Was Sie über den Volksentscheid zum Netzerückkauf am Sonntag wissen müssen. Die Kontrahenten und ihre Argumente im Überblick.
Hamburg Wochenlang wurden die Argumente ausgetauscht – nun wird abgestimmt. Beim Volksentscheid am Sonntag entscheiden die fast 1,3 Millionen abstimmungsberechtigten Hamburger darüber, ob die Stadt die Energienetze zurückkaufen soll oder nicht. Das Abendblatt gibt noch einmal einen Überblick darüber, worum es geht und welches die wichtigsten Argumente für und gegen den Rückkauf sind.
Worum es geht
Mit der Privatisierung von HEW und Hein Gas hat Hamburg auch die Energienetze verkauft. Das Netz aus Kabeln und Rohren erreicht mit mehr als 35.000 Kilometern fast die Länge des Äquators. Am längsten ist das Stromnetz mit 27.500 Kilometern, gefolgt vom 7300 Kilometer umfassenden Gasnetz. Am kürzesten ist mit 800 Kilometern das Leitungsnetz der Fernwärme. Weil die Konzessionen auslaufen, hätte Hamburg jetzt die Möglichkeit, das Netz wieder zurück in städtische Hand zu überführen. Dazu müsste die Stadt sich um die Konzessionen bewerben und die Energienetze von den derzeitigen Betreibern Vattenfall (Strom und Fernwärme) und E.on (Gas) zurückkaufen. Das ist es, was die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ mit dem Volksentscheid durchsetzen will.
Die Kontrahenten
Die Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ wurde vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hamburg, der Verbraucherzentrale und der Diakonie des Kirchenkreises Hamburg-Ost ins Leben gerufen und wird von rund 50 Organisationen unterstützt. Auch Grüne und Linke sind für einen vollständigen Rückkauf der Netze und werben für ein Ja beim Volksentscheid.
Auf der anderen Seite stehen der SPD-Senat, CDU, FDP und die Initiative „NEIN zum Netzkauf“. Darin sind Wirtschaftsverbände organisiert, auch Handels- und Handwerkskammer, Steuerzahlerbund und die Gewerkschaft IGBCE. Am Freitag rief diese Initiative gegen den Rückkauf die Hamburger vor dem Rathaus dazu auf, beim Volksentscheid mit Nein zu stimmen.
Die Argumente der Befürworter
Die Befürworter halten den Rückkauf für ein gutes Geschäft, da mit den Energienetzen Geld verdient werden könne. Das zeige sich schon daran, dass Vattenfall und E.on die Netze unbedingt behalten wollten. Als Beleg werden dabei auch die Gewinne herangezogen, die 2012 mit den Netzen gemacht wurden: Vattenfall verdiente nach eigenen Angaben 48 Millionen Euro allein mit dem Stromnetz. Den Gewinn aus dem in der Regel noch lukrativeren Fernwärmenetz hat Vattenfall noch nicht veröffentlicht. E.on machte mit dem Gasnetz im vergangenen Jahr 17,6 Millionen Euro Gewinn. Zudem brauche man die Netze „für eine aktive Gestaltung der Energiewende“, sagt Initiativen-Sprecher Manfred Braasch.
Auch betonen die Befürworter des Rückkaufs, dass dies die letzte Chance sei, das lukrative und für die Energiewende besonders wichtige Fernwärmenetz zurückzukaufen. Und sie sagen, dass Vattenfall nicht der richtige Partner für Hamburg sei, weil der Konzern Deutschland wegen des Atomausstiegs verklagt habe. Zudem trage sich der Konzern mit Abwanderungsgedanken und man wisse nicht, an wen Vattenfall dann seine Anteile verkaufe. „Besser, die Stadt ist selber Herr im Haus“, so Braasch.
Die Argumente der Gegner
Die Gegner halten den Rückkauf für zu teuer und zu riskant. Sie verweisen darauf, dass ein 100-prozentiger Kauf des Netzes rund zwei Milliarden Euro kosten würde. Diese Schätzung ergibt sich aus dem Preis, den der SPD-Senat für einen Anteil von 25,1 Prozent an den Netzen gezahlt hat, nämlich 543,5 Millionen Euro. Die Beteiligung garantiert laut Bürgermeister Olaf Scholz Einfluss auf die Geschäftspolitik. Zudem erhält die Stadt in den kommenden Jahren eine garantierte Dividende. Vattenfall und E.on haben überdies Investitionen in die Modernisierung der Netze von 1,6 Milliarden Euro zugesagt. So lasse sich die Energiewende gemeinsam mit den Unternehmen umsetzen.
Zudem verweisen die Gegner des Rückkaufs darauf, dass keineswegs alle Netzbetreiber immer Gewinne machen. So habe Vattenfall im Jahr 2008 einen Verlust von 26,7 Millionen Euro aus dem Netzbetrieb gemeldet. Auch hätten einige Kommunen mit ihren Netzen zuletzt rote Zahlen geschrieben. Überdies sei nicht gesichert, dass Hamburg die Konzessionen für das Netz bekomme. Vattenfall und E.on würden sich wohl auch wieder um die Konzessionen bewerben. In der Folge, fürchtet der Bürgermeister, könnte es zu jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen kommen.
Was sagen die Experten?
In der Bürgerschaftsanhörung fand die 25,1-Prozent-Beteiligung keinen Zuspruch bei Experten. Es sei sinnvoller, sich gar nicht oder mit einer Mehrheit an den Netzen zu beteiligen, hieß es. Wirtschaftsrechtler Roland Broemel aber sagt beim Vergleich zwischen Scholz-Lösung und Rückkauf: „Eine Empfehlung aus wissenschaftlicher Sicht ist nicht möglich. Es handelt sich um eine politische Entscheidung.“