Schlechte Straßen und unzählige Baustellen machen den Speditionen zu schaffen. Das Abendblatt begleitete einen Lkw-Fahrer.
Hamburg. Eugen Back startet seinen MAN-Lastzug und fährt vom Hof der Spedition BurSped in Moorfleet. Auf seinem Weg zum Ziel in Bad Oldesloe könnte er aus der Halskestraße nach rechts einbiegen und zügig zur Auffahrt der Autobahn 1 fahren. Doch das lässt Back, 28, lieber sein. Denn nach fast fünf Jahren bei BurSped kennt der Routinier seine Region mit all ihren Staufallen genau. Back steuert das Lkw-Gespann stattdessen nach links auf dem Unteren Landweg zur Bundesstraße 5. Von dort geht es weiter zur Auffahrt Billstedt und dann auf die A 1. "So erspare ich mir einen großen Teil des Staus." Die Fahrzeugschlange reicht auf der Autobahn einige Kilometer zurück bis nach Moorfleet.
Auf der A 1 lenkt Back den Lastzug vorbei am Kreuz Hamburg-Ost nach Nordosten, teils über holprige, geflickte Fahrbahndecken und Spurverengungen an Baustellen. Auf seinem luftgefederten Fahrersitz schwingt er leicht auf und ab. Back fährt das Gespann mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 Tonnen für BurSped im regionalen Zubringerverkehr. Am Knotenpunkt des Transportunternehmens in Billwerder-Moorfleet wird Ladung für die Fernstrecken gesammelt oder aus anderen Landesteilen dort für Norddeutschland umverteilt. Auch der Hamburger Hafen spielt für das Logistikzentrum von BurSped eine zentrale Rolle.
Zwischen 50 und 200 Kilometer fährt Back an einem normalen Arbeitstag in seiner Schicht, die inklusive Pause von sieben bis 17 Uhr dauert. "Ich fahre, wohin die Disponenten von BurSped mich schicken, meist liegt das Ziel im Großraum Hamburg, seltener auch mal weiter weg, etwa in Flensburg." Eingebunden in das Logistiknetzwerk CargoLine aus mehreren Dutzend Transportunternehmen, verknüpft BurSped den Nah- mit dem Fernverkehr. Die Fahrer bringen und holen sogenannte Wechselbrücken, Lkw-Aufbauten, die aufgestelzt und dann getauscht werden, ähnlich wie Container.
Wie viele davon ein Fahrer an einem Tag zwischen Start und Ziel bewegt, ist schwer vorhersehbar: "Besonders im Sommer gibt es mittlerweile an jeder Ecke Baustellen", sagt Back. "Man kann versuchen, sie zu umgehen. Aber das lohnt sich nicht immer. Außerdem kostet es zusätzliche Maut, wenn man die Autobahn benutzt." 65 Cent werden zum Beispiel auf dem kurzen Abschnitt zwischen Stapelfeld und Ahrensburg fällig. Ein kleiner Betrag, aber das summiert sich im Lauf des Jahres.
Richtung Bad Oldesloe kommt Back an diesem Mittag mit wenig zähflüssigem Verkehr vergleichsweise schnell ans Ziel. Beim Unternehmen Boltze, einem Importeur und Großhändler von Dekorationsware und Geschenkartikeln, stellt er die zwei leeren Wechselbrücken von seiner Zugmaschine und dem Anhänger an der Laderampe ab. Dann fährt er auf die andere Seite der Lagerhalle, wo beladene Aufbauten stehen. Mit dem Disponenten von Boltze bespricht der Fahrer, welche er nach Hamburg bringen soll. Mit Ladung für die Drogeriemarktkette Budnikowsky macht sich Back dann wieder auf den Weg. Nur rund sechs Tonnen hat er auf dem gut 18 Meter langen Gespann geladen. "Leichte Ware", sagt Back, "das dürften schon Dekorationsartikel für Weihnachten sein."
Zurück auf der Autobahn, passiert er einen Stau auf der Gegenseite. Am frühen Nachmittag ist Back wieder bei BurSped, mit etwa einer Viertelstunde Verspätung gegenüber dem Zeitplan. Auch für die Rückfahrt hat er wieder den Weg über die Bundesstraße 5 und den Unteren Landweg gewählt, ein gutes Stück durch die Stadt, um einen möglichen Stau auf der A 1 vor Moorfleet zu umgehen. "Eine Viertelstunde zu spät ist nicht viel", sagt er. "Wenn wir Ladung im Hafen abholen, müssen wir bei den Unternehmen mitunter ein bis zwei Stunden warten. Und dann kommen noch die Staus hinzu."
Trotz aller wirtschaftlicher Krisen in der Welt wächst die Transportwirtschaft in Deutschland, und eines ihrer wichtigsten Zentren ist Hamburg. Der Hafen etwa will nach Rückschlägen in den Jahren 2008 und 2009 langsam wieder an den bisherigen Umschlagrekord von rund zehn Millionen Containereinheiten (TEU) anknüpfen. Doch der Metropolregion droht durch ihren eigenen Erfolg die Luft auszugehen. Die Kapazität der Straßen wächst nicht im nötigen Umfang mit. Stau wird zum Dauerzustand, weil Stadt und Bund nach den relativ strengen Wintern der vergangenen Jahre auch noch etliche kurzfristige Reparaturen an den Fahrbahnen ausführen müssen. "Das Problem ist gar nicht mal so sehr der Güterverkehr in und um Hamburg selbst, sondern der zunehmende Transitverkehr aus allen Himmelsrichtungen", glaubt der Transportunternehmer Hans Stapelfeldt, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg. "Je mehr Baustellen wir auf den Autobahnen rund um Hamburg haben, vor allem auf der A 1 und der A 7, desto stärker weicht der Lastwagenverkehr in die Stadt hinein aus. Und dann bricht das System irgendwann zusammen."
Stapelfeldt und seine Mitstreiter aus der Logistikbranche fordern, dass Hamburg und der Bund vor allem die Situation an den Baustellen verbessern, um kurzfristig Entlastung zu schaffen. "Die Abstimmung in der Stadt selbst, aber auch zwischen der Stadt und dem Bund mit Blick auf die Autobahnen, muss dringend auf eine professionellere Basis gestellt werden", sagt er. "Und das Zeitfenster für die Bauarbeiten sollte größer werden. Die meisten Arbeiten werden in der Zeit von nach Pfingsten bis November erledigt. Warum nicht zehn Monate im Jahr bauen und viel öfter im Dreischichtbetrieb anstatt mit einer Schicht? Das ist zwar je Baustelle teurer, verringert aber den volkswirtschaftlichen Schaden der Staus."
Allein vor den Einfahrten zum Elbtunnel entstehen im Jahr mehr als sieben Millionen Staustunden, hat der Verband Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg errechnet. Den jährlichen Schaden durch Staus in Deutschland bezifferte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor einiger Zeit mit rund 102 Milliarden Euro.
Die Transportunternehmen können das in der Bilanz ablesen. Der Zeitdruck in der Logistikbranche wächst. Industrie- und Handelsunternehmen haben ihre eigene Lagerhaltung in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem großen Teil abgebaut und lassen sich die nötigen Waren oder Bauteile mittlerweile zeitgenau anliefern. "Just-in-time-Produktion" nennt die Industrie das auf Neudeutsch.
Das Bindeglied zwischen den beteiligten Herstellern und den Endkunden sind die Transportunternehmen. Die stehen, trotz eines stetig wachsenden Aufkommens an Gütern, in einem harten Wettbewerb, angefacht unter anderem durch Transportunternehmen aus Osteuropa, durch steigende Energiekosten und einen wachsenden Mangel an Fahrern in Deutschland. Jeder Stau erschwert in dieser Lage das Geschäft.
BurSped-Geschäftsführer Matthias Welter, 50, sitzt mit seinem Fuhrparkleiter und Prokuristen Knut Dorendorff, 54, am Konferenztisch seines Büros. An der Wand steht ein Regal voller Lastwagen im Modellbahnmaßstab. Zwischendurch klingeln immer wieder mal die Mobiltelefone der beiden Manager, Mitarbeiter und Fahrer warten auf Instruktionen. Disponenten wie Dorendorff müssen ständig auf die aktuelle Situation reagieren. "Der Druck steigt, weil die Kunden immer kurzfristiger planen", sagt Dorendorff, der sich mitunter auch noch selbst ans Steuer eines Lastwagens setzt.
Rund 400 Mitarbeiter und 45 schwere Lkw beschäftigt BurSped, hinzu kommen rund 120 Lieferfahrzeuge von Subunternehmern. Vor allem die kleineren der rund 1000 Hamburger Unternehmen im Straßengüterverkehr leiden unter dem Kostendruck. "Wir arbeiten mit einem bis zwei Prozent Umsatzrendite bei hohem Risiko", sagt Welter. "Konzerne, die international tätig sind, können den Druck im Straßenverkehr durch lukrativere Geschäftsbereiche wie etwa die Luftfracht besser ausgleichen." Allein 70 000 Euro Autobahnmaut zahlt BurSped im Monat für seine schweren Lastwagen. "Wir können das nur bedingt an die Kunden weitergeben", sagt Welter. Zusätzliche Autobahnfahrten gehen deshalb ebenso ins Geld wie Standzeiten im Stau. Die Zahl und die Dichte der Baustellen in der Metropolregion belastet das Geschäft des Unternehmens derzeit besonders stark. "Vor allem im Süden der Stadt und vor dem Elbtunnel ist die Lage kritisch", sagt Dorendorff.
Enlastungsstraßen in und um Hamburg, etwa zusätzliche Querungen der Elbe oder die Hafenquerspange zwischen der A 1 und der A 7, geistern als Projekte seit Jahren wie Phantome durch die Welt. Transportprofis wie Dorendorff und Welter wären schon froh, wenn wenigstens die vielen Reparaturbaustellen effizienter abgefertigt würden. "Ich bin in Deutschland auch privat oft und in vielen Gegenden unterwegs", sagt Dorendorfff. "Nirgends ist es so schlimm wie in Hamburg."