Merkel fordert Wandel beim Zertifikatehandel mit CO2-Emissionen und mehr Transparenz bei der Herkunft von Textilien. Auch Steinbrück in Hamburg erwartet.

Hamburg. Zum Evangelischen Kirchentag hat sich am Freitag die politische Prominenz aus Berlin angemeldet – als erste traf Kanzlerin Angela Merkel am Mittag in Hamburg ein. Die CDU-Vorsitzende nahm an einer Podiumsdiskussion über Globalisierung und Umweltschutz teil. Anschließend ist ein Besuch in den Messehallen geplant, wo zahlreiche kirchliche Initiativen auf dem „Markt der Möglichkeiten“ präsent sind. Bei ihrem Besuch betonte die Bundeskanzlerin den internationalen Vorbildcharakter der Energiewende in Deutschland. „Andere werden auf uns schauen und werden fragen: Haben die das hingekriegt?“, sagte Merkel. „Wir müssen das schaffen mit der Energiewende, davon bin ich zutiefst überzeugt.“ Das sei wichtig für Deutschland, aber auch für die Welt. Denn wenn dies nicht gelinge, würden andere Staaten „die Hände auch wieder in den Schoß legen“. Bei der Energiewende in Deutschland sei schon viel erreicht, fügte Merkel hinzu. Immerhin komme bereits ein Viertel der Energie aus erneuerbaren Quellen. Dieser Weg müsse fortgesetzt werden.

Mit Blick auf die Globalisierung sagte Merkel, angesichts von Umwelt- und Naturzerstörung, Armut und anderen Herausforderungen sei ein weltweiter Ordnungsrahmen nötig. Das habe sich spätestens in der weltweiten Finanzkrise gezeigt. Wie mühsam die Schaffung eines solchen Ordnungsrahmens sei, werde beim Kyoto-Protokoll deutlich. Ein Nachfolgeabkommen mit weltweiten Vorgaben zum Klimaschutz sei erst nach langem Ringen gelungen. Hier sei noch „unendlich viel zu tun.“

Nach der Katastrophe in einem Hochhaus mit Textilfabriken in Bangladesch sprach sich Merkel außerdem für schärfere europäische Transparenzregeln für Produkte aus. „Europa könnte hier ruhig Vorreiter sein“, sagte sie. „Dafür bin ich.“ Sie bezeichnete die Zustände der Produktion in Entwicklungsländern als teilweise skandalös. Beim Zusammenbruch des Hochhauses in Bangladesch waren vor wenigen Tagen Hunderte Textilarbeiter umgekommen.

Es gebe solche Transparenzabkommen bereits für einzelne Produkte wie Tropenhölzer und Palmöl, sagte Merkel. Sie sei dafür, dass es künftig auch Herkunftserklärungen gebe, wie Bekleidung entstanden ist. Zugleich mahnte die Kanzlerin, dass den Entwicklungsländern nicht zu enge Vorgaben gemacht werden dürften, die ihre wirtschaftliche Entwicklung behinderten. Deshalb müssten diese Regeln mit den betroffenen Ländern diskutiert werden. Die Industrieländer dürften nicht dominant auftreten. „Dann werden wir kein Erfolg haben“, sagte Merkel. Sie hoffe, dass es auch möglich sein werde, in den Vereinten Nationen (UN) weltweite soziale Standards zu vereinbaren. „Aber es ist sehr, sehr schwer, verbindlich solche Normen festzulegen. Viele haben Angst, dass wir ihnen Fesseln anlagen, damit sie sich nicht entwickeln können.“

Merkel für Reform des Zertifikatehandels mit CO2-Emissionen

Zudem forderte Merkel eine Reform des Zertifikatehandels mit CO2-Emissionen. „Die ganzen Annahmen für den Zertifikatehandel stimmen nicht mehr“, so Merkel. Die Wachstumserwartungen für die EU-Wirtschaft seien viel zu optimistisch gewesen, dies erkläre den Preisverfall. Allerdings pochte Merkel darauf, dass eine Gesamtreform zusammen mit der Novelle des Erneuerbaren Energiengesetzes EEG nötig sei.

Dies sei wegen des Streits mit der Opposition wohl nicht mehr vor der Bundestagswahl nötig. Eine umfassende Reform müsse aber sehr schnell nach der Wahl in September angepackt werden. Merkel räumte ein, dass es nach wie vor keine gemeinsame Position des Wirtschafts- und Umweltministers gebe, wie das Problem des Preisverfalls beim Handel mit Klimazertifikaten gelöst werden könne. Es könne nicht sein, dass derzeit wegen der niedrigen Preise der Betrieb alter Braunkohlekraftwerke einfacher sei als der Betrieb moderner Gaskraftwerke, mahnte Merkel.

Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in Hamburg

Im Tagesverlauf wird auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Kirchentag erwartet. Zu weiteren Veranstaltungen haben sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), Bundestagspräsident Norbert Lammert CDU) und der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), angesagt.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, hat unterdessen Kritik am globalen Wirtschafts- und Finanzsystem geäußert. „Die Rettungsschirme schützen die Banken statt die bedrängten Menschen“, sagte der ehemalige rheinische Präses am Freitag beim evangelischen Kirchentag in Hamburg. Die Bibel dagegen lehre, dass die Wirtschaft reguliert werden müsse, um Armut einzudämmen.

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Das biblische Denken sei eine „notwendige Provokation und Herausforderung für unser Wirtschaftssystem, das in der Globalisierung die Ausbeutung der Armen betreibt“, sagte Schneider unter dem Applaus der Zuhörer. Der EKD-Chef wandte sich zugleich gegen ein „maßloses Anspruchsdenken“, dass unter reichen Menschen immer mehr um sich greife. Dabei werde Konkurrenzfähigkeit zum Erziehungsziel, Solidarität zur Familiensache und Gier zu einer akzeptablen Lebenshaltung.

„Gegen die vorherrschende Meinung der Ökonomie bezeugt die Bibel die Parteinahme für unterdrückte und leidende Menschen“, betonte Schneider. Die Kirche müsse deshalb vorrangig die Perspektive der Armen einnehmen und sich in die Sozial- und Wirtschaftspolitik einmischen. Für wohlhabende Menschen könne diese Umkehr des Denkens auch eine Befreiung bedeuten. Sie würden frei vom Leistungszwang und könnten ihr Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen genießen. „Damit die Armen genug bekommen können, sollten die Reichen es genug sein lassen“, forderte der EKD-Chef.

Der Kirchentag mit mehr als 117.000 Dauerteilnehmern wurde am Mittwoch eröffnet und geht bis Sonntag. Bei dem Treffen werden unter anderem Podien, Workshops, Bibelarbeiten und Kulturveranstaltungen angeboten. Am Donnerstag hatten Bundespräsident Joachim Gauck und die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann auf ihren Veranstaltungen jeweils etwa 7000 Zuhörer. (dpa)