Es geht nicht nur um Griechenland, sondern auch um unsere eigene Wirtschaft
Die Frage, ob Griechenland noch zu retten sei, treibt seit Monaten die europäische Öffentlichkeit um. Die ständigen Berichte über Reformstau, Unwillig- und Fähigkeit, ständig neuen Geldbedarf und zweifelhafte Eliten haben mittlerweile bewirkt, dass ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum populär geworden ist - wenn es nicht gar als unumgänglich angesehen wird.
Möglich ist das, auch wenn es keine formellen Regularien dafür gibt, und niemand genau weiß, was dann wirklich passiert. Es gilt die Parole: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Nur scheint es sehr fraglich, ob der Schrecken dann wirklich vorbei wäre, ob mit einer Pleite Griechenlands und dessen Abschied vom Euro die wesentlichen Probleme tatsächlich gelöst wären.
Auf Griechenland kämen bei der Wiederkehr einer ständig in Abwertung befindlichen Drachme erhebliche Importprobleme zu. Die Versorgung der Bevölkerung mit Energie oder Medikamenten etwa wäre akut gefährdet. Schlecht oder gar nicht bezahlte Staatsdiener trügen zur weiteren Destabilisierung bei. Soziale Spannungen, die jetzt schon reichlich vorhanden sind, könnten offen ausbrechen. Auch ohne Euro wäre Griechenland weiterhin Mitglied der EU - und hätte nicht nur Anspruch auf die Solidarität der Gemeinschaft. Diese wäre angesichts ihres Wertekanons zu weiterer Hilfe für Athen verpflichtet. Europa kann sich schon aus Selbstachtung keinen Totalabsturz eines Landes aus seiner Mitte leisten. Außerdem möchten die Gläubiger der Hellenen bestimmt nicht alle ihre Forderungen abschreiben. Es gilt daher abzuwägen, ob - bei Aufrechterhaltung des nötigen Reformdrucks - eine Pleite samt Euro-Austritt tatsächlich günstiger wäre als weitere Hilfen.
Denn im Grunde retten wir nicht nur Griechenland oder spanische Banken, sondern auch unsere eigenen Geldhäuser, die mit Abermilliarden in den Krisenländern engagiert sind. Auch sie haben von Infrastrukturprojekten der EU in den Südländern profitiert - oder jede Menge Geld in die mittlerweile geplatzte spanische Immobilienblase gesteckt. Wir retten zudem auch unsere Exportwirtschaft. Der größte Teil unserer Ausfuhren geht nämlich in den Euro-Raum und in das restliche Europa. Sind die Kunden pleite - Spanien und Italien könnten den Griechen folgen -, ist automatisch auch der Lieferant in allergrößten Schwierigkeiten. Und wenn schon ernsthaft die Frage diskutiert wird, ob man ganze Staaten pleitegehen lassen soll, weil sie schlecht wirtschaften, muss dann nicht das Gleiche auch für Banken erörtert werden? Vom marktwirtschaftlichen Standpunkt her gehören Unternehmen, die nicht wettbewerbsfähig sind, nicht gerettet, sondern abgewickelt. Was für Schlecker und Co. richtig sein soll, kann bei Geldhäusern nicht ganz verkehrt sein. Und wenn Institute, die quasi mittellosen Spaniern Immobilien aufschwatzten, weil Vorgesetzte von ihren Untergebenen Abschlüsse verlangt haben, egal wie, systemrelevant sein sollen, ist es dann nicht an der Zeit, auch darüber nachzudenken, ob in diesem System alles richtig funktioniert und geordnet ist? Muss sich eine der wichtigsten Wirtschaftszonen der Welt von Rating-Agenturen, die weder die Lehman-Pleite haben kommen sehen noch sonst irgendwie hellseherisch begabt sein können, und von prinzipiell nervösen Märkten wie ein Bär am Nasenring gängeln lassen?
Das alles sind Fragen, die ihrer Antworten harren. Patentrezepte aber gibt es nicht, und Änderungen werden nicht in wenigen Wochen zu vollziehen sein. Nicht in Griechenland, in Europa oder im Finanzsektor. Sicher ist aber, dass Panik der schlechteste Ratgeber ist. Zumindest sollte der nächste Prüfbericht der Troika abgewartet werden, bevor über Griechenland der Stab gebrochen wird.