Eigentlich sollte sich Kentikian am Freitag vor dem Amtsgericht Wandsbek wegen versuchter Strafvereitelung verantworten.
Im Ring hat sie sich ganz nach oben geboxt. Doch dem Kampf vor Gericht hat sie sich am Freitag nicht gestellt: Susianna Kentikian, 1, 55 Meter klein, aber im deutschen Boxsport eine ganz Große, bis Mai 2012 Weltmeisterin im Fliegengewicht, Kampfname: Killer Queen. Die 25-Jährige hat sich buchstäblich hochgeboxt, ihr Leben ist das Boxen, und es ist auch maßgeblich davon geprägt. Erst ein dreijähriger Profivertrag sicherte ihr und ihrer Familie 1996 ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Bis dahin hatte Familie Kentikian auf einem Wohnschiff für Asylbewerber gelebt, der „Bibby Altona“. Susianna Kentikian, die in Armenien geboren wurde, hat zudem viel für ihr Image als kernige Kämpferin mit dem Herz am rechten Fleck getan. Und sich unter anderem für eine ganze Reihe sozialer Projekte stark gemacht.
Vielleicht war auch Magomed J. eine Art soziales Projekt. Der 22-Jährige - Boxer wie sie auch, wenn auch bei weitem nicht so erfolgreich - hat vor drei Jahren beim Boxstall Universum angeheuert, bisher aber nur einen Kampf absolviert. Aktuell lebt er von Hartz IV. Zeitweise wohnt der junge Mann bei ihr, der vor Gericht beteuert, wie leid es ihm tue, „Frau Kentikian“ in die „ganze Geschichte“ hineingezogen zu haben.
Die Geschichte beginnt damit, dass Magomed J. am 1. Juli 2011 ohne einen gültigen Führerschein von einem Parkplatz auf die Jenfelder Allee rast, plötzlich nach links abbiegen will, in die Fahrspur von Günther S. gerät und dessen Wagen rammt. Doch statt anzuhalten, braust er davon und kehrt erst zehn Minuten später an den Unfallort zurück. Nur: Da sitzt Profiboxerin Kentikian am Steuer. Wenig später erklärt die prominente Hamburgerin den am Unfallort aufgekreuzten Polizisten, sie habe den Wagen gefahren. Eine plumpe Lüge, wie sich nach Aussagen von Zeugen herausstellt.
Eigentlich sollte sich Kentikian am Freitag vor dem Amtsgericht Wandsbek wegen versuchter Strafvereitelung verantworten. Zur Hauptverhandlung gegen sie kam es ohnehin nur deshalb, weil sie gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft in Höhe von 9000 Euro Einspruch eingelegt hat. Diesen Einspruch hat sie über ihren Verteidiger gestern allerdings auf die Höhe der Tagessätze beschränkt, im übrigen aber zurückgenommen. Im Klartext: Kentikian will die Strafe in dieser Höhe nicht berappen. Ob sie tatsächlich weniger wird zahlen müssen, entscheidet sich nun im schriftlichen Verfahren.
Gegen Magomed J. hingegen verhandelt das Gericht. Wie ein Boxer sieht der junge Mann im weißen Hemd nicht aus. Nicht bullig, nicht muskulös. Eher drahtig und klein. Er habe, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, an jenem Tag Unfallflucht begangen und sei zudem ohne gültigen Führerschein gefahren, so die Anklage. „Ich habe ja einen Führerschein gehabt“, rechtfertigt sich der 22-Jährige. „Den habe ich bei einem Aufenthalt in New York auf russisch gemacht.“ Drei Mal sei er bereits vor dem Unfall kontrolliert worden – drei Mal hätten die Beamten nichts gesagt. Und deshalb sei er davon ausgegangen, dass er einen gültigen Führerschein besitze. Warum er das Papier, wenn es doch gültig war, unmittelbar nach dem Unfall wegwarf, bleibt bis zum Ende der Verhandlung ein Rätsel. Jedenfalls habe nicht er den Unfall verursacht – Günther S. sei ihm „hinten reingefahren“. Danach habe er Panik bekommen, weil der Audi RS5 (486 PS) - ein Leasing-Wagen - auf den Namen von „Frau Kentikian“ lief. „Ich wollte nicht, dass sie Ärger kriegt, wenn die Polizei erfährt, dass ich gefahren bin. Das wollte ich ihr nicht antun. Es tut mir leid, dass ich sie da reingezogen habe “, sagt Magomed J.
Überzeugend klingt die Geschichte des Angeklagten in den Ohren des Staatsanwalts und des Richters nicht, für sie klingt es eher so, als wolle sich Magomed J. mit dieser „Schutzbehauptung“ herausreden. Dass er unmittelbar nach dem Unfall in ein (inzwischen eingestelltes) Verfahren verwickelt wurde, in dem es auch um das Fahren ohne Führerschein ging, und dass er zudem wegen zweifachen Diebstahls bereits Jahre zuvor verurteilt worden ist, macht ihn auch nicht gerade glaubwürdiger. Vielleicht trifft es zu, was er dem Gericht auf die Frage, ob er Kinder habe, antwortet: „Ich bin selber noch ein Kind.“
Am Ende verurteilt ihn der Richter zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Kein Problem für Magomed J., der strahlend an den Fernseh-Redakteuren vorbeiparadiert. Es ist ein großer Auftritt für einen kleinen Boxer, der für einen einzigen Kampf 2500 Euro eingestrichen hat und sich trotzdem Profi nennt. Ob er mit dem Urteil zufrieden sei, fragt ein TV-Reporter, zumal er, Magomed J., doch als Hartz-IV-Empfänger 600 Euro nicht mal eben so zahlen könne. „Klar bin ich zufrieden“, sagt Magomed J. und grinst. „Und die 600 Euro gebe ich jeden Tag fürs Essen aus“. Und weg ist er.