Im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif sind viele Hamburger Soldaten stationiert. Sie helfen, sie kämpfen, sie bilden aus, sie sehen den Tod.
Das Friedenslicht aus Bethlehem ist in zwei kleinen Laternen nach Afghanistan gekommen. In einem Bundeswehr-Airbus von Köln nach Termez in Usbekistan. Und von dort mit einer 40 Jahre alten Transall-Propellermaschine über die Grenze nach Masar-i-Scharif. Jetzt leuchtet die Flamme im Altarraum der siebeneckigen Kirche Haus Benedikt im Camp Marmal. Umringt von deutschen Soldaten, die Gottesdienst feiern. Das Friedenslicht hat 8000 Kilometer hinter sich. Es ist auf der langen Wegstrecke von Israel via Köln an den Hindukusch niemals ausgegangen.
Seit einem Vierteljahrhundert erinnert dieser Brauch die Christen zu Weihnachten daran, dass sie ein Licht entzünden und es in die Welt tragen sollen. Als Symbol für den Frieden. Wenn das so einfach wäre.
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In Afghanistan ist Krieg. Und die Deutschen sind mittendrin. Vor zehn Jahren beschloss der Bundestag, bis zu 1200 Soldaten zur Unterstützung der internationalen Truppen in die Hauptstadt Kabul zu schicken. Sie sollten helfen, das Terrorregime der Taliban zu stürzen. Sie sollten Frieden bringen. Aus 1200 wurden 5350. Afghanistan ist immer noch eine Kampfzone.
Seit 32 Jahren ist das so. Ein 30-jähriger Afghane kennt nur den Krieg. Nur Soldaten und Sprengsätze, Bomben und Besatzer. Das Durchschnittsalter der 30 Millionen Menschen in Afghanistan ist 17,6 Jahre. Als die sowjetische Armee 1989 von dem Schlachtfeld vertrieben wurde, hinterließ sie 1,5 Millionen Tote. Und ein Land im Chaos, aus dem sechs Millionen Menschen geflüchtet waren. Fünf Jahre später errichteten die Taliban ihr dunkles Reich. Ihren Gottesstaat.
Torsten Anders (*) hält die Laterne mit dem Friedenslicht in der Hand. Der Militärseelsorger aus Norddeutschland, Vater von fünf Kindern, ist das erste Mal in Afghanistan. Ein kleiner Mann mit kurzen Haaren und wachen Augen. Ein Kümmerer. Er sagt, die meisten Soldaten kämen zu ihm, um zur Ruhe zu kommen. Manchmal komme einer, spielt eine halbe Stunde Gitarre und geht wieder. Die Räume der Militärseelsorge seien eine Art "Biotop".
Er sagt auch, dass das Gebot "Du sollst nicht töten" ein Ziel ist, "an dem wir festhalten müssen". Die Realität aber sei manchmal Mord und Totschlag. "Wir kennen den Begriff der unerlösten Welt. Und in dieser Welt gibt es Situationen, in denen man das kleinere Übel wählen muss." Ohne Soldaten gehe es leider noch nicht. "Ich glaube, es gibt keinen einzigen Soldaten, der töten will", sagt er.
Wenn er redet, hört man ihm gerne zu. Heute singt er auch. Im Chor. Weil sein katholischer Kollege, mit dem er im Wechsel sonntags den Gottesdienst im Camp Marmal hält, an der Kanzel steht. Torsten Anders, 44, hat einen Tarnanzug an. So wie die zwei Soldatinnen und die 50 Soldaten, die am 4. Advent zur Heiligen Messe gekommen sind. Alle tragen ihre Schusswaffe, eine P8, eng bei sich. Das ist Pflicht im Camp. Eine Soldatin erzählt später, dass sie zwei Sekunden bräuchte, um im Ernstfall abzudrücken. Während der Fürbitten knattert ein Hubschrauber über der Kirche. Am Ende zünden die Soldaten eine Kerze am Friedenslicht an und nehmen die Flamme mit in ihre Stuben. "Manchmal leben wir von Symbolen", sagt Torsten Anders. Der Militärpfarrer aus der Nähe von Hamburg wäre nicht hier, wenn nicht eine Handvoll islamischer Terroristen aus Harburg am 11. September 2001 in die Türme in Manhattan geflogen wäre und 3000 unschuldige Menschen getötet hätte. Nur einen Monat später begann die US-Invasion in Afghanistan. Mindestens 20 000 Zivilisten sind seitdem gestorben. Vielleicht auch 40 000, sagen Experten. Auch 2734 Soldaten der Nato-Schutztruppe, darunter 52 deutsche, fanden den Tod.
