An Bord des größten Containerschiffs der Welt von Southampton nach Hamburg. Am Donnerstag wird der Gigant in der Hansestadt getauft. Kapitän warnt vor Abstieg des Hafens.
Southampton/Hamburg. Um vier Uhr morgens kommen die Lichter von Cuxhaven in Sicht. Die "Alexander von Humboldt" fährt durch die Deutsche Bucht auf die Küste zu. Rote und grüne Tonnen markieren das Fahrwasser. Seit mehr als zwei Stunden schon wird sie von der Radarüberwachung der Revierzentrale in Brunsbüttel begleitet. Auf der Brücke des Containerschiffs sitzen drei Kapitäne - der Kroate Zlatko Kapovic, der den Containerfrachter kommandiert, daneben die beiden Lotsen Christian Stoffers und Thomas Sauerbier. Wie alle anderen in der Elblotsenbrüderschaft halten auch sie das Patent des Kapitäns auf Großer Fahrt. Von der Deutschen Bucht bis nach Hamburg geleiten sie das Schiff. An der Stadtgrenze übernehmen dann die Hafenlotsen den letzten Weg bis zum Terminal.
Kapitän Kapovic hat nicht viel zu tun. Es scheint ihm nicht zu behagen, dass er elbaufwärts an Bord nicht den Ton angibt. So bespricht er mit seinem Chefsteward schon mal die nötigen Provianteinkäufe in den Häfen, die für die kommenden Wochen auf dem Fahrplan stehen. Stoffers und Sauerbier verfolgen derweil den Funk aus der Revierzentrale. Exakt passen sie mit dem Steuermann den Kurs an die Ideallinie an, die der Lotse von der Radarüberwachung beschreibt. Hinter Cuxhaven trifft das Schiff die "Basle Express" von Hapag-Lloyd, die elbabwärts fährt. Dann verschwindet die "Alexander von Humboldt" in dichtem Nebel.
Die Reise des Schiffes nach Hamburg ist anders als jene rund 5500 Anläufe von Containerfrachtern, die im vergangenen Jahr in der Hansestadt registriert wurden. Am 16. April lieferte die Daewoo-Werft in Südkorea den Frachter an die französische Reederei CMA CGM ab. Die "Alexander von Humboldt" fährt die Elbe zu ihrer Jungfernfahrt hinauf in den Hafen, in dem sie am Donnerstagabend getauft werden soll, von der Zweiten Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Kein Schiff solcher Größe hat in Hamburg je seinen Namen erhalten, schon gar nicht den des populärsten deutschen Entdeckers und Weltreisenden. Die Schwesterschiffe der "Alexander von Humboldt" heißen "Marco Polo" und "Jules Verne". Sie sind die größten Containerschiffe der Welt, die derzeit fahren. Zumindest noch bis Ende Juli. Dann bringt die Konkurrenz von Mærsk ihre neuen Riesenfrachter an den Markt.
Nie haben größere Containerfrachter in der Hansestadt festgemacht als die "Alexander von Humboldt" und die "Marco Polo" mit ihrer Kapazität von je 16.000 Containereinheiten (TEU). Die Taufe des Schiffs am HHLA-Terminal Burchardkai hat CMA CGM wohl kalkuliert. Die drittgrößte Linienreederei der Welt verspricht sich Werbung in eigener Sache, sie zeigt mit dem Schiff aber auch Flagge für Hamburg. Für den Hafen der Hansestadt wird es eng. Riesenschiffe wie die "Alexander von Humboldt" zählen auf den für Hamburg entscheidend wichtigen Fernostrouten mittlerweile zum Standard. Über die Elbe aber kommen diese Schiffe mit fast 400 Meter Länge und mehr als 50 Meter Breite nur noch mit Mühe, nautischem Geschick - und mit viel gutem Willen der beteiligten Reedereien. Denn meist sind die Laderäume der Jumbos nicht annähernd gefüllt.
Wie in Watte gepackt scheint die "Alexander von Humboldt" auf der Elbe zu stehen. Kein Motorengeräusch ist zu hören. Keine Vibration erreicht das Brückenhaus, das von der weit hinten liegenden Hauptmaschine und den Dieselaggregaten getrennt steht. Es weht kaum Wind. Nur der Funkverkehr ist auf der Brücke zu hören und dann kurz der Motor der "Santa Rosa", eines Schiffes der Reederei Hamburg Süd, das in weniger als 200 Meter Entfernung vorbeizieht, fast geisterhaft von Nebel verhüllt. Doch die "Alexander von Humboldt" steht nicht, wie es erscheint, sie läuft mehr als 13 Knoten, gut 25 Stundenkilometer. Wie schnell das für einen solchen Koloss ist, ließ sich querab von Cuxhaven mit Blick auf das morgenfrische Marschland noch gut verfolgen. Nun aber sind selbst der Bug und das Heck der "Alexander von Humboldt" in Nebel getaucht. "Wenn man seine Fahrerlaubnis neu hat, ist so ein Wetter hier sicher nicht so gut", sagt Sauerbier und behält den Radarschirm dabei im Blick. Seit elf Jahren arbeitet er als Elblotse. Die vier Pflichtjahre, die man benötigt, um ein Schiff wie die "Alexander von Humboldt" lotsen zu dürfen, hat er auf dem Fluss längst absolviert.
