Was sagen Bewohner der Schanze zu den erneuten Krawallen? In einem meinungsstarken Beitrag bezieht ein Anwohner Position.

Hamburg. Es war wie jedes Jahr zum 1. Mai im Schanzenviertel . Über Stunden lieferten Chaoten und Polizei sich ein Katz-und-Maus-Spiel. Aus dem Schutz der Dunkelheit bewarfen die Randalierer Polizeibeamte mit Steinen und Flaschen. Die Chaoten zündeten Mülltonnen an, zerstörten Schaufensterscheiben. Doch inzwischen wächst auch unter den Bewohnern des Schanzenviertels die Kritik. "Wir wollen Euch hier nicht haben", war in der Nacht zum Sonntag das eine oder andere Mal zu hören. Ein Anwohner hat einen Brief an die Krawallmacher geschrieben

Lieber anonymer Schanzen-Randalierer,

ich war dabei, als Du am 1. Mai-Wochenende mit Rucksäcken voll Steinen und Brandbeschleuniger anreistest. Mit Mamas Monatskarte aus der Vorstadt, im Kopf viel billiger Fusel und wenig wirkliche Ideen. Die Gedanken leer von wirklich Wichtigem. Die große Sehnsucht nach Chaos spülte dich wie eine Ölpest zu uns in die Schanze, vor meine Haustür. Wo Du bist, erstirbt das soziale Leben. Erstirbt der Diskurs. Denn Dein Ziel ist das Chaos, die Gewalt. Die Zerstörung. Um jeden Preis. Oft auch gegen uns, die Anwohner.

Ich habe dich gesehen, als Du feige und versteckt unterm teueren Marken-Kapuzenpulli wieder mal sinnentleert mein Schanzenviertel zündeltest. Als Du Plastikmülltonnen und stinkenden Sperrmüll zu einem Feuer mitten zwischen unseren Häusern stapeltest. Ich hab Dich gesehen, als Du sogar Fahrräder der Anwohner in die Flammen warfst. Ich habe dich erwischt, als Du Zweige und Bäume aus dem Park hinter der Flora, der uns Erholung sein soll, in dein stinkendes Straßenfeuer wuchtetest.

Ganz großes Kino? Nein. Ganz große Scheiße! Hey, möchtegern-Mescalero: Plastik verbrennen? Fahrräder anzünden? Natur zerstören? Geht’s denn noch? Wie asozial ist das denn? Von zerschlagenen Scheiben des Kleingewerbes und zerstörten Studenten-Autos in den Nachbarstrassen gar nicht erst zu reden. Auch nicht von dem Ritual rund um die Haspa-Filiale und Deutsche Bank, wo Du und deines Ungleichen vermeintliche Stärke gegen den Kapitalismus zeigst, indem Du mit riesigen Eisenstangen Geldautomaten und Schaufensterscheiben zerschlägst. Welch jämmerliches Spektakel, das jedem schadet, aber am wenigsten der Bank.

Ich habe Dich beobachtet, wie Du zwei Stunden unter Gejohle herumlungernder Billig-Bier-Teenager und von der Polizei lange ungehindert Krawall machen durftest. Dich hirnlos an Eigentum kleiner Leute, Anwohnerinteressen und sämtlichen Ideen vergingst, für die andere hier jahrelang gekämpft haben. Gekämpft damals auch mit Demos. Sicher auch mal mit Spektakel und Krawall. Aber selten so sinnlos wie heute. Fotografiert habt Ihr Euch stolz vorm stinkenden Plastik-Feuer, vor zerstörten Bankschaltern auf dem Schulterblatt, vor Wasserwerfern – aber Euer Handy-Geknipse ist Beweis für Nichts. Zu peinlich sogar für youtube. Bilder des Abschaums.

Während die wirklich Radikalen ihren Kick und Kampf diesmal wohl eher in Berlin suchen, wo trotz Krawall zumindest noch ein Rest von Meinung auf der Strasse demonstriert und ausgetragen wird, wo Nazis zu verjagen und Spruchbänder zu tragen waren, da bleibst Du lieber brav und spießig zu Hause. Kommst direkt von elterlicher Wohlstandslangeweile zum ach-so-politischen-Plastik-Verbrennen und Geschäfte-verwüsten in die Schanze. Spielst Bürgerkrieg für Arme. Hoffst auf Sekunden-Prominenz in der krawall-geilen Lokalpresse. „Das ist krass-peinlich, Digger“, damit Du es auch in Deiner Sprache verstehst: „Wir Anwohner haben Euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass“! Wir finden längst: Feuer und Flamme für so viel Dummheit. Wer Fahrräder ins Feuer wirft, Plastikmülltonnen an Häusern zündelt und Kleinlaster in Brand setzt hat keine Solidarität verdient.

Du, pubertärer Vorstadt-Guerillero aber hältst all dein sinnentleertes Treiben in kompletter Unkenntnis sogar noch für Anarchie. Pinselst „Revolution“ an jene Rote Flora, die wir auch mal freikämpften mit Demos, die aber heut meist für nichts mehr steht als für Intoleranz und Gewaltkulisse. Aber Du formulierst keine Inhalte, keine Kritik an irgendwas – du zerstörst einfach nur so. Und zu allem Übel grölst Du bei brennenden Plastikplanen, die den hier lebenden Kindern die Lungen verklebt, auch noch „St Pauli - St Pauli“.

Hey. Du verstrahlter Krawallerianer: Wir sind St Pauli – Du aber definitiv nicht! Die mögen aufsteigen, Du aber, anonymer Asozialist, steigst ab, denn tief bist Du gesunken. Dort, bei „unserem FC St Pauli“ will man Leute wie dich auch nicht. Dein gewalttrunkenes Solidaritätsgewinsel ist Pauli peinlich. Und nichts wollen wir Anwohner mit Dir mehr gemein haben, wenn Du immer wider alle unsere Interessen zündelst und zerstörst. Wir ticken hier sicher links-liberal, kritisieren gern den Staat, die Polizei. Aber wir ringen hier auch um Menschlichkeit, um Leben, um Lösungen. Du aber zerstörst sie.

Dir geht es in der Schanze längst nicht mehr um „Ballermanisierung“ oder „Yuppies“ - inzwischen bist Du feiger Brandstifter das größere Problem. Du unterdrückst, Du zerstörst Ideale. Deine Gewalt lehnen wir ab. Und wenn Du stundenlang ungehindert auf dem Schulterblatt zündeln durftest, und dann doch noch die ach-so-böse-Polizei vorbei kommt, um zumindest mal den Großbrand, der unseren Häusern gefährlich nahe kommt, zu löschen, dann wirfst Du mit Glasflaschen und skandierst gleichzeitig „Keine Gewalt, keine Gewalt“. Hallo? Merkst Du noch was? Bei aller früheren Solidarität mit Kritik und Demos in der Schanze: Wer nichts (mehr) zu sagen hat: einfach mal Schnauze halten und sich im Wald abreagieren statt wieder die Nachbarschaft in Schutt und Asche zu legen.

Such Dir, schäbiger halbstarker Krawallo, wenn Du zu viel Zeit hast, Arbeit, einen Sportverein, eine Freundin oder zumindest eine Meinung, einen Inhalt, für den es sich zu kämpfen lohnt. Und lass die Schanze, unsere Heimat endlich mal in Frieden, sie hat genug ohne Dich auszuhalten. In den Nachrichten hat man Dich als „Demonstrant“ geradezu geadelt, einer der politische Auseinandersetzungen pflegt, sich deshalb mit der Polizei auseinandersetzt. Für uns aber bist Du ein asozialer Plünderer. Asozial, weil Du schändlich mit Eigentum, Natur und Mitmenschen umgehst. Plünderer, weil Du unsere Ideale, unsere Freiheit verrätst.

Und eines, lieber sinnloser Straßenkämpfer, wisse: Lange lassen wir Anwohner uns das nicht mehr bieten. Dieses Mal haben wir Dich beobachtet – nächstes Mal greifen wir evtl. persönlich ein und vertreiben Dich aus dem Viertel – auch ohne Polizeieinsatz. Wort gegen Wort. Mensch gegen Schwein quasi. Denn von Eurem peinlichen „möchte-gern-Bürgerkrieg ohne Inhalt“ haben wir die Nase voll.

Kopf schüttelnde restsolidarische Grüße,

A.* (ein Anwohner aus dem Schulterblatt)

(*Der Name des Autoren ist der Redaktion bekannt.)