Der Euro-Gipfel endet für die Kanzlerin und deutsche Steuerzahler mit einer Schlappe
Selten wurden so große Worte so schnell zur leeren Phrase. Am Dienstag hatte Kanzlerin Merkel vor der FDP-Fraktion noch verkündet, gemeinschaftliche Anleihen werde es mit ihr nicht geben, solange sie lebe. Drei Tage später triumphiert ein aufgekratzter italienischer Ministerpräsident nach dem Gipfel mit dem Satz: Der Weg zu Euro-Bonds sei bereitet.
Möglicherweise hat sich Mario Monti damit etwas weit vorgewagt - doch in der Sache könnte er recht behalten. Deutschland hat in der langen Verhandlungsnacht Position um Position geräumt, da wäre die Einführung von Euro-Bonds fast schon der nächste logische Schritt. Die Strategie der einstmals "eisernen Kanzlerin", finanzielle Zugeständnisse an strikte Auflagen zu knüpfen, ist erstmals auf breiter Linie gescheitert. Gelder aus dem Rettungsfonds ESM fließen nun direkt an Not leidende Banken, die Nationalstaaten werden aus ihrer Verantwortung entlassen. Länder bekommen Hilfe, ohne dass zusätzliche Konditionen definiert werden. Auch den Sonderstatus für Kredite der Euro-Staaten, wonach diese vorrangig zu bedienen sind, hat der Gipfel kassiert. Mehr Kontrollen gibt es hingegen nicht - Finanzhilfen werden maximal vage an "angemessene Bedingungen" geknüpft, die Banken- und Fiskalunion wurde auf die lange Bank geschoben. Europa wiederholt damit genau die Fehler, die den Euro in die Krise geritten haben.
Immerhin waren die Märkte am Freitag mit den Ergebnissen der langen Nacht von Brüssel zufrieden: DAX und Euro kletterten kräftig, die Renditen von italienischen und spanischen Staatsanleihen fielen deutlich. Damit verschaffen sich die kriselnden südeuropäischen Staaten kurzfristig Luft. Bliebe es dabei, könnten die Gipfelbeschlüsse die Schuldenkrise lindern.
Nur: Besonders wahrscheinlich ist das nicht. Mittel- bis langfristig wird es nun noch schwieriger, tief greifende Reformen durchzusetzen. Unter dem Strich sind die Schulden noch weiter vergemeinschaftet, Risiken noch stärker auf die Steuerzahler abgewälzt worden. Scheitert die Rettung, wird die Rechnung für Deutschland gigantisch werden.
Und noch eins hat die lange Gipfelnacht vor Augen geführt: Angela Merkels Macht schwindet. Längst ist die Krise so gewaltig, dass der Kanzlerin kaum eine Alternative blieb, als zuzustimmen. Entweder sie räumt ihre Positionen - oder sie stellt den Euro insgesamt infrage. Die Berechnungen des deutschen Finanzministeriums, wonach ein Scheitern des Euro das deutsche Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent schmälern und die Arbeitslosigkeit auf fünf Millionen katapultieren könnte, haben ihre Verhandlungsposition erschüttert. Denn die vermeintliche Schwäche der Krisenstaaten ist so zur Stärke geworden - Italien oder Spanien sind "too big to fail", sie sind zu groß, um sie scheitern zu lassen. Damit sind die Niederlande, Finnland und Deutschland erpressbar geworden - und sie wurden erpresst. Dass der finnische Vorstoß, über Pfandbriefe den Geberländern mehr Sicherheiten einzuräumen, offenbar nicht einmal ernsthaft diskutiert ist, zeigt die aussichtslose Lage.
Das Drama der reichen Staaten des Nordens am Verhandlungstisch mit dem Club Med, den Krisenstaaten am Mittelmeer, ist das Ungleichgewicht in der Euro-Zone. Solide Volkswirtschaften mit guter Bonität sind eine kleine Minderheit - der Euro war schon bei seiner Einführung für die schwachen Volkswirtschaften mit schlechter Bonität interessanter. Länder wie Dänemark oder Schweden, die ihre eigene Währung beibehalten haben, fehlen nun als Bündnispartner der Deutschen. Und auch in den zentralen Gremien der EU sind es vor allem Südeuropäer aus den Krisenstaaten, die die Richtung vorgeben.
Merkel hat in Brüssel verloren. Doch was noch schlimmer ist: Sie hatte kaum eine Chance zu siegen.