Im Nebel ist auch der wortgewaltige Kapitän für einige Momente verstummt. Kaum aber kommt das Gespräch auf die Reise nach Hamburg, regt sich Zlatko Kapovic, 53, schon wieder auf. Oft schon ist er diese Strecke gefahren in seinen 35 Berufsjahren auf See. Schön sei es, nach Hamburg zu kommen, sagt der Kapitän. Aber mit Schiffen wie der "Alexander von Humboldt" werde es wegen deren wachsender Größe auch immer mühsamer. Sechs Stunden die Elbe hinauf, sechs Stunden wieder hinunter, zusätzliche Lotsen an Bord und Sonderradar auf dem Schirm, stets in Gefahr, dass der enge Fahrplan durch das launische Wetter und den Verkehr auf der Elbe in Verzug gerät. "Hamburg muss bei der Elbfahrrinne dringend etwas tun", sagt Kapovic. "Die Stadt hinkt der Entwicklung in der Schifffahrt um Jahre hinterher. Wenn sich das nicht ändert, wird der Hafen die großen Schiffe verlieren."
Schifffahrt und Hafenwirtschaft mahnen die Verbreiterung und Vertiefung der Elbfahrrinne seit langer Zeit an. Aber nie legten die Unternehmen Daten vor, aus denen auch für Laien klar hervorgeht, wie sich die Gewichte verschieben. Umweltverbände und andere Kläger wollen das Großprojekt der Elbvertiefung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kippen. Wohl im vierten Quartal entscheiden die Richter über die Planfeststellung, die mehr als 2600 Seiten umfasst und deren Erarbeitung gut zehn Jahre dauerte. Wie das Verfahren ausgeht, ist völlig offen.
Die Gegner der Elbvertiefung halten die geplante Baggerei und die Ideen zur Eindämmung der Strömung für gefährlich und schlicht für überflüssig - schließlich, so argumentieren sie, kämen ja selbst die größten Containerschiffe noch immer nach Hamburg. "Die ,Alexander von Humboldt' gehört zu unserem wichtigsten Liniendienst zwischen Europa und Fernost", entgegnet Kapitän Kapovic. "Durch die Restriktionen auf der Elbe müssen wir das Schiff in Hamburg für den Rückweg nach Asien möglichst immer zuerst beladen. Für die logistischen Abläufe in Europa ist das sehr schlecht, denn es schränkt unsere Flexibilität stark ein."
Mit gut 93.500 Tonnen Ladung kommt die "Alexander von Humboldt" bei dieser Reise nach Hamburg. Nach der Entladung einiger Tausend Container und der anschließenden Beladung geht das Schiff am Freitag mit 75.500 Tonnen wieder hinaus auf das Meer. Gut zwölf Meter Tiefgang wird es dann haben, etwa vier Meter weniger als bei maximaler Beladung und gut zweieinhalb Meter weniger, als es zum Auslaufen auf der Elbe derzeit maximal haben dürfte. "Wenn wir auslaufen, haben wir weniger als die Hälfte unseres möglichen Ladegewichts an Bord", sagt Kapovic. "Das machen wir nicht einfach so aus Spaß, sondern weil es in den logistischen Abläufen des Fahrplans und unter den gegebenen Verhältnissen in Hamburg nicht anders geht."
Der Kapitän kennt die langjährige Debatte um die Elbvertiefung. Sie zu verstehen fällt ihm schwer. Die meisten wichtigen Häfen der Welt hat er gesehen, auch solche, die früher wichtig waren und die heute ohne Bedeutung sind. Die meisten jüngeren Containerhäfen baute man auf der grünen Wiese, jenseits alter Hafenzentren, dort, wo Platz für Schiffe und für Landanschlüsse gleichermaßen ist, sei es vor Shanghai, im italienischen Gioia Tauro oder am JadeWeserPort in Wilhelmshaven. Geschichte und Traditionen schützen Hafenstädte nicht, weiß der Kapitän aus eigener Anschauung. "Do it or die", sagt Kapovic, mitziehen oder untergehen, das ist die Devise in der hochtourigen Maschinerie der Containerschifffahrt, für die Reedereien ebenso wie für die Häfen. Die weltgrößte Linienreederei Mærsk schickt demnächst Schiffe mit 18.000 TEU Kapazität über die Meere. Die chinesische Reederei CSCL hat bereits angekündigt, den neuen Rekord im kommenden Jahr noch um einige Hundert TEU überbieten zu wollen.