Der Frieden und der Tod werden hinter hohen Mauern und Stacheldraht organisiert. Camp Marmal hat seinen Namen von dem Marmal-Gebirge, das bei gutem Wetter am Horizont zu sehen ist. Das Camp in der Nähe der 330 000-Einwohner-Stadt Masar-i-Scharif ist ein Hochsicherheitstrakt. Rund um das Lager verläuft die "Blue Box", in der aus der Luft jede Bewegung registriert wird. Die 900 Afghanen, die hier täglich reinkommen und als Reinigungspersonal, Servicekraft, in der Kantine, als Sprachmittler, Bauarbeiter, Imam, Sportleiter oder Redakteur arbeiten, werden jeden Morgen per Augenscanner registriert. Kann von solch einem Ort der Frieden ausgehen?
Camp Marmal ist eine graue Kleinstadt mit 7500 Einwohnern auf drei Quadratkilometern. Mit sechs Brunnen und einem eigenen Wasserwerk. Mit Krankenhaus, Supermärkten, Großküchen, Kantinen, Sporthallen, Kneipen, Restaurant, eigenem Elektrizitätswerk und einem Flughafen, auf dem pro Woche rund 1500 Starts und Landungen stattfinden. Und mit einer Unmenge von riesigen Flachbildschirmen, Tischfußball-Kickern und Dartscheiben. Manchmal kommen Künstler und bringen etwas Abwechslung. Xavier Naidoo war schon hier, Tim Bendzko wollte kurz die Welt retten. Im Advent gibt es einen Weihnachtsmarkt für die Soldaten aus Deutschland, Norwegen, USA, der Türkei oder Armenien.
Es sind auch Hamburger dabei, die fernab von ihren Familien Weihnachten in Zentralasien verbringen. Auf der Suche nach dem Sinn einer Mission, von der niemand weiß, wie sie enden und wie viele Opfer sie noch fordern wird.
Als Anke Ludwig, 40, ins Camp Marmal kam, blieb keine Zeit zur Sinnsuche. Gleich in der ersten Nacht bekam die zierliche HNO-Ärztin aus Hamburg ein kleines afghanisches Mädchen auf den OP-Tisch im Krankenhaus. Die Kugel war seitlich durch beide Nasenflügel gedrungen.
Ihr Arbeitsplatz für acht Wochen hat den Standard eines gut ausgerüsteten Kreiskrankenhauses. Mit Intensivstation, Notfallaufnahme, Radiologie, Traumabehandlung, Zahnarzt, Labor und Apotheke. Anke sieht ihren Einsatz pragmatisch. Warum sie hier ist? "Weil einer ja gehen muss", sagt sie Ärztin aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek. "Und weil es mir als Single leichter fällt als den Kollegen mit Kindern." Sie ist "in diesem Verein" groß geworden. 15 Monate Grundwehrzeit, dann Medizinstudium in Ulm. Über Koblenz kam sie 2004 nach Hamburg. Es ist ihr sechster Auslandseinsatz, die Oberfeldärztin war schon viermal in Afghanistan. Beim ersten Mal vor Jahren in Kabul kam sie noch mit den Menschen im Land in Kontakt. "Da haben wir Visiten in den Krankenhäusern der Stadt gemacht."
Nun bleibt sie die ganze Zeit im Camp. Von daher sei das Risiko "nicht gleich null", aber überschaubar. "Du fliegst nach Afghanistan, landest im Lager und bleibst dann acht Wochen da drinnen." Das sei schon eine surreale Situation, sagt sie. Seltsam unwirklich.
Sie macht aus dieser Situation das Beste. Ja, für sie sei das Krieg, der hier abläuft. Aber sie nutzt die Chance, über den Tellerrand zu gucken. Hier sind die Wege kurz, und das Miteinander unter den internationalen Ärzten ist sehr groß. "So kann ich meinen Horizont erweitern." Und sich, am Rande, von den zusätzlichen Einnahmen im Ausland noch was Schönes leisten. "Jeder Einsatz finanziert einen Urlaub."
Sie behandelt bis zu zehn Patienten pro Tag. Viele haben Probleme mit den Nebenhöhlen oder Gehörgängen durch verschmutzte Ohrstöpsel. Beim letzten Einsatz hatte sie zahlreiche schwedische Soldaten mit Schussverletzungen im Gesicht. Sie stellt ihren Einsatz nicht infrage. "Das ist eine Entscheidung der Politik. Und wenn die sagen, wir gehen, dann gehen wir. Ende der Durchsage."
Nur der Rückhalt in der Bevölkerung könne größer sein, findet sie. Oder überhaupt da sein. Es müsse ja nicht gleich wie bei den Amerikanern sein, deren Soldaten von fremden Menschen auf dem Flughafen mit den Worten verabschiedet werden: "Alles Gute und kommt bloß gesund zurück!" Als Anke jetzt in Hamburg in Uniform für den Flug nach Köln eingecheckt hat, sah die Stewardess sie am Schalter von oben bis unten an und fragte dann: "Ist das echt?"
