Merkel und Steinbrück besuchten am Freitag den Kirchentag. “Alle Politiker, die hier sind, waren auch auf den letzten fünf oder zehn Kirchentagen, sie kommen also nicht aus Wahlkampfgründen“, sagt Frank-Walter Steinmeier.

Hamburg. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, hat den Vorwurf zurückgewiesen, Politiker würden den Evangelischen Kirchentag in Hamburg nur aus wahltaktischen Gründen besuchen. "Alle Politiker, die hier sind, waren auch auf den letzten fünf oder zehn Kirchentagen, sie kommen also nicht aus Wahlkampfgründen", sagte Steinmeier dem "Hamburger Abendblatt" (Ausgabe Sonnabend). Der Oppositionsführer hält es für falsch, wenn "Politiker sich vor den eher unbequemen Debatten auf Kirchentagen drücken würden. Hier werden Politiker nicht nur bejubelt, sondern vor allem in die Mangel genommen."

Nach Meinung des SPD-Politikers gebe es bei Kirchentags-Debatten "keinen professionellen Politik-Talk", in dem Stichworte oder Halbsätze ausreichten, "um sich zu verständigen oder alte Kontroversen zu pflegen". In den Foren seien die "Fragen viel nachdrücklicher" und damit oft auch unbequemer. "Dem muss man sich stellen."

Steinmeier sagte, der christliche Glaube vermittle Orientierung und Vertrauen, dass auch schwierigste Situationen im Privaten wie im Politischen nie ohne Ausweg seien und dass die Zukunft offen bleibe. Laut Steinmeier gehörte die Nierenspende im August 2010 an seine Frau "in den Bereich von Mitmenschlichkeit und christlicher Nächstenliebe. Aber wenn man mit einem Menschen eng zusammenlebt, den man liebt, dessen Leiden immer schlimmer wird, dann möchte man einfach nur helfen und den Zustand verbessern – nicht nur für den anderen, sondern ehrlicherweise auch für sich selbst. Aber das schließt Liebe und Nächstenliebe natürlich nicht aus."

Der Hansestadt als Schauplatz des Kirchentages zollte Steinmeier Anerkennung. "Hamburg zeigt sich von seiner besten Seite, einschließlich des Wetters. Es war ja schon ein Wagnis, hier Anfang Mai einen Kirchentag mit vielen Freiluft-Veranstaltungen anzusetzen", sagte der Politiker dem "Hamburger Abendblatt".

Schaulaufen von Merkel und Steinbrück auf dem Kirchentag

Rund 7000 Menschen wollten die Kanzlerin in Hamburg bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Schöpfung in der globalisierten Welt“ erleben. Als Merkel unter großem Applaus die voll besetzte Messehalle B5 betritt, erheben sich viele und filmen und fotografieren mit Handys und Kameras. Der Besuch auf dem Glaubensfest mit mehr als 117.000 Dauerteilnehmern ist ein Heimspiel für die Pfarrerstochter Merkel. „Nicht nur weil es meine Geburtsstadt ist, ist Hamburg einfach eine tolle Stadt“, sagt die 58-Jährige gleich zu Beginn ihres Vortrages.

Vor dem Kirchenvolk hält Merkel keine politische Grundsatzrede, vielmehr geht es ihr um Verantwortung für die nachfolgende Generation. Sie betont die Bringschuld zu zeigen, wie man Nachhaltigkeit und Wachstum zusammenbringt, und fordert eine effizientere Entwicklungshilfe. Immer wieder gibt es spontanen Applaus – etliche sind auch gekommen, um die Kanzlerin einmal live zu sehen.

Nach eineinhalb Stunden startet Merkel samt Tross zu einem Rundgang über das Gelände mit seinen zahllosen Ständen kirchlicher und sozialer Initiativen, Gruppen und Verbände. Unzählige umringen sie, geduldig posiert sie für ein Foto mit Besuchern, bleibt an mehreren Ständen stehen. Kirchentagshelfer sorgen aber dafür, dass ihr niemand zu nahe kommt.

Mittags trifft Peer Steinbrück in der Halle A4 ein, hält am Stand der Evangelischen Freiwilligen Dienste, schüttelt Hände und stellt Fragen. „Wir kriegen noch eine Debatte darüber, dass wir Diensten am Menschen eine höhere Wertschätzung geben müssen“, meint er einige Schritte weiter bei der Evangelischen Jugendsozialarbeit. Am Stand des Bundesverbandes schwuler Führungskräfte bleibt Steinbrück ebenfalls stehen. Dann ist Navigationsgeschick gefragt, seine Begleiter lotsen ihn hintenherum, so dass er nicht vor dem CDU-Stand vorbeilaufen muss. „Halte klare Kante bei, verändere dich nicht, dann können wir noch gewinnen“, ruft ihm ein älterer Besucher zu.

„Ich will hier niemanden instrumentalisieren“, sagt Steinbrück beim Besuch der kirchlichen Stände. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung stößt er auf den SPD-Kollegen Kurt Beck – nach einem schnellen Kaffee im Stehen geht es weiter. „Der guckt ja wie im Fernsehen“, sagt ein Besucher. „Steinbrück hat ja echt abgenommen“, meint eine Frau mittleren Alters zu ihrer Begleiterin.

Zuschauerandrang und Heimspiel für den Kanzlerkandidaten dann am Stand der SPD: Nach einigen grundsätzlichen Worten zum Zusammenhalt der Gesellschaft und der Forderung nach Solidarität statt Ellenbogengesellschaft gibt es ein Gruppenfoto mit den Pfadfindern. „Ein bisschen viel grün hier, aber sonst alles in Ordnung“, lacht Steinbrück mit Blick auf die Farbe der Pfadfinderhemden, ehe er aus der Halle eilt. Merkel ist zu diesem Zeitpunkt bereits abgereist.