Zwei Jahre nach dem Umbau klagen Anwohner auch über Trinker auf dem Platz. Kritik an Kiosk, der mit Bier zu Dumping-Preisen Trinker anlockt. Die Polizei sieht sich auf einem guten Weg.

St. Georg Die Gegensätze könnten größer nicht sein. An der einen Ecke wirft ein luxussanierter Gründerzeitbau seinen makellosen Schatten auf ein Immobilienbüro. Und auf der anderen Seite bieten streng geschminkte Damen ihre Liebesdienste an. Seitdem das Kontaktverbot wie ein Bann über dem Zentrum St. Georgs liegt, präsentieren sich Frauen und Transvestiten diskret. Draußen warten die Prostituierten nur noch, die Verabredungen werden in den billigen Souterrain-Kneipen getroffen.

Der Hansaplatz hat sein Gesicht in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Von Hamburgs Drogenhölle, dem Fixerort schlechthin, auf dem an manchen Tagen Hunderte Süchtige zusammenkamen, zu einem 2011 komplett umgestalteten Platz, der als Verbindung zwischen Langer Reihe und den bahnhofsnahen Hotels Nachtschwärmer anzieht, an dem Asia-Küchen mit Feinschmecker-Restaurants konkurrieren und Außengastronomie zum Schwatz beim Galão verführt.

Doch das Erreichte sei in Gefahr, warnen Anwohner, fürchten einen Rückschritt in alte Zeiten. „Seit etwa eineinhalb Jahren sind vermehrt Drogendealer anzutreffen und Austauschhandlungen zu beobachten“, sagt ein Bewohner der Rotklinkerbauten vis-à-vis von Hansa-Treff und Astra-Stübchen, den alten Kneipen. Seit 30 Jahren wohnt er hier. „Mehr Prostituierte patrouillieren auf dem Platz. Ganz offen werden Hehlerwaren verkauft. Außerdem gibt es vermehrt Einbrüche, Überfälle und Schlägereien.“

Vor allem abends nehme der Lautstärkepegel auf dem Platz drastisch zu: „Nachts kann man wegen der Leute mit ihrem Geschrei of nicht schlafen.“ Menschen würden auf dem Boden kampieren, Feuer machen, singen, sich streiten. „Besucher seien belästigt worden. Es gab Übergriffe auf Unbeteiligte.

Insbesondere eines habe den Platz um zwei bis drei Jahre zurückgeworfen, sagt Max Hirsch, der seit zehn Jahren im Viertel wohnt und 2010 das Restaurant „Doria“ an der Ecke zur Brennerstraße eröffnete. Seit vorigem Weihnachten locke ein Kiosk mit Bier zu Dumping-Preisen Trinker an. Die sorgten durch Lärmen, Flaschen kaputt schmeißen und Wildpinkeln für Belästigung. Allerdings, sagt Hirsch auch, „im Vergleich zu den Zuständen, die hier vor fünf oder zehn Jahren geherrscht haben, ist es immer noch sehr friedlich.“ Dazu trage auch die Polizei mit einer lobenswerten Deeskalationsstrategie bei.

Der Kiosk ist beim Bezirk Mitte als „Gaststätte“ samt Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und dem Vertrieb von DVDs und Zubehör angemeldet. Zu letzterem zählen auch Alkoholika in geschlossenen Gefäßen. Solange die nicht im Laden getrunken würden, sei theoretisch alles in Ordnung, sagt Bezirkssprecherin Sorina Weiland. Und: Mit dem Prädikat „Gaststätte“ ist der Kiosk nicht an den Ladenschluss gebunden. Verkauft wird auch Sonntags. Ein Eldorado für Alkoholiker.

Deren Lieblingsplatz ist der Brunnen. Weil seine Wasserleitungen gerade repariert werden, sind die Stufen abgesperrt. Nach deren Freigabe werden sie wieder Anziehungspunkt, befürchten die Anwohner. Das könnte man verhindern, sagt Max Hirsch. „Eine Gastronomiekette wollte mal rund um den Brunnen Tische aufstellen, Kaffee und Kuchen verkaufen“, so Hirsch. Das Vorhaben wurde nie realisiert.

Für Martin Streb, den Vorsitzenden des Einwohnervereins, gibt es nur eine Lösung: Die Einrichtung des schon lange geforderten Trinkerraums. Nachdem die Trinkergruppen vom Hauptbahnhof vertrieben wurden, habe sich die Szene in den Stadtteil verlagert. „Es ist dringend notwendig, dass man diesen Menschen eine betreute Unterkunft anbietet“, sagt der Architekt. Auch unter der Straßenprostitution würden die Anwohner sehr leiden. Zwar habe sich die Gesamtsituation durch die Kontaktverbotsverordnung beruhigt; dennoch vermuteten viele hinter der Zunahme der Prostituierten mit südosteuropäischem Hintergrund mafiöse Strukturen.

Aus polizeilicher Sicht ist der Hansaplatz ein besonderer Ort. Nirgendwo in Hamburg gelten mehr Regularien: Kontaktverbot (gegen Prostitution), Gefahrengebiet (gegen Drogen), Sperrgebiet, Waffenverbotszone. Die Kontrolldichte durch Polizisten ist besonders hoch, heißt es. Das hat sich gelohnt. Nach mehreren Jahren der Überwachung mit Kameras, die 2009 abgebaut wurden, folgte bis 2011 der Umbau des Platzes. Jetzt kann er von fast jedem Standort vollständig eingesehen werden. Versteckte Geschäfte jeder Art sind schwieriger geworden.

Von 2007 bis heute sei die Zahl der ortstypischen Delikte am Platz um 60 Prozent gesunken, sagt Wolfgang Austen, 50, Vizechef der Wache 11 am Steindamm. „Die bisherige Entwicklung ist aus unserer Sicht deutlich positiv.“ Was die Polizei aktuell dort erlebe, sei nicht Schwerkriminalität, sondern meist Streit innerhalb der Trinkergruppen. „Der eine leiht dem anderen Geld, Alkohol wird gekauft, das Geld wird nicht zurückgegeben“, sagt Joachim Kalina, 52, einer von sechs Stadtteilbeamten im Revier. „Im Vergleich zu den Bilder von vor 25 Jahren ist das heute ein ganz anderes Geschehen.“ Für die Polizei sei das Erreichte aber kein Grund, sich zurückzulehnen, sagt Austen. „Maßvolles Verdrängen und Eindämmen ist das Konzept, dazu hilft die Verunsicherung über polizeiliche Präsenz.“

Michael Schulz bleibt von den abendlichen Ruhestörungen und Ärgernissen verschont – er arbeitet tagsüber im Stadtteilbüro direkt am Hansaplatz. „Bei gutem Wetter herrschen hier angenehmes Flair und gute Stimmung“, sagt Schulz. Sicher gebe es auch am Tage mal Pöbeleien von Trinkern oder Zuhältern – dennoch habe sich der Platz zu einem lebendigen Stadtteil-Zentrum entwickelt. „Gerade erst wurde hier der Kunstpreis vergeben.“ Bei der Veranstaltung habe ein ganz friedliches Miteinander zwischen Besuchern und Betrunkenen geherrscht.