In einem dreitägigen Workshop entwickelten Kinder und Jugendliche Projekte für die Gestaltung von öffentlichen Räumen und bauten anschließend den „Hingucker 2013“.

Hamburg. Irgendwann musste sie ja kommen, die Frage nach dem TÜV. Ob der Technische Überwachungsverein wohl die gewaltige Holzkonstruktion abnehmen wird, die dort jetzt auf dem Rasen vor dem Haus der Jugend im Osdorfer Born sehr stolz etwa drei Meter in den Himmel ragt? Ist die ungesicherte Sitzfläche in 1,50 Meter Höhe nicht vielleicht zu gefährlich? Stehen die einzelnen Balken zu weit raus? Ist die Unfallgefahr zu groß?

Aber so ist das wohl, wenn Jugendliche in ihrem Stadtteil einen echten Hingucker bauen. Dann steht das Experiment eindeutig über der Norm. Genau das war ja die Aufgabe des dreitägigen Workshops: Wir bauen den Hingucker 2013! Ein Projekt von Jugend Architektur Stadt, kurz JAS, mit dem in Berlin, im Ruhrgebiet und eben auch in Hamburg einmal im Jahr die Gestaltung öffentlicher Räume durch Jugendliche ausprobiert wird.

Die rund 40 Jugendlichen, die für diesen Ferienworkshop begeistert werden konnten, hatten zuvor erst mal Ideen gesammelt für den Born. Diesen Stadtteil in Hamburgs Westen, der häufig und gerne auf seine graue 1970er-Jahre Hochhausarchitektur reduziert wird. Und dabei trotz der hässlichen Lichtdiebe aus Beton so viele grüne Flächen hat.

Auf bunten kleinen Pappen haben die jungen Menschen schließlich mehr als drei Dutzend spannende Vorschläge festgehalten: ein Untergrundspielplatz zum Beispiel oder ein großes Herz mit allen Namen von Osdorf. Sie wünschten sich eine goldene Sitzbank für die Verliebten oder Grillstationen, einen Baum der Erinnerung, große Steine zum Klettern oder sogar ein Königreich.

Und schließlich: Ein großer Thron war gewünscht, auf dem ganz viele sitzen können. „Wir haben erst zwei kleine Modelle gebastelt“, sagt Laurine, 12, „und dann haben wir die beiden Throne, die sich gegenüberstehen und fest miteinander verbunden sind, in Groß nachgebaut.“ Sie haben unter Anleitung Platten und Balken zurechtgesägt, das sei gar nicht schwierig gewesen. Die Sitzfläche hat sie mit Bora, 11, blau angemalt. Blau, das sei ihre Idee gewesen. Warum blau? „Die Farbe passt zu Jungen und zu Mädchen.“

Wie würden die Stadtviertel wohl aussehen, wenn sie von Jugendlichen gestaltet wären? Wenn man Stadtentwicklung nicht für, sondern mit Jugendlichen macht? Wenn man deren Wünsche ernst nimmt, und mit ihnen auf Augenhöhe über die Gestaltung von Plätzen und Räumen, Straßen und Gebäuden diskutiert. Geht das überhaupt?

„Wenn wir die ‚Stadt für Alle‘ planen, dann müssen wir auch alle beteiligen“, sagt der Oldenburger Stadtplaner Carsten Schoch. Man müsse sich einfach mal trauen, neuen Ideen auch eine Chance zu geben. Vor vier Jahren hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung das Projekt „Jugend macht Stadt“ initiiert. Die Politiker in Berlin erhoffen sich jugendliche Impulse für die Entwicklung in Stadt und Land bei den Themen Verkehr und Bauen, Mobilität und auch beim Wohnen.

Seit rund drei Jahren werden nun, von der Öffentlichkeit noch nahezu unbemerkt, überall im Lande Jugendliche ziemlich ernsthaft in die Entwicklung von Quartieren und die Nutzung von Flächen mit einbezogen.

In Bergheim entwickelten Jugendliche ein fliegendes Bauwerk. Eine aufblasbare Skulptur, die sich in acht Minuten überall aufbauen lässt. Faltbar, fahrbar und bezahlbar. Die mobile „Made“ ist inzwischen ein beliebter Treffpunkt, der sich flexibel bei jedem Wetter auf Freiflächen nutzen lässt. In Berlin gestalteten Jugendliche in Kreuzberg einen sportlichen „Urbanen Parcours“, außerdem hängende Gärten, eine Chill-Hütte und ein Prinzessinnenschloss. In Düsseldorf haben Jugendliche Gebäudeleerstand beseitigt, indem sie einen Stadtteilladen einrichteten, um dort vor allem ältere Menschen zu versorgen, die nicht mehr so mobil sind. In Frankfurt am Main entstanden auf diese Weise ein Dancefloor in einer U-Bahn-Haltestelle und eine Straßengalerie auf einer Brachfläche.

Ähnliche Aktionen gibt es in Wuppertal, Rosenheim, Leipzig oder Köln. „Wir fragen die Kinder und Jugendlichen zuerst: Wie soll eure Stadt sein, und wie soll sie nicht sein? Was und vor allem wie kann man es ändern? Was könnt ihr dafür tun? Und was macht ihr bereits?“, sagt Silke Edelhoff von JAS. Ihre Botschaft an die jungen Menschen: „Ihr seid als Raumpioniere gefragt. Gebt der Stadt euer Gesicht!“ Schließlich seien gerade die Jugendlichen Experten für ihren Stadtteil, in dem sie aufwachsen.

Es gibt ein Manifest, das nennt sich „Lebe Deine Stadt“ und ist vor vier Jahren von 42 Jugendbotschaftern aus ganz Deutschland formuliert worden. Elf Forderungen sind dort aufgeführt. Vertraut uns, heißt es ganz am Anfang unter Punkt eins. Und dann: Löst euch vom Alten; baut den Stress ab und Erholung auf; ich will bauen – gib mir Steine; mehr Sport vor Ort; gib deiner Stadt einen Sound – mehr Chancen für lokale Bands. So lauten die einzelnen Punkte, die eines klarmachen: Jugendliche wollen sich mehr und mehr einmischen, wenn es um ihre Belange geht. Man muss sie nur fragen.

In Osdorf muss das erst einmal gelernt werden. „Was soll das werden – ein Galgen?“, fragt ein Anwohner. Dann wird er über das Vorhaben aufgeklärt und packt schließlich selbst mit an. „Jugendliche haben bei der älteren Generation ein schlechtes Image, und es hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert, obwohl es dafür keine objektiven Gründe gibt“, sagt der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Der Vorteil, wenn man Jugendliche ernsthaft mitgestalten lässt? „Sie machen die Erfahrung, dass es Kraft, Konzentration und Anstrengung kostet, etwas zu gestalten“, sagt Silke Edelhoff. Es sei einfach, etwas zu kritisieren, wofür man nicht verantwortlich sei. „Wenn man aber in den Prozess der Gestaltung einbezogen wird, schärft das den Blick.“ Man bekomme eine andere Perspektive auf sein Viertel und könne sich viel eher mit ihm identifizieren. Und sich dort wohlfühlen.

„Uns hat es gefallen, das hat Spaß gemacht“, sagt Bora. „Die haben unsere Ideen alle aufgeschrieben, und der Thron ist super geworden.“ Bora hatte noch die Idee, unter den Thron eine Couch zum Chillen aufzustellen. Und er wollte eine große Rampe anbringen, damit man den Thron besser besteigen kann. Die haben sie aber erst einmal weggelassen.

Osdorf ist jetzt zwar nicht wirklich ein Königreich. Aber immerhin haben sie hier jetzt schon mal einen gewaltigen Thron. Einen echten Hingucker. Nur der TÜV hatte ein paar Einwände. Und deshalb bekommt der Thron nun auch noch ein Geländer.