Katrin D. weiß heute, dass hinter den Wutausbrüchen ihrer Tochter tiefe Verunsicherung steckt
"Fünf Jahre ist es her, dass bei unserer Tochter eine Borderline-Störung diagnostiziert wurde", erzählt Katrin D*, 57. Angefangen hatte es, als die heute 22-Jährige in die Pubertät kam. Sie regte sich schnell über alles auf, in einer Heftigkeit, die für die Eltern nicht nachvollziehbar war. Geringe Anlässe reichten aus deren Sicht aus, dass Franziska* wütend und verbal aggressiv wurde. Die letzten Jahre waren für die Eltern nicht einfach: Zu Hause gab es ständig Stress, und irgendwann konnte sie sich das Verhalten ihrer Tochter mit den normalen Stimmungsschwankungen der Pubertät nicht mehr erklären.
"Eine Ärztin hat mich dann auf die Idee gebracht, dass möglicherweise eine Borderline-Störung dahintersteckt. Mein Mann und ich haben lange gebraucht, um Franziska davon zu überzeugen, sich untersuchen und behandeln zu lassen - weil sie nicht einsah, dass eine Krankheit der Grund war." Doch schließlich lenkte die Jugendliche ein und ging für einige Wochen in eine Klinik, brach dann aber die Therapie ab.
"Das hat mich so stark belastet, dass ich in eine Angehörigengruppe eingetreten bin, wo ich mich mit anderen Angehörigen austauschen konnte. Das hat mir sehr geholfen", erzählt Katrin D. Ihre Tochter ging erneut in eine Klinik und ist jetzt in einer ambulanten Therapie. "Wenn Franziska stabil ist, geht es mir gut, wenn nicht, fühle ich mich schlecht", sagt Katrin D. Mittlerweile hat sie gelernt, mit der Erkrankung ihrer Tochter umzugehen. Sie weiß heute, dass hinter den Wutausbrüchen eine tiefe Verunsicherung steckt, fehlendes Selbstwertgefühl, die Angst, abgelehnt zu werden. "Früher haben wir versucht, auf der Vernunftebene mit dieser Impulsivität und der Wut umzugehen. Das war falsch. Heute kann ich ihr deutlich machen, dass ich verstehen kann, wenn sie sich über etwas aufregt, und ihr damit signalisieren, dass ihre Wut berechtigt ist", sagt Katrin D.
Was ihr Sorge macht, ist, wie Franziska mit den Gefühlen fertig wird, die sie um so vieles intensiver erlebt als andere Menschen, die nicht unter einer Borderline-Störung leiden. Und sie sorgt sich auch um die Zukunft ihrer Tochter: Ob sie es schafft, sich mit ihrer Teilzeitbeschäftigung finanziell auf eigene Füße zu stellen. Und ob es ihr gelingt, eine dauerhafte Beziehung zu einem Partner aufzubauen: "Denn sie findet zwar schnell Bekannte, kann aber die Freundschaften nicht halten."
Ihr Verhältnis zu ihrer Tochter hat sich jedenfalls deutlich verbessert. "Ich glaube, dass sich Franziska inzwischen von mir verstanden fühlt. Wir haben ein enges Verhältnis. Sie vertraut mir viel an, und wir können miteinander reden, wenn Probleme auftreten."
* Namen von der Redaktion geändert