Schlagermove, Harley Days: In Hamburg finden viele Großveranstaltungen statt. Zwei Abendblatt-Redakteure diskutieren kontrovers das Thema “Partyzone Hamburg“.
Es reicht! Die Stadt ist kein Freizeitpark
Ich gestehe: Am Sonntag bin ich ins Lager der Spaßbremsen übergelaufen. Es war ein schöner Tag, wir waren mit dem Nachwuchs im Schmidt Theater, die Kinder begeistert, die Eltern entspannt. Als wir kamen, wurden die Reste des Halbmarathons zusammengekehrt; als wir gingen, lief der Soundcheck für das große Solidaritätskonzert am Abend. Nur, wir kamen nicht weg, ja nicht einmal über die Straße. Alles abgesperrt: 10.000 Harley-Fahrer außer sich vor Freude, die Kinder außer sich vor Angst. Die Motorradfahrer knatterten ohne Schalldämpfer mit ohrenbetäubendem Krach über die Reeperbahn. Und hüllten St. Pauli in eine Wolke aus Stickoxid und Kohlenmonoxid.
Warum das alles? Es waren Harley Days. Am Sonnabend folgen die Trucks des Schlagermoves. Und so weiter. Gefeiert wird in Hamburg immer. Und keinen scheint’s zu stören: Umweltverbände ziehen gegen die Elbvertiefung vor Gericht, bei den Harley Days & Co. schweigen sie. Es hat sich offenbar ein Konsens etabliert, der die Stadt als Mischung aus Phantasialand und Nürburgring sieht, die Straßen als Partyzone, Verkehrsflächen als Remmidemmi-Bühne versteht und Boulevards als Bratwurst-Bierbuden-Basar schätzt. Erlaubt ist, was Hotellerie und Gastronomie gefällt. Und was das Bild der Stadt als „Event“-Metropole stärkt. Hauptsache, Party!
Doch wem gehört die Stadt? Den Bürgern? Den Wählern? Den Steuerzahlern? Oder einem wilden Feiervolk und der Tourismusbranche? Ist die Polizei zum Absperren da, die Stadtreinigung zum Hinterherputzen, verkommt die Stadt zur Kulisse? Keiner will, dass Hamburg ein trutschiger Kurort wird. Es gibt beliebte Großveranstaltungen, die Sinn und Tradition haben. Aber Hamburg ist kein Freizeitpark, in dem jedes Wochenende eine neue Partysau durch die Stadt torkeln, knattern, lärmen muss, getreu dem Motto: uns den Spaß, euch die Scherben.
Autor Matthias Iken ist stellvertretender Abendblatt-Chefredakteur
Toleranz zeigen! Wer Ruhe will, soll aufs Land fahren
In regelmäßigem Abstand publizieren Umfrageinstitute Studien über die Lebensqualität von Metropolen. Hamburg schneidet dabei zumeist sehr gut ab. Die Hansestadt gilt als weltoffen, tolerant, kreativ, pulsierend und als ein Ort, in der jeder nach seiner Façon selig werden kann.
Vielen Hamburgern bedeutet gerade diese Toleranz und Weltoffenheit sehr viel. Untersuchungen bestätigen immer wieder, dass die allermeisten gern an der Elbe leben.
Ein Grund für diese positive Wahrnehmung ist Hamburgs Gastgeberschaft für unterschiedlichste Veranstaltungen. Triathlon, Schanzenfest, Schlagermove, Harley Days, Hafengeburtstag, Christopher Street Day, Nacht der Museen – die Zahl der Besucher geht in die Millionen. Man muss nicht jede Veranstaltung mögen, aber eines ist klar: Die Vielfalt dieser Events spiegelt die Vielfalt der Menschen dieser Stadt.
Die Veranstaltungen demonstrieren aber auch, dass in einer modernen Metropole der öffentliche Raum nicht die Fortsetzung kleinbürgerlicher Spießigkeit ist, die vor allem eines beansprucht: die eigene Ruhe. Wo wollen wir die Grenzen der Belästigung ziehen? Beim allgegenwärtigen Kindergeschrei auf Kinderspielplätzen? Bei den Grillpartys in den öffentlichen Parks der Stadt? Oder gar bei politischen Demonstrationen, weil die uns den Wochenendeinkauf verhageln?
Sicher: Hoteliers, Einzelhandel, Gastronomen und damit das Steuersäckel unserer Stadt profitieren von der modernen Eventkultur. Aber es geht nicht allein um wirtschaftliche Fragen. Vielmehr geht es um das Selbstverständnis dieser Stadt. Darum, dass wir freundliche Gastgeber sind, Menschen aus aller Herren Ländern anziehen und – ja, auch das – dass wir das Leben in vollen Zügen genießen können.
Also: Bleiben wir tolerant. Wem es doch mal zu laut wird, der kann ja aufs Land fahren!
Autor Oliver Schirg ist leitender Abendblatt-Redakteur