Europas führender Hafen Rotterdam zieht in diesem Wettbewerb rigoros mit. Seit fast 20 Jahren arbeitet die Hafenverwaltung an der größten Baustelle des Kontinents, der Maasvlakte 2. Gut 20 Quadratkilometer Hafenfläche, Platz für mehrere Terminals und für viele Schiffe, hat die Stadt der Nordsee durch Aufspülung abgetrotzt. Kürzlich wurde der neue Hafenbereich für Schiffe eröffnet. Die Vorteile, die Rotterdam mit seiner Nähe zum Meer hat, konnte Hamburg mit seiner Lage 130 Kilometer weit im Inland stets ausgleichen, vor allem durch die bessere Anbindung seines Hafens an Bahn und Straße. Doch nun wird die Elbe zum Engpass.
Die Beschränkungen für die Schiffsbreiten erweisen sich - weil immer mehr Großfrachter kommen - als zusätzliches Handicap zu den Tiefgängen. Weniger als 50 Schiffe mit mehr als 10.000 TEU Kapazität fuhren 2008 nach Hamburg, gut 350 waren es im vergangenen Jahr. Und die Zahl steigt weiter. Egal ob Wirtschaftskrise herrscht oder nicht: Am billigsten lassen sich Container auf den Langstrecken in den größten Schiffen transportieren - wenn die gut ausgelastet sind.
Nach Hamburg aber können die großen Frachter nicht wirtschaftlich fahren. Mit ihrer Breite bleiben sie auf der Elbe nicht selten im Stau stecken: Zwischen Glückstadt und Hamburg dürfen zwei Schiffe mit einer Breite von insgesamt mehr als 90 Metern einander nicht passieren. Unmöglich wäre das etwa für die "Alexander von Humboldt" und ihr Schwesterschiff "Marco Polo" mit je 53,60 Meter Breite. Hamburg und der Bund wollen deshalb zwischen Wedel und Hamburg eine acht Kilometer lange sogenannte Begegnungsstrecke für besonders breite Schiffe errichten. Dort soll die Elbfahrrinne von 300 auf 385 Meter verbreitert werden. "Zurzeit kann je Tidenperiode nur ein Großschiff in jede Richtung fahren", sagt Jörg Osterwald von der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt des Bundes, der Chefplaner des Elbprojekts. "Mit der Begegnungszone könnten je drei Schiffe von der Größe der ,Alexander von Humboldt' elbauf- und elbabwärts fahren." Für den Hafen wäre das ein großes Plus - wenn es das Gericht in Leipzig denn zulässt.
An der Stadtgrenze zu Hamburg gibt der Nebel die "Alexander von Humboldt" wieder frei. Der Fluss wirkt jetzt, nach der Nordsee und der Fahrt durch den Unterlauf, bereits sehr schmal. Die Elblotsen gehen von Bord. Zwei Hafenlotsen melden sich bei Kapitän Kapovic für den Zieleinlauf. Für das Schiff wird es noch einmal knapp. Bis 9.30 Uhr muss die "Alexander von Humboldt" das Hafenbecken vor dem Terminal Burchardkai erreichen. Später erzeugt das ablaufende Wasser der Elbe an dem mächtigen Schiffsrumpf so viel Druck, dass zusätzliche, teure Schlepperdienste nötig werden. Im Hafen herrscht starker Verkehr. Doch um 10.25 Uhr macht die "Alexander von Humboldt" zum ersten Mal in Hamburg fest.
Hafenlotse Uwe Müller kann auch dieser Koloss nicht aus der Ruhe bringen. Sorge bereitet ihm hingegen der Zustand der Elbe und der Verkehrswege im Hafen. "Seit Mitte der 60er-Jahre fahre ich zur See, seit 26 Jahren arbeite ich als Lotse. Hafen und Elbe haben sich immer verändert und angepasst, das müssen sie auch in Zukunft", sagt er. Wenn die Elbvertiefung nicht komme, stünden Hamburg harte Zeiten bevor: "Viele Hafenstädte in Europa wollten nicht mit der Zeit gehen, Amsterdam, Stockholm, London. Wer spricht heute noch von diesen Häfen?"