Kaum noch ein Politiker verteidigt das neue Meldegesetz. Auch Hamburgs Regierung dagegen. Datenschützer: Entwicklung “alarmierend“.
Hamburg/Berlin. Das neue Meldegesetz, das dem Handel mit persönlichen Daten Tür und Tor öffnet, findet immer weniger Zustimmung. Nachdem Oppositionspolitiker und Datenschützer bundesweit gegen das Gesetz Sturm gelaufen waren, rudern die Politiker nun geschlossen zurück. Selbst die Bundesregierung spricht sich jetzt für eine Änderung aus - obwohl sie das Gesetz beschlossen hatte. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) distanzierte sich von dem Gesetz, das von ihrer eigenen Partei, der CDU und FDP durchgewunken wurde. Auch mehrere Bundesländer sagten bereits, dass sie dem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen werden - darunter auch Hamburg und Kiel.
+++Schwarz-Gelb will umstrittenes Meldegesetz ändern+++
„Die geplante Neuregelung beim Bundesmeldegesetz bewerten wir sehr kritisch", heißt es am Montag vom Hamburger Senat. "Der vorliegende Entwurf berücksichtigt das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger nicht in ausreichendem Maße. Daher wird Hamburg dieses Gesetz im Bundesrat ablehnen und Nachbesserungen fordern.“ Damit ist Hamburg in bester Gesellschaft - so kündigten bereits mehrere Länder die Blockade des Gesetzes an.
Doch warum wurde überhaupt so ein Gesetz entworfen - musste doch mit großem öffentlichen Widerstand gerechnet werden? Die Bundesregierung hoffte offensichtlich, dass das Gesetz weitgehend unbemerkt bleiben würde. Denn der Gesetzesentwurf war zu einem Zeitpunkt verabschiedet worden, zu dem kaum jemand dem Meldegesetz große Beachtung schenkte: In einer Woche, die politisch geprägt war von der Bundestagsabstimmung über ESM und Fiskalpakt, und zudem überlagert wurde von der Fußball Europameisterschaft. Und genau als Deutschland im Halbfinale gegen die Italiener kämpfte, beschlossen nur wenige anwesende Abgeordnete im Bundestag das neue Meldegesetz.
Sowohl Politiker als auch Datenschützer vermuten, dass die Öffentlichkeit das Gesetz nicht mitbekommen sollte. "Das hat glücklicherweise nicht funktioniert", sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz. Der schleswig-holsteinische Datenschützer Weichert vermutet zudem, dass die Sommerzeit genutzt werden sollte, um eine Berichterstattung bei den redaktionell nicht mehr so stark besetzten Medien zu minimieren. Dabei haben sie das Sommerloch unterschätzt, glaubt Weichert. "Das sich nun die Bundesregierung genötigt sieht, sich von den schwarz-gelben Parlamentariern zu distanzieren, ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten", sagt Grünen-Politiker Notz.
+++Umstrittenes Meldegesetz: Die Abstimmung vom 28. Juni im Bundestag+++
Das neue Meldegesetz war am 28. Juni im Bundestag beschlossen worden. Ursprünglich war im ersten Entwurf eigentlich geplant gewesen, die Rechte der Bürger im neuen Meldegesetz zu stärken: So stand im Entwurf, dass Daten nur dann an Adresshändler oder Werbetreibende herausgegeben werden dürfen, wenn dem zugestimmt wurde. Doch anstatt den Datenschutz voranzutreiben, haben CDU und FDP kurzfristig noch den Entwurf geändert. Laut dem neuen umstrittenen Gesetz können die Einwohnermeldeämter die Daten nun weitergeben - nicht nur an öffentliche Stellen, sondern auch an Werbetreibende und Adresshändler. Es gibt zwar eine Widerrufsregelung - doch diese ist nach Ansicht der Datenschützer quasi wirkungslos. Denn Unternehmen und Adresshändler können jederzeit Daten abfragen, "wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden", wie es in dem Entwurf heißt. Da aber insbesondere große Unternehmen von vielen Menschen bereits Datensätze vorliegen haben, könnten meist Informationen eingeholt werden.
+++Rot-grüne Länder kündigen Widerstand gegen Meldegesetz an+++
Doch warum wurde sich für die Änderung im Gesetzesentwurf entschieden? Die Datenschützer aus Hamburg und Schleswig-Holstein sind sich einig, dass Lobbyisten dahinter stecken. "An Kommunen und Datenschützern vorbei werden hier wirtschaftliche Lobbyinteressen bedient", äußert sich Weichert. Insbesondere sei dies problematisch, da es sich um eine öffentliche Stelle handele, die dann künftig kaum noch Datenschutz gewährleiste. "Es kann nicht Zweck eines hoheitlich geführten Registers sein, als Datenpool für die Werbebranche und den Adresshandel zu fungieren", sagt Hamburgs Datenschutzbeauftragter Caspar.
Die Datenschützer begrüßen nun die Kehrtwende der Politiker. Selbst die Regierungsparteien fordern nun doch die Einwilligungslösung - wie im ersten Gesetzesentwurf vorgesehen. "Offenbar werden die schwerwiegenden Argumente, die geltend gemacht werden, nun auch von Teilen der Bundesregierung gesehen", so Caspar.
+++Adressenverkauf durch Ämter – Widerspruch zwecklos+++
Auch wenn der Datenhandel aller Voraussicht nach noch abgewendet wurde - die Entwicklung ist nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Datenschützers Thilo Weichert "alarmierend". Das Gesetz zeige, das es um den Datenschutz nicht gut bestellt sei. "Wir müssen politisch weiterhin wachsam bleiben." Denn der Datenschutz werde zuweilen von Einflüssen und Gefälligkeiten - wie etwa der Lobby-Arbeit - beeinflusst. "Der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktion zeigt, dass unsere Persönlichkeitsrechte der Werbewirtschaft einige Euro wert sind."
Der Bundesrat wird voraussichtlich im Herbst über das neue Gesetz entscheiden.