Architekten sollen die Standfestigkeit der Gebäude am Spielbudenplatz prüfen, obwohl der private Investor den Abriss längst beschlossen hat.
Hamburg. 1351 Tage ist es her - am 1. Mai 2009 hat die Bayerische Hausbau die Esso-Häuser samt Kulttankstelle am Spielbudenplatz gekauft. Die Pläne der Investoren, hier 240 neue Wohnungen samt Gewerbe zu bauen, sind seitdem kein Stück vorangekommen. Stattdessen haben Proteste von St. Paulianern, die sich in der Initiative Esso-Häuser zusammengeschlossen haben, für Schlagzeilen gesorgt. Die Initiative fordert eine Sanierung des maroden Gebäudekomplexes, die Investoren wollen den Neubau - samt 100 öffentlichen geförderten Wohnungen - realisieren.
Jetzt handelt die Stadt und erntet dafür scharfe Kritik aus der Politik und vom Bund der Steuerzahler Hamburg: Der Bezirk Mitte wird ein Gutachten für die in den 60er-Jahren erbaute Immobilie in Auftrag geben. Das Gutachten soll die "Standfestigkeit" der Gebäude klären - allerdings haben die Investoren bereits drei Expertisen von Hamburger Büros vorgelegt.
Den Zuschlag für das vierte Gutachten hat - ohne Ausschreibung - das Hamburger Büro dr-architekten erhalten. Der Vertrag soll in Kürze unterzeichnet werden. Die Kosten für den ersten Teilauftrag belaufen sich voraussichtlich auf 50.000 Euro. Wie hoch die Rechnung nach Fertigstellung des Gutachtens im März tatsächlich ausfallen wird, weiß der Bezirk nicht. Die Kosten teilen sich der Bezirk und die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt.
Die Empörung ist bereits groß: "Die finanzielle Übernahme der Gutachtenkosten durch die Stadt für ein privates Grundstück ist nicht nachvollziehbar, besonders ohne sicherzustellen, was dann damit passiert", sagte Grünen-Fraktionschef Michael Osterburg. Der Bund der Steuerzahler Hamburg kritisiert: "Wo kommen wir denn hin, wenn wir alle privaten Streitigkeiten zukünftig über Gutachten klären, die mit Steuergeld bezahlt werden?", so Geschäftsführer Marcel Schweitzer.
Der Bezirk begründet die Entscheidung so: Es handele sich bei den Esso-Häusern um das konflikthafteste und sensibelste Bauvorhaben im Bezirk Mitte, so Sprecherin Sorina Weiland. Und weiter: "In dem hochstreitigen Verfahren brauchen Verwaltung und Kommunalpolitik für die zu treffenden Entscheidungen, in diesem Fall Einleitung des Bebauungs-Planverfahrens, neutrale, verlässliche, transparent und fachlich nicht angreifbare Grundlagen", sagte Weiland. Vor diesem Hintergrund sieht es auch SPD-Vizefraktionschefin Kerstin Gröhn als "notwendig" an, das Gutachten im Auftrag der Stadt erstellen zu lassen. Die Initiative ist "gespannt" auf das Ergebnis und hofft auf eine "breite und fundierte Diskussion über die Zukunft der Esso-Häuser", so Zlatko Bahtijarevic.
Die Bezirksversammlung hatte bereits im Februar 2012 ein neutrales Gutachten gefordert. Von einer Kostenübernahme durch die Stadt war aber nicht die Rede: "Ich bin verwundert, dass die Beauftragung des Gutachtens an der Politik und den Bürgern vorbei geschehen ist", sagte Grünen-Fraktionschef Osterburg. Dazu das Bezirksamt Mitte: "Die operative Umsetzung der Forderung erfolgt wie bei Gutachteraufträgen auch in aller Regel durch die Bezirksverwaltung", sagte Weiland. Im März wird sich zeigen, inwiefern das neue Gutachten mit den drei vorliegenden Gutachten übereinstimmt.
Die kamen bislang laut Bayerischer Hausbau alle zu einer Erkenntnis: "Die Gebäude sind in einem maroden Zustand, unter wirtschaftlichen Aspekten ist ein Abriss die einzige Lösung. Eine Sanierung im bewohnten Zustand wäre überhaupt nicht machbar", sagte Projektleiter Stefan Günster.
Doch das hatte die Initiative Esso-Häuser immer bezweifelt. Im vergangenen Jahr sollte deshalb ein runder Tisch mit Vertretern der Initiative, des Bezirksamts und der Investoren für Einigkeit sorgen. Ein viertes Gutachten sollte her. Doch dazu kam es nicht, die Investoren brachen die Gespräche ab: "Vor allem hat die Initiative sich der Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen zur Aufgabenstellung und zur Auswahl der Gutachterbüros verweigert", sagte Günster. Seit Jahren wird über die Zukunft der Esso-Häuser diskutiert, und dabei fällt immer wieder der Name Andy Grote. Der ist inzwischen Bezirksamtsleiter in Mitte und hat sich zuvor als SPD-Stadtentwicklungsexperte intensiv mit dem Vorhaben beschäftigt. Er lebt auf dem Kiez und ist Vorsitzender des SPD-Distrikts St. Pauli-Süd.
Grote verteidigt die Kostenübernahme durch die Stadt: "Wir haben hier eine Ausnahmesituation, da es sich um ein Schlüsselgrundstück auf dem Kiez handelt." Aber CDU-Fraktionschef Jörn Frommann unterstellt Grote und der SPD andere Motive: "Die haben wohl Angst davor einzugestehen, dass die einzig sinnvolle Lösung ein Abriss der Häuser ist. Aber dann könnte es ja unschöne Proteste aus den Reihen der St. Paulianer geben, und das könnte Wählerstimmen kosten."
Die Bayerische Hausbau hält sich mit Kritik zurück, schließlich geht es um viel Geld. Allein der Kaufpreis für das Areal dürfte im zweistelligen Millionenbereich gelegen haben. Einen Plan B hat das Unternehmen nicht. Dafür ist Projektleiter Günster zu der Erkenntnis gekommen: "Ein Bauvorhaben dieser Größenordnung auf dem Kiez umzusetzen, ist eine Herausforderung."