Hamburger Chiphersteller NXP will Straßenverkehr mit neuer Technologie sicherer machen. Unfälle und Staus könnten vermieden werden.
Hamburg. Mobilität für alle, und das mit weniger Verkehrstoten, kaum Staus und geringerer Belastung für die Umwelt. Diese Vision einer schönen neuen Autowelt rückt in diesen Tagen etwas näher. Mit einer Innovation aus Hamburg. Ingenieure des Chipherstellers NXP in der Hansestadt versetzen Fahrzeuge in die Lage, untereinander kommunizieren zu können. "Die Idee ist es, dass die Fahrzeuge miteinander sprechen und damit vor Gefahren warnen können", sagte Kurt Sievers, Geschäftsführer der NXP Semiconductors Germany, dem Abendblatt.
Die neuen Assistenzsysteme vermeiden Unfälle und Staus im Straßenverkehr. Sollte zum Beispiel ein Auto abrupt abbremsen, würde das dahinterfahrende Fahrzeug automatisch über den Chip zum Stillstand kommen. Auch eine funktionierende grüne Welle wäre möglich, Ampelkreuzungen würden ihren Schrecken verlieren. Diese Szenarien sind nun keine Fantastereien aus einem Science-Fiction-Film mehr.
Sorgte Kitt, der vor sich hin plappernde Sportwagen aus der Fernsehserie "Knight Rider" in den 80er-Jahren noch für Staunen beim Publikum, werden schon bald auch Mercedes- oder VW-Fahrer das Vergnügen eines kommunizierenden Autos haben.
Um den in der Hansestadt für die sogenannte car2car(Fahrzeug-zu-Fahrzeug)-Kommunikation entwickelten Chip bald weltweit im Straßenverkehr einsetzen zu können, hat NXP jetzt eine Zusammenarbeit mit weiteren Firmen aus der Technologiebranche gestartet. Dazu beteiligen sich NXP Semiconductors N.V. und der US-Konzern Cisco gemeinsam am australischen Start-up Cohda, teilte NXP am Donnerstag mit. Die Idee ist, die Technologien der Firmen in einem möglichst weltweit gültigen Standard zu bündeln. NXP liefert dabei den Chip, der die drahtlose Kommunikation ermöglicht, Cisco vernetzt die Fahrzeuge mit der Infrastruktur wie etwa Ampeln, und Cohda bietet die Software für den Datenaustausch.
Gut 100 Ingenieure bei NXP in Lokstedt waren an der Entwicklung des Chips beteiligt. "Wir werden mit der Innovation ein völlig neues Geschäftsfeld erobern und weitere Arbeitsplätze schaffen", ist sich Sievers sicher. Bisher ist der NXP-Standort in der Hansestadt mit seinen rund 2000 Mitarbeitern führend bei Chips für Autoradios, die den Empfang der Sender regeln. Die neuen Kommunikationschips sind eine Weiterentwicklung dieser Technologie. Gefertigt werden die Chips von Fabriken in Singapur und den Niederlanden, die ebenfalls zum NXP-Konzern mit seinen weltweit 25.000 Beschäftigten gehören.
Die Systeme erhöhen aber nicht nur die Sicherheit. Auch in der Verkehrsleittechnik, die in Zukunft für die grüne Welle im Stadtverkehr und für einen reibungslosen Busfahrplan sorgen kann, ist die Innovation aus Hamburg führend. Zu den Informationen, die im Rahmen der intelligenten Mobilität ausgetauscht werden können, gehören etwa das Ansprechen des ABS, Lenkwinkel, Position, Richtung und Geschwindigkeit, dazu Ampelphasen und Infos über Staus. Die drahtlose WLAN-Verbindung funktioniert selbst durch andere Fahrzeuge, durch Häuserschluchten oder Tunnels hindurch, versichert Sievers. Schließlich soll die "Sichtweite" des Fahrers ungeachtet solcher Hindernisse mit den elektronischen Mitteln verlängert werden.
Auch wenn sprechende Fahrzeuge an den Jungentraum erinnern, Autos zu vermenschlichen, die jetzige Entwicklung entspringt weniger einer Laune der Forscher, als einem aktuellen Trend im Internetzeitalter: Der Netzwerkausrüster in dem nun gebildeten Firmentrio, Cisco, verfolgt die Idee, dass alle Dinge der Welt miteinander verbunden werden und interagieren. So informieren Häuser per Internet über die herrschende Raumtemperatur und schlagen ihren Bewohnern vor, per Fernbedienung die Heizung hochzustellen. Backöfen können per Funk angeschaltet werden, sodass der Braten knusprig ist, wenn die Familie abends hungrig nach Hause kommt.
Warum sollte nicht des Deutschen liebstes Kind, das Auto, ebenfalls zu den kommunizierenden Dingen gehören? "Fahrzeuge gehörten in dieser Beziehung bisher noch zu den Dinosauriern, das wird sich jetzt aber ändern", sagt Kurt Sievers. Das neue System wird bereits in Feldversuchen etwa in Frankfurt und den USA erprobt. Hier werden zwar auch andere, vergleichbare Kommunikationstechnologien getestet, doch NXP sieht sich auf diesem Gebiet selber als Innovationsführer. Auch im Segment der in Hamburg entwickelten Autoradiochips ist NXP nach eigenen Angaben weltweit die Nummer eins.
Bisher kostet der Einbau des Geräts einige Hundert Euro, doch Sievers sieht Chancen für den Einsatz im Massenmarkt, zumal das System seine Wirksamkeit erst entfalten kann, wenn jedes fünfte Fahrzeug darüber verfügt. Hersteller wie BMW, Daimler und VW wollen die car2car-Kommunikation 2015 auf den Markt bringen, der Branchenverband VDA und das Verkehrsministerium unterstützen dies. In den USA und Japan ist sogar eine gesetzliche Verpflichtung zum Einbau im Gespräch.