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt das ab, was die Soldaten hier tun. 70 Prozent sind laut Umfragen gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Einsatz, der mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr verschlingt. Jeder Soldat bekommt 110 Euro Auslandszuschlag pro Tag, steuerfrei. Das sind knapp 20 000 Euro nach sechs Monaten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnete sogar Kosten von drei Milliarden Euro jährlich.
Was soll das? Wird hier wirklich unsere Freiheit verteidigt, wie es Ex-Verteidigungsminister Peter Struck formuliert hat? Wird nach dem nun erklärten Abzug der Deutschen Ende 2014 in diesem umkämpften Land erneut der Bürgerkrieg ausbrechen? Welchen Sinn hätte der Einsatz der deutschen Soldaten dann gehabt? Und was machen die da eigentlich?
Andreas Thon hat 29 Jahre lang mit seinen Eltern zu Hause Weihnachten gefeiert. "Das wird schon komisch diesmal", sagt der Hamburger. Und dass es seinen Eltern bestimmt schwerer fällt als ihm, wenn die Familie nun zum ersten Mal an Heiligabend nicht zusammen ist. "Meine Mutter schickt mir jede Woche ein Paket."
Andreas hat bei der Bundeswehr BWL studiert. Er ist Diplom-Kaufmann, und nun koordiniert der Hauptmann aus Stellingen die gesamte Versorgung der Truppen an sieben Standorten in Nordafghanistan. Seit acht Jahren lebt er in Hamburg, jetzt ist er das erste Mal in Afghanistan. "Meine Eltern müssen sich keine Sorgen machen", sagt der groß gewachsene junge Mann. Risiko gebe es doch überall.
Andreas ist ein "Drinnie", er verlässt das Camp in den sechs Monaten nicht. Weil es dort genug zu tun gibt. Der 29-Jährige gehört zum Logistischen Unterstützungsbataillon mit seinen 356 Soldaten. Sie sind zuständig für Nachschub und Instandsetzung. Also dafür, dass die Räder nicht stillstehen. Der Betriebsstoff für die Flugzeuge und die Fahrzeuge lagert in riesigen Tanks auf dem Gelände. "Pro Tag werden im Camp 50 bis 60 Kubikmeter Diesel, pro Woche ein bis anderthalb Millionen Liter Kerosin verbraucht", sagt er.
Seine Truppe sorgt für die Ausrüstung mit Munition, es gibt 165 verschiedene Arten. Für die Versorgung mit Wasser, Büromaterial und Waren wie Cola und Schokoriegel, Deo-Spray und Zahnpasta, Zeitungen und Zigaretten. "Wir sind wie die Spinne im Netz, bei uns läuft alles zusammen", sagt er.
Andreas mag seinen Job, weil es keine Fließbandarbeit ist und man sich immer auf neue Situationen einstellen muss. Alles müsse so schnell und so gut wie möglich klappen. "Davon hängen Leib und Leben ab. Wenn wir nicht sauber arbeiten, kann das im schlimmsten Fall Menschenleben kosten", sagt er.
Wenn sie sauber arbeiten auch.
Der Krieg hat viele Verlierer. Und ist ein grandioser Arbeitgeber. Für den strategischen Luftstützpunkt in Termez zahlt Deutschland pro Jahr 15 Millionen Euro an Usbekistan. Die Manager deutscher Rüstungsfirmen sind regelmäßige und gern gesehene Besucher im Camp Marmal. Gerade läuft eine millionenschwere Ausschreibung für das neue Catering der deutschen Küche.
Ein afghanischer Arbeiter im Lager bekommt 307 Dollar Grundgehalt pro Monat und pro Überstunde 1,66 Dollar in Lohngruppe 1. Es gibt fünf Lohngruppen. Das Durchschnittsgehalt beträgt mit 546,60 Dollar ein Vielfaches von dem, was die Menschen im Land verdienen können. Amir, ein junger Afghane, fährt die Journalisten für 150 Dollar nach Masar-i-Scharif und übersetzt Interviews vor der Blauen Moschee. Hier befindet sich die überlieferte Grabstätte von Ali Ibn Abi Talib, dem Schwiegersohn des Propheten. Darum ist die Stadt bedeutendste Wallfahrtsstätte des Landes und zählt zu den heiligen Städten des Islam. Nach der Einnahme der Stadt im August 1998 durch die Taliban soll es zu Massakern an der Bevölkerung gekommen sein.
13 Jahre später sagen die Menschen auf der Straße, dass es gut ist, dass die Deutