Steuereinnahmen weit höher als erwartet. FDP rechnet mit einem Überschuss. Finanzexperte: „Ausgeglichener Haushalt ist möglich”.
Hamburg. Angesichts der Rekord-Steuereinnahmen bei Bund und Ländern keimt in Hamburg die Hoffnung, dass der Stadtstaat 2012 ohne Neuverschuldung auskommen könnte. Das ist in den vergangenen Jahrzehnten nur 2007/2008 gelungen und wird in der Finanzplanung des SPD-Senats eigentlich erst wieder für 2019 angepeilt. Im Jahr darauf setzt ohnehin die gesetzliche Schuldenbremse ein.
Die jüngste Steuerschätzung, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gestern vorstellte, sagt Bund, Ländern und Gemeinden für 2012 ein Plus von 5,9 Milliarden Euro im Vergleich zur Mai-Prognose voraus. Hamburg hatte zum 30. September mit gut 6,5 Milliarden Euro bereits 418 Millionen oder 6,8 Prozent mehr Steuern eingenommen als im Vergleichszeitraum 2011. Kalkuliert worden war nur mit einem Zuwachs von 0,7 Prozent. Sollte sich die Entwicklung bis zum Jahresende fortsetzen, was die aktuelle Steuerschätzung voraussagt, könnte die Stadt in die glückliche Lage kommen, die von der Bürgerschaft bewilligte Nettokreditaufnahme von 600 Millionen Euro gar nicht antasten zu müssen.
"Offensichtlich läuft es besser als geplant. Und natürlich werden wir Mehreinnahmen dazu nutzen, die Kreditaufnahme so weit wie möglich abzusenken", sagte SPD-Haushaltsexperte Jan Quast dem Abendblatt. Viel wichtiger als ein positives Ergebnis für dieses Jahr sei aber die Einhaltung der Ausgabendisziplin, zumal die Steuerschätzer für 2013 bis 2016 bereits einen Rückgang der Einnahmen ankündigen. Auch die Finanzbehörde wollte sich nicht an Spekulationen beteiligen, da sich Stichtagsbetrachtungen wie die zum 30. September nicht linear aufs Gesamtjahr hochrechnen ließen. "Abgerechnet wird am Schluss", sagte Sprecher Daniel Stricker, "aber natürlich würden wir uns nicht dagegen wehren, wenn wir ohne Kreditaufnahme auskämen." Die exakte Steuerprognose für Hamburg stellt Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) am 13. November vor.
Deutlich offensiver schätzt die Opposition die Lage Hamburgs ein. "Ein ausgeglichener Haushalt ist möglich", sagte FDP-Finanzexperte Robert Bläsing. Er erwarte für das Gesamtjahr 2012 sogar einen Überschuss von 150 Millionen Euro - vorausgesetzt, der Senat halte sich an das selbst gesteckte Ziel, die Ausgaben um maximal 0,88 Prozent zu steigern. Auch CDU-Finanzexperte Roland Heintze forderte vom Senat erneut mehr Ehrgeiz bei der Haushaltskonsolidierung. Er erinnerte daran, dass der Bund bereits 2014 und Berlin von 2015 an einen Schuldenstopp planen: "Wenn unsere Stadt hier schlechter abschneidet als die bislang klamme Hauptstadt, wäre das ein Armutszeugnis für den Senat."
Insgesamt können Bund, Länder und Kommunen nach der neuen Steuerschätzung in diesem Jahr erstmals mit mehr als 600 Milliarden Euro Einnahmen rechnen. Finanzminister Schäuble sagte, er erwarte, dass im Bund die Nettokreditaufnahme um vier bis fünf Milliarden Euro geringer ausfallen könnte als die bisher eingeplanten 32,1 Milliarden Euro.
Auch wenn die Steuerschätzung für die kommenden Jahre ein weniger starkes Wachstum erwartet, hält Schäuble für 2014 einen "strukturell ausgeglichenen" Haushalt für möglich. Dabei werden Einmaleffekte und Konjunkturauswirkungen ausgeklammert. Einen echten ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden - erstmals seit mehr als vier Jahrzehnten - peilt Schäuble für 2016 an. Die FDP hatte bisher eine "schwarze Null" bereits für 2014 gefordert. Gestern aber sprach auch FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler in der "Welt" vom Ziel eines "strukturell ausgeglichenen" Haushalts 2014.