem Beinamen „Schreckensherrscher von Kamerun“ bekannt.

Oder Heinrich-Carl von Schimmelmann (1724 bis 1782), der einst das Wandsbeker Schloss bauen ließ. Nach ihm sind noch heute Hamburger Straßen benannt. Der Adlige besaß eine Plantage mit mehr als 1000 Sklaven. Wie er seine Arbeiter brutal in der Karibik unterdrücken ließ, empörte damals den berühmten Wandsbeker Dichter Matthias Claudius. In seinem Gedicht „Der Schwarze in der Zuckerplantage“ heißt es: „Weit von meinem Vaterlande / muss ich hier verschmachten und vergehn / ohne Trost in Müh und Schande / … Hilf mir armen, schwarzen Mann.“ Insgesamt erinnern in Hamburg noch rund 110 Straßennamen an die hanseatische Kolonialgeschichte, hat das Projekt „Afrika-Hamburg“ herausgefunden.

Für Professor Seukwa gibt es freilich noch weitere Relikte. „Spuren der deutschen Kolonialgeschichte sind in der Tat an diversen Orten zu finden“, sagt er. Er denkt dabei nicht nur an die Straßennamen und die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne in Jenfeld, sondern auch an den Tierpark Hagenbeck. „Denn der hat mit seiner so genannten ‚Völkerschau‘ fremde Menschen unter anderem aus Afrika als exotische ‚Tiere‘ zur Schau gestellt.“ Seukwa fordert deshalb von Hamburger Senat und der Bürgerschaft, sich zur historischen Verantwortung der Hansestadt zu bekennen und „Maßnahmen zur gerechten Versöhnung mit den Nachkommen von Opfern kolonialer Grausamkeiten zu ergreifen“. Unterstützung erhält er etwa vom Hamburger Grünen-Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin. Eine Stadt, die mit Recht stolz auf die wirtschaftliche Rolle ihres Hafens schaue, habe auch die Aufgabe, die Kehrseiten des Welthandels zu diskutieren.

Ein erster Anfang dazu ist bereits gemacht. Die Wandsbeker Bezirksversammlung entschied bereits im November vergangenen Jahres, die Wißmannstraße und den Dominikweg umzubenennen. In einer interfraktionellen Petition hat der Kulturausschuss der Bürgerschaft den Senat inzwischen ersucht, ein entsprechendes Erinnerungskonzept zu initiieren. Daran sollen Vertreter von Hamburgs Partnerstadt Daressalam in Tansania sowie lokale Hamburger Vereine und Initiativen einbezogen werden. Ein erster Bericht des Senats soll bis Jahresende vorliegen. Danach, kündigte Norbert Hackbusch (Linke), Vorsitzender des Kulturausschusses der Bürgerschaft, an, werde sich die Bürgerschaft erneut mit dem Thema befassen.

Hackbusch rechnet allerdings damit, dass die Aufarbeitung des nur unzureichend erforschten Kolonialerbes viel Zeit benötigt. „In diesem Sektor der Erinnerung fehlt noch fast alles“, sagt er. „Dazu kommt, dass diese Zeit im Hamburger Denken wenig präsent ist. Aber ohne die bewusste Aufarbeitung und Erinnerung der kolonialen Vergangenheit wird Hamburg nicht wirklich weltoffen sein.“