Was macht man im dünn besiedelten Harburger Stadtteil Neuland, wenn man viel Freizeit hat? Tja. Gute Frage
Hamburg. Ich könnte doch ... Ich müsste mal wieder ... Wie wäre es denn ... Drei gern genommene Variationen, um sich mit immer neuen Ausreden vor der Frage zu drücken: Was stellt man mit sich an, wenn nichts und niemand sonst geregelt, versorgt oder abgearbeitet werden muss? Die nächste Etappe zur Selbsterkenntnis mit eingebauter Selbstbeschäftigung wäre dann: Warum? Und die letzte: Wo?
Zumindest dafür gibt es auf dem Hamburger Stadtgebiet eine weitgehend unbekannte Möglichkeit, um Freizeit sinnvoll zweckbefreit zu nutzen: Neuland, den Stadtteil mit dem poetischsten aller Hamburger Stadtteil-Namen. Dort, wo es klassisch ist, also weitgehend leer und ziemlich möglichkeitslos. Jenseits der Einkaufsmöglichkeiten im sehr wie Harburg wirkenden Gewerbegebiet, abseits der penibel durchsortierten Kleingartensiedlungen, in denen immer etwas zu tun, zu mähen oder zu säen ist, bis der grüne Daumen blutet. Schön und gut ist es dort, aber es ist eben noch nicht: das Nichts so ganz ohne alles. Sondern nur etwas Etwas. Für das echte Neuländer Nichts muss man schon dorthin, wo man das Gras wachsen hören könnte, wäre das Autobahn-Dröhnen der A 1 nicht so nah und so uneinsichtig dröhnend.
Es hat genügend wohlfeilen Himmel über Neuland für jeden, um große, enorme, riesige Löcher hineinzustarren. Selbst Besucherandränge wie beim Hafengeburtstag wären kein Problem für das Panorama oberhalb des eigenen, oft so unfreiwillig eingeengten Horizonts. Und käme man am nächsten Tag wieder, genau zum gleichen Platz, es muss noch nicht mal zur gleichen Uhrzeit sein - der Himmel an sich wäre stoisch wieder dort, als sei nichts gewesen gestern. Mal strahlend blau, mal norddeutsch grau wäre er, um sich ganz entspannt hinzuhalten ins Blickfeld, für die nächste Runde Gelöchertwerden.
Die Gegend am Süderelbdeich ist ideal, um Freizeit und Bewusstseinserweiterung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Schon Jan Delay und die Beginner wussten: "Im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe." Gäbe es dort Dünensand, könnte man sich wie der Jever-Mann glatt rücklings hineinfallen lassen; warten, bis die Sonne untergeht oder der Magen knurrt. Man kann tun oder lassen.
Als Vorbereitung auf diese hanseatische Meditationsadresse bietet sich gründliches Grübeln über eines der vielen schönen Bonmots von Oscar Wilde an: "Gar nichts tun, das ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt." So gesehen ist Neuland eine begehbare Therapiecouch für feinsinnige, aber gestresste Großstädter. Die können dort so lange über dumpfe Kollegen oder nervende Befindlichkeiten brüten, bis der ganze Ärger einfach verdampft ist und sich wohlige Leere im Gemüt einstellt. Dieser Lebenszeit-Hohlraum lässt sich dann, ohne irgendeine Rücksicht nehmen zu müssen, mit diesem oder jenem füllen.
Für Fußball-Interessenten bietet sich der Platz des SV Neuland an, der wäre von der Deichkrone aus auch schnell erreichbar. Falls dort gerade niemand gegen einen Ball oder - ganz freundlich und ohne Argwohn natürlich - gegen einen Gegner tritt, könnte man sich in dramatische Situationen hineinfantasieren. Andererseits: Fußball gäbe es auch im Rest der Welt schon mehr als genug. Die Gebrauchsanweisung für Neuland pur, umsonst und draußen heißt also: passende Kleidung, genügend Zeit, Getränke und Verpflegung, vielleicht auch ein Buch. Und dann einfach abwarten, was passiert. Bis etwas passiert. Oder auch nicht. Was dann auch nicht nichts wäre.