Im Jahr 2011 gab es 1600 Angriffe auf Behördenmitarbeiter in Hamburg. Jetzt gibt es ein neues Sicherheitskonzept - mit ersten Erfolgen.
Unvorbereitet sind sie nicht: Die Mitarbeiter der Hamburger Jobcenter werden auf heikle Situationen im Umgang mit Kunden geschult. Etwas anderes ist es aber, tatsächlich in den Lauf einer Pistole zu blicken. Elke P. hätte sich diese Erfahrung gern erspart. Nie zuvor war die Mitarbeiterin des Jobcenters Eidelstedt an der Fangdieckstraße an ihrem Arbeitsplatz derart massiv bedroht worden. Bis zum 1. März 2012, als vor ihr Hartz-IV-Empfänger Rüdiger S. saß. Sie könne ihm kein staatliches Unterstützungsgeld auszahlen, teilte sie ihm mit - plötzlich zückte Rüdiger S. eine silberfarbene Pistole und zielte auf sie. Er werde sie nun erschießen müssen, drohte der 48-Jährige. Es blieb glücklicherweise bei der Drohung. Rüdiger S. sollte sich jetzt eigentlich vor dem Amtsgericht Altona verantworten, er war jedoch nicht zur Verhandlung erschienen, der Richter erließ deshalb Haftbefehl. Bis zum nächsten Verhandlungstermin bleibt er hinter Gittern.
Drastische Angriffe wie der auf Elke P. sind in Hamburger Amtsstuben zwar selten. Meist bleibt es bei Beleidigungen und verbalen Drohungen. Doch die Gesamtzahl der Übergriffe in den Ämtern und Behörden der Stadt steigt. Und zwar seit Jahren. Allein 2011 nahm die Gewalt gegen Beamte und Angestellte im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zu. Besonders betroffen: die Jobcenter von team.arbeit Hamburg, wo sich allein 751 der fast 1600 aktenkundigen Übergriffe auf die Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung ereigneten. Die Taten reichen von wüsten Pöbeleien, über Anspucken, das Bewerfen mit Akten- und Rucksäcken bis hin zu Anschlägen mit Buttersäure.
Aber: Die von der Stadt und team. arbeit eingeleiteten Gegenmaßnahmen zeigen in den Jobcentern Wirkung. Bis einschließlich Juni 2012 sind von den rund 1800 Mitarbeitern mit Kundenkontakt lediglich 303 Delikte gemeldet worden. Es zeichnet sich ab, dass es am Jahresende rund ein Fünftel weniger Übergriffe geben könnte als 2011. Nur 65-mal sind Beschäftigte bislang bedroht worden - nur halb so oft wie zum gleichen Zeitpunkt im Jahr davor. Auch die Zahl der Körperverletzungen sinkt. Auf einem unerfreulich hohem Niveau bleibt indes die Zahl der Beleidigungen: 223-mal mussten sich Mitarbeiter Pöbeleien und Beschimpfungen gefallen lassen.
Den Rückgang der Gewalttaten erklärt Heike Böttger, Sprecherin von team.arbeit, vor allem damit, dass Mitarbeiter besser auf brenzlige Situationen vorbereitet werden. "In den vergangenen zwei Jahren sind in größerem Umfang Sicherheitstrainings und spezielle Schulungen durchgeführt worden. Dazu gehören unter anderem der Umgang mit Konfliktsituationen, deeskalierende Gesprächsführung und Kommunikationstraining", sagt Heike Böttger. Mer als die Hälfte der Beschäftigten mit Kundenkontakt in den Jobcentern nahmen seit 2011 an solchen Schulungen teil, 150 sollen bis Jahresende noch folgen.
Für Heike Böttger liegen die Gründe für die Ausraster der Kunden auf der Hand. "Wir fördern nicht nur, wir fordern natürlich auch die Mitwirkung der Kunden ein, das liegt in der Natur der Gesetze. Einige werden allerdings auf dem falschen Fuß erwischt und äußern dann ihren Unmut, mitunter auch recht drastisch."
Zusätzlich sollen bauliche Maßnahmen die Mitarbeiter in den Jobcentern, Bezirksämtern, Bürgerbüros und der Justizbehörde besser schützen, aufgelistet sind sie im Maßnahmenkatalog "InfoOrgaBau", in den Vorschläge der 2005 gegründeten Arbeitsgruppe Gewalt eingeflossen sind. Dazu gehören Alarmtasten an Computern, Fluchträume und eine aggressionsdämpfende Farbgestaltung in den Ämtern sowie der Einsatz von Wachdiensten. Nach Angaben des Personalamts haben die Bezirksämter Mitte, Harburg und Bergedorf die technische Aufrüstung noch nicht vollständig vollzogen - dabei werden im Vergleich der Bezirksämter die Beschäftigten in Harburg und Mitte am dritt- und vierthäufigsten Opfer von Übergriffen.
Und die städtischen Bediensteten leben durchaus gefährlich. 2011 gingen die Täter zum Beispiel mit Stühlen, Regenschirmen und Stiften, kurioserweise auch mit Dornenzweigen, Fliegenklatschen, Hühnereiern und Schneebällen auf sie los. 50-mal wurden Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung mit gefährlichen Gegenständen angegriffen, achtmal sogar mit Waffen. Dabei handelte es sich unter anderem um ein Klappmesser, einen Schlagstock und Pfefferspray. 96 Strafanzeigen wurden 2011 erstattet, 23 Beschäftigte waren vorübergehend dienstunfähig. Zwölf wurden durch Übergriffe schwer verletzt, darunter fünf Justizbeamte und fünf Lehrer, wie aus einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der ehemaligen Abgeordneten Viviane Spethmann (CDU) hervorgeht.
Einen Trend zu mehr Brutalität in den Amtsstuben sieht das Personalamt dennoch nicht. Die städtischen Beschäftigten würden für das Thema verstärkt sensibilisiert und seien gehalten, jeden Vorfall anzuzeigen, dadurch stiegen auch die Fallzahlen. "Da hilft nicht die Kenntnis der Spitze des Eisbergs, sondern möglichst aller Übergriffe, um sachgerechte Lösungen zu entwickeln", sagt Bettina Lentz, Leiterin des Personalamts. Nachdem etwa die Mitarbeiter der Amtsgerichte gebeten worden waren, auch weniger gravierende Vorfälle zu melden, verzehnfachte sich die Zahl.
Die Kommunikations- und Konfliktkompetenz der öffentlich Bediensteten auszubauen ist offenbar ein guter Weg. Elke P., die Sachbearbeiterin vom Jobcenter an der Fangdieckstraße, konnte Rüdiger S. dazu bringen, die Pistole wieder einzustecken - allein durch gutes Zureden.