Kurz vor dem Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze in Hamburg wird der politische Streit zunehmend polemisch und auch persönlich. Besonders tief ist der Graben zwischen SPD und Grünen geworden.
Auf den letzten Metern vor dem Volksentscheid über den vollständigen Rückkauf der Energienetze ist der politische Streit zunehmend polemisch und auch persönlich geworden. Befürworter und Gegner beharkten sich in immer kürzeren Zeitabständen mit Vorwürfen und Unterstellungen. Besonders tief ist der Graben zwischen zwei Parteien geworden, die schon einmal Partner auf der Senatsbank waren: SPD und Grüne.
Die derzeit allein im Rathaus regierenden Sozialdemokraten verteidigen die von ihnen durchgesetzte Viertel-Beteiligung an den Strom-, Gas- und Fernwärmenetzen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte schon vor seinem Amtsantritt 2011 den Kurs vorgegeben, dass ein kompletter Rückkauf der Netze mit zwei Milliarden Euro viel zu teuer sei und der Besitz von Rohren und Leitungen klimapolitisch nichts bringe. Die Grünen stehen auf der anderen Seite und unterstützen die Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, deren Ziel der 100-prozentige Rückerwerb der Netze in städtischen Besitz ist, über den die Hamburger an diesem Sonntag abstimmen.
In der Schlussphase vor dem Wählervotum erwiesen sich zwei Politiker als die Ober-Raufbolde des Netze-Streits: SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und sein Pendant von den Grünen, Jens Kerstan. Die beiden schenkten sich gegenseitig nichts. „Dem Kollegen Kerstan gehen die Argumente aus, und er nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis“, empörte sich Dressel per Pressemitteilung. „Die SPD redet wortreich am Thema vorbei. Wie immer dementiert Herr Dressel Dinge, die wir nie behauptet haben“, konterte Kerstan. „Lieber Kollege Kerstan, lesen hilft – auch bei den eigenen Fragen und Antworten“, legte Dressel nach. Es vergingen nur wenige Minuten, ehe Kerstan per Presseerklärung retournierte: „Herr Dressel dreht eine weitere Runde um den heißen Brei.“
Dressel und Kerstan sind durchaus unterschiedliche Politikertypen. Der Grüne ist ein geborener Oppositionspolitiker aus der Abteilung Attacke, der zu großer Form aufläuft, wenn er Nadelstiche gegen den Senat setzen kann – mit Witz und Polemik. Die Lust am Zündeln ist bei Kerstan so groß, dass er selbst zu Zeiten des schwarz-grünen Bündnisses den eigenen Senat gelegentlich vor sich hertrieb, wenn er – wie etwa während HSH-Nordbank-Krise – den Eindruck hatte, dass es zu lange dauerte, bis notwendige Entscheidungen getroffen wurden. „Jens Kerstan macht auf Volkstribun, ohne es zu sein, und er treibt es dabei manchmal eine Gewindedrehung zu weit“, urteilt Dressel.
Der Sozialdemokrat neigt vom Typ her nicht zu Polarisierung und Polemik. Von daher liegt ihm auch seine Rolle als Chef der Mehrheitsfraktion in der Bürgerschaft, die mehr auf Ausgleich und Verteidigung der Senatspolitik angelegt ist als auf Angriff. Für Kerstan ist Dressel ein „Manager, der sich um Verbindlichkeit nach allen Seiten bemüht“. Er sei freundlich und offen im Umgang, vertrete aber knallhart die Interessen der SPD. Beim Streit über den Netze-Rückkauf habe Dressel jedoch in den „Kampfmodus“ umgeschaltet und den „Ausputzer“ der Gegner der Rekommunalisierung gespielt. Kerstan macht als Ursache für den Polemikschub bei Dressel die „hohe Nervosität“ auf Seiten der Gegner des Rückkaufs angesichts einer drohenden Niederlage aus.
Das sieht der SPD-Politiker natürlich anders. „Mich hat geärgert, dass die Volksinitiative und auch Jens Kerstan immer wieder Dinge wider besseren Wissens behauptet und die olle Kamelle vom angeblich bösen Unternehmen Vattenfall erzählt haben“, sagt Dressel. Da habe er sich entschieden, die „Abteilung Gegenattacke“ zu leiten. Das Austeilen der Rückkauf-Befürworter gegen Vattenfall hat den SPD-Mann besonders gewurmt, weil ja auch nach einem erfolgreichen Volksentscheid das schwedische Unternehmen Energieerzeuger in Hamburg bleibt. Es geht also bei der Abstimmung gerade nicht um die Entscheidung, ob Hamburg Stadtwerke nach dem Vorbild der angeblich guten alten HEW zurückbekommt oder nicht. „Was interessieren Jens Kerstan die Fakten, wenn sie nicht in seine Kampagne passen?“, zürnt Dressel.
Inzwischen sind auch diese beiden Kombattanten etwas ermattet. Am Donnerstagsabend, nach der Sitzung des Haushaltsausschusses, frotzelte Dressel Kerstan an: „Na, ziehst Du jetzt Dein grünes T-Shirt an und verteilst noch ein paar Flyer?“ Doch der Obergrüne war nicht mehr auf Wahlkampf gestimmt. Dass das Tischtuch zwischen den beiden Fraktionschefs nach den Attacken auf Dauer zerschnitten ist, steht nicht zu erwarten. „Mit ihm würde ich ein Bier trinken, und davon gibt es bei der SPD nicht so viele“, sagt Kerstan über Dressel. „Auf unserer Ebene bleiben keine Beschädigungen nach“, ist sich auch der SPD-Mann sicher.
Etwas anders sieht es zwischen den beiden Parteien aus. Nach der nächsten Bürgerschaftswahl 2015 könnten Verhandlungen über eine Neuauflage eines rot-grünen Bündnisses anstehen. Während Dressel das Verhältnis zwischen Roten und Grünen pragmatisch sieht, betont Kerstan, dass die vergangenen Wochen der Polarisierung in der Energiepolitik „Spuren hinterlassen“ hätten. Es gebe eine „Verbitterung“ bei den Grünen, weil die SPD unter Führung von Olaf Scholz „bei den Kernthemen grüner Politik Desinteresse zeigt“. Dazu zählten nun einmal die Bereiche Umwelt und Klimawandel. Und genau darum gehe es ja letztlich auch beim Rückkauf der Energienetze.
SPD und Grüne haben sich im Rathaus eben noch nie etwas geschenkt.