Die Hamburger Bürgerschaft streitet zum letzten Mal vor dem Volksentscheid: SPD wehrt sich gegen Angriffe der Grünen und Linken. Die Fronten sind verhärtet.
Altstadt. „Lügen“, „Verfolgungswahn“, „Wahlbetrug“, „personeller Filz“, „Propaganda“: Der Ton wird rauer und zunehmend aggressiv, wenn es um die Zukunft der Hamburger Strom-, Gas- und Fernwärmenetze geht. Der letzte Schlagabtausch in der Bürgerschaft vor dem Volksentscheid zum vollständigen Rückkauf der Energienetze überbot nochmals die hitzigen Debatten in den vergangenen Wochen.
Elf Tage, bevor rund 1,3 Millionen abstimmungsberechtigte Bürger über die Zukunft der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze entscheiden können, kämpfen Gegner und Befürworter des Netzerückkaufs eisern für ihre Position – und dabei lassen sie kein gutes Haar am jeweils anderen. Mehrfach musste Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) mit der Glocke zur Ruhe ermahnen, es gab unzählige Zwischenrufe.
Zunächst schossen die Grünen gegen den von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ausgehandelten Deal mit Vattenfall, bei dem die Stadt 25,1 Prozent an den Energienetzen erwarb und dafür 543 Millionen Euro bezahlte. „Dieses Geschäft kennt in Hamburg nur Verlierer“, sagte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan, der sich darüber mokierte, dass ein hoher Beamter mit SPD-Parteibuch kurz vor Beginn der Verhandlungen zwischen Senat und Vattenfall als Berater zu dem schwedischen Energiekonzern gewechselt war. „Das halte ich für beunruhigend – der Senat kann offenbar nicht unterscheiden zwischen SPD, Stadt und Energiekonzern.“ SPD-Fraktionschef Andreas Dressel warf Kerstan daraufhin vor, mit solchen Reden die politische Kultur zu beschädigen. „Mit Dreck auf ehemalige Mitarbeiter zu werfen, ist unanständig“, sagte er. Dressel kritisierte, dass die Grünen, die das Thema Netze unter dem Titel „25,1-Prozent-Beteiligung an den Energienetzen: Beim Scholz-Modell gibt es nur Verlierer“ auf die Tagesordnung gesetzt hatten, „Wahlbetrug mit Ansage“ betrieben. „Sie verkaufen die Menschen für dumm“. Zudem echauffierte sich der SPD-Politiker darüber, dass der Grünen-Abgeordnete Till Steffen für die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ Bürgermeister Olaf Scholz per Gericht einen Maulkorb verpassen lassen will. „Der Bürgermeister soll nicht mehr über die Kosten sprechen dürfen. Was ist das für ein Demokratieverständnis?“ Dressel: „Auf die zwei Milliarden Schulden hinzuweisen, die bei einem kompletten Rückkauf der Netze entstehen würden, ist unsere Aufgabe.“
Auch CDU-Energieexpertin Birgit Stöver zeigte sich entsetzt über den Maulkorb für Scholz. „Ihnen gehen die Nerven durch und die Befürworter abhanden“, raunte sie in Richtung Kerstan, der immer wieder ins Visier der Rückkaufgegner geriet. Die Gemeinschaft, die einen kompletten Netzerückkauf für unsinnig und schädlich halte, werde immer größer. Den Befürwortern der Rekommunalisierung der Netze gingen die Argumente aus. Stöver: „Was bleibt, sind Unwahrheiten, Propaganda und Deformierungen.“
Die Fronten sind verhärtet. Daraus machte auch die FDP gestern keinen Hehl. „Dass die Befürworter nun zu Verzerrungen, juristischen Winkelzügen und dem Versuch greifen, Maulkörbe durchzusetzen, ist unwürdig“, sagte Katja Suding, Fraktionschefin der Liberalen. Es sei ein Armutszeugnis für das Demokratieverständnis der Grünen, deren Kampagne, „groteske Züge des Verfolgswahns“ annehme. Denn eigentlich wollten die Grünen nur „ein ihnen verhasstes Unternehmen aus der Stadt vertreiben“, sagte Suding. Die FDP sei zwar nach wie vor nicht für eine 25,1-Prozent-Beteiligung des Senats. „Den gut 500 Millionen Euro, müssen aber nicht noch mal 1,5 Milliarden hinterhergeworfen werden.“
Nicht weniger zimperlich zeigte sich Dora Heyenn, Vorsitzende der Linken-Fraktion, die wie die Grünen für den 100-Prozent-Rückkauf kämpft. „Die SPD spielt ein falsches Spiel“, sagte Heyenn. „Allen Unwahrheiten, die SPD, CDU und FDP ständig wiederholen, zum Trotz: Nur eine 100-prozentige Übernahme der Netze in die öffentliche Hand führt zu einer sozial gerechten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten Energieversorgung.“ Gewinne aus den Netzdurchleitungen sollten dem Haushalt zugutekommen und nicht dem schwedischen Staat oder Aktionären von Energiekonzernen.
Bürgermeister Olaf Scholz trat nicht ans Rednerpult, er schickte seinen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD). Dieser verwies darauf, dass das Geschäft zwischen Stadt und Vattenfall genau untersucht worden sei. „Mit dem Ergebnis, dass der Kaufpreis angemessen ist“, sagte Tschentscher. Er betonte, dass die Erträge im Netzgeschäft nicht sicher seien, im Gegensatz zur Garantiedividende. „Zudem macht ein kompletter Netzerückkauf den Strom nicht grüner und nicht günstiger.“