Aufgrund der erheblichen Überkapazitäten an Transportschiffen und nicht auskömmlicher Frachtraten bluten immer mehr Unternehmen finanziell aus. Banken wollen keine Kredite mehr geben.
Hamburg. Die maritime Branche ist inzwischen schlechte Nachrichten gewöhnt. Negative Überraschungen gehören fast zum Tagesgeschäft. So sorgt auch die jüngste Meldung für vergleichsweise wenig Aufsehen, wonach die traditionsreiche Reederei Ahrenkiel nach 63 Jahren Eigenständigkeit zum Verkauf steht. Das stark angeschlagene Unternehmen redet mit mehreren Investoren, um die Flotte von insgesamt 37 Handelsschiffen zu veräußern. Nach Informationen des Abendblatts sind noch zwei Anbieter an der Gruppe interessiert, die 150 Mitarbeiter an Land und 1150 Seeleute beschäftigt.
Ahrenkiel ist nur eines von vielen Beispielen. Vier von fünf deutschen Reedern rechnen nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PrivewaterhouseCoopers (PwC) in diesem oder im kommenden Jahr mit Übernahmen und Zusammenschlüssen. So tun sich zum Beispiel Jürgen Schulte und Erck Rickmers zusammen. Und sein Bruder Bertram Rickmers und die Reedereien F. Laeisz und H. Schuldt gründen ein gemeinsames Frachtkontor. In der Vergangenheit gingen die Hamburger Reeder alle verschwiegen ihren Geschäften nach und tauschten sich allenfalls bei gemeinsamen Segelwettfahrten aus. Das ist vorbei.
Denn immer mehr Unternehmen sind auf Hilfe von außen angewiesen, zum einen um den laufenden Betrieb der fahrenden Flotte zu finanzieren, zum anderen um mit Schiffsneubauten auch in Zukunft am Markt mitspielen zu können. Zugleich drängen zahlungskräftige Ausländer in den deutschen Schifffahrtsmarkt: Die beiden Gesellschafter des Hamburger mit Schiffsfonds groß gewordenen Emissionshauses König & Cie., Tobias König und Jens Mahnke, haben insgesamt 80 Prozent ihrer Firmenanteile an zwei amerikanische Investoren veräußert. Die US-Bank Goldman Sachs unterstützt die Bremer Reederei Harren bei der Neuausrichtung ihres Geschäfts. Und die bekannte Rickmers Gruppe des Hamburger Reeders Bertram Rickmers hat die globale Investmentgesellschaft Oaktree ins Boot geholt, um umweltverträglichere Containerschiffe zu bauen. Gleichzeitig werden immer mehr deutsche Schiffe ins Ausland verkauft. So hat die HSH Nordbank jüngst zehn insolvenzreife Schiffe auf einen Schlag an eine griechische Reederei veräußert.
„Die Branche ist in Bewegung. Es gibt etliche Gespräche zwischen Reedern über eine Zusammenarbeit oder eine Fusion. Andere verhandeln mit ausländischen Investoren“, sagt der PwC-Schifffahrtsexperte Claus Brandt. Allen Beteiligten ist klar: Der deutsche Schifffahrtsmarkt wird nie wieder so aussehen wie vor den tief greifenden Umwälzungen. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, welche die meisten Branchen längst überwunden haben, krankt die Schifffahrt. Die Wachstumsraten der Weltwirtschaft seien nicht so hoch wie erwartet, und der Welthandel laufe nicht so dynamisch, sagt Burkhard Lemper, Direktor am Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL). Deshalb kämpfe die Handelsschifffahrt weiter mit Überkapazitäten und anhaltend niedrigen Fracht- und Charterraten.
Der Verband Deutscher Reeder (VDR) warnt davor, dass die heimische Handelsflotte erstmals seit 22 Jahren wieder schrumpft. Die Zahl der Schiffe sank seit Oktober 2012 um 207. „Die Zahl der von Deutschland aus bereederten Schiffe sowie die Tonnage gehen zurück. „Es gibt insgesamt noch keine durchgreifende Ratenerhöhung“, sagte VDR-Chef Ralf Nagel dem Abendblatt. „Für den Schifffahrtsstandort Deutschland sind die kommenden ein, zwei Jahre sehr entscheidend.“ Mit Marktkrisen könnten die Unternehmen grundsätzlich umgehen. Aber die Banken müssten auf Druck der neuen Bankenregulierung Basel III, der Bundesbank und des Aufsichtsinstituts Bafin ihre Kreditportfolios deutlich verkleinern. Das bekämen kleine und mittlere Reedereien besonders zu spüren, so Nagel. „Das ist schon deshalb bitter, weil diese Unternehmen erwiesenermaßen ihre Schiffe sehr effizient und kostengünstig managen.“ Am Ende werde die Zukunft des Standortes davon abhängen, wie die Reeder das benötigte Kapital beschaffen können, sei es zum Beispiel durch Anleihen oder durch die Gewinnung neuer Investoren. „Die Finanzierungskompetenz und das Finanzierungspotenzial werden über Wohl und Wehe der Branche und der Unternehmen maßgeblich entscheiden“, sagt Nagel.
PwC-Experte Brandt geht jedenfalls nicht davon aus, dass die Schifffahrtsbranche aus Hamburg verschwinden wird. Aber sie wird kleiner und sicherlich ihr Gesicht grundlegend verändern. „Auch wenn Deutschland in Zukunft nicht mehr die größte Containerflotte der Welt haben sollte, der Schifffahrtsstandort bleibt bestehen. Von ausländischen Investoren hören wir, dass sie die bestehenden Strukturen nutzen und die Schiffe in den Händen der Reedereien belassen wollen“, sagt Brandt. Klar sei aber auch, dass die Konsolidierung zu einem Konzentrationsprozess führe, bei dem am Ende nur größere Reedereien übrig blieben.
Und auch deren Probleme werden sich so schnell nicht lösen: „Die Schifffahrt wird in diesem Jahr auf jeden Fall noch von Überkapazitäten geprägt sein“, prognostiziert ISL-Professor Lemper. Im kommenden Jahr werde es allenfalls Verschiebungen innerhalb der Segmente geben: „Das Überangebot bei den Großschiffen baut sich weiter auf, bei den kleinen Schiffen ab. Der Grund dafür ist, dass beim Neubau für die übergroßen Containerschiffe weitere Orders eingehen, nicht aber im Feedersegment, wo die Flotte schrumpft.“
Mittelfristig sieht Lemper in dieser Entwicklung ein neues Problem, nämlich – viele Branchenbeobachter mögen es kaum glauben – einen Mangel an Schiffen: „Die OECD erwartet für das Jahr 2014 ein Wachstum des Welthandels von 5,4 Prozent, danach bis 2018 sogar von 6,3 Prozent. Selbst bei vorsichtiger Annahme könnte die Containerschifffahrt also um acht Prozent wachsen. Das bedeutet, dass wir dann bei den kleinen Schiffen im Feedersegment sogar eine Situation der Knappheit bekommen könnten.“ Ob es Ahrenkiel dann noch gibt, ist offen.