Senat will verhindern, dass Billiglöhner und Arbeitssuchende aus Bulgarien und Rumänien das Winternotprogramm für Obdachlose nutzen.
Hamburg. Das Winternotprogramm in Hamburg hat eine 20-jährige Tradition. Ins Leben gerufen wurde es vor allem, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu schützen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich das Projekt jedoch stark verändert. Drei Viertel der Übernachtungen entfielen nicht mehr auf wohnungslose Hamburger, sondern auf Arbeitsuchende aus neuen EU-Ländern wie Polen, Bulgarien und Rumänien. Im vergangenen Winter sei die Nachfrage kontinuierlich gestiegen, sodass 352 zusätzliche Schlafplätze zur Verfügung gestellt werden mussten, teilte die Sozialbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit: "Der größte Teil dieser Plätze wurde von Osteuropäern genutzt, zu denen auch Menschen gehörten, die wegen der Arbeitssuche nach Hamburg gekommen waren."
Um diesem Trend entgegenzuwirken, sollen künftig zumindest diejenigen Osteuropäer, die kaum eine Perspektive auf einen Arbeitsplatz haben, verstärkt zur Heimkehr bewegt werden, bestätigte die Behörde einen Bericht der "Tageszeitung". Die Kosten für die Heimreise übernimmt die Stadt. Erreicht werden sollen die Betroffenen vor allem über die Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose, die eng mit den Konsulaten der Herkunftsländer (Polen, Rumänien. Bulgarien und Slowakei) zusammenarbeitet. Sie ist am Besenbinderhof nahe dem Hauptbahnhof bei der ebenfalls neuen "Beratungsstelle für mobile europäische Arbeitnehmer" untergebracht. Bislang wurden 582 Osteuropäer beraten, von denen 251 in ihre Heimat zurückkehrten.
+++ Heikle Einteilung von Obdachlosen +++
Scharfe Kritik kam vom Diakonischen Werk. "Jeder Mensch, der in Hamburg obdachlos wird, muss vor dem Erfrieren geschützt werden, egal, woher er kommt und wie lange er in Hamburg bleibt", sagte Diakonie-Vorstand Gabi Brasch. Osteuropäern den Zugang zum Winternotprogramm zu erschweren sei auch rechtlich äußerst fragwürdig, da Obdachlosigkeit immer eine Gefahr für Leib und Leben sei, so Brasch. "Deswegen besteht eine Unterbringungspflicht - unabhängig vom Pass oder dem Lebensmittelpunkt."
Diese Kritik weist die Sozialbehörde zurück. Auch künftig werde kein Obdachloser an den Türen der Notunterkünfte abgewiesen und niemand nach Osteuropa "zurückgeschickt" - das sei schon wegen der freien Wahl des Aufenthaltsorts für EU-Bürger nicht möglich. Allerdings solle den Menschen verdeutlicht werden, was sie erwartet. "Ich möchte nicht, dass Menschen mit falschen Versprechungen nach Hamburg gelockt werden und hier stranden, weil sie hier keine Lebensperspektive haben", sagte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). "Denn ohne Ausbildung und ohne Kenntnisse der deutschen Sprache hat man auf dem Hamburger Arbeitsmarkt fast keine Chancen." Das Winternotprogramm richte sich aber vor allem an diejenigen, die sich dauerhaft in Hamburg aufhalten und die im Winter besonders in Not geraten. "Deswegen bauen wir unser Beratungsangebot stetig aus und sorgen dafür, dass die Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose weiterhin bestehen bleibt."
Ksenija Bekeris, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion, formuliert es etwas konkreter: "Das Winternotprogramm ist ein Erfrierungsschutz für alle Obdachlosen, die hier in der Stadt leben. Es darf nicht zu einer Ersatzunterkunft für Menschen werden, die unter falschen Voraussetzungen von Schleusern und Ausbeutern in die Stadt gelockt werden." Sie habe von Osteuropäern gehört, dass sie auf die Unterbringung auf Staatskosten angewiesen seien, weil sie sich von 2 Euro (!) Stundenlohn keine andere Unterkunft leisten könnten. Sie wolle nicht tatenlos zusehen, "wie verantwortungslose Arbeitgeber und Menschenhändler ihre ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse mit dem Hinweis auf günstige Wohnunterkünfte rechtfertigen", sagt Ksenija Bekeris. Die SPD habe daher bereits im Januar die Einrichtung eines runden Tisches "Fairness und klare Regeln am Hamburger Arbeitsmarkt" angeregt.
Dass das Winternotprogramm schon mitten im Sommer so heiß diskutiert wird, dürfte auch an den steigenden Kosten liegen. Wurden im Winter 2010/2011 "nur" 410 000 Euro für 186 Plätze ausgegeben, war es im vergangenen Winter schon knapp eine Million Euro - und das, obwohl die Notunterkunft im Bunker am Hachmannplatz und der Bus-Shuttle für Obdachlose nicht mehr angeboten wurden. Doch allein die neu eingerichtete Unterkunft an der Spaldingstraße schlug mit 780 000 Euro zu Buche.
Obwohl das Gebäude vor dem Abriss steht, sollen dort auch im kommenden Winter zunächst 160 Plätze angeboten werden, so die Sozialbehörde. Hinzu kämen etwa 80 bis 90 Plätze in den Wohncontainern der Kirchen. Bei Bedarf werde die Kapazität erhöht - aber das soll ja verhindert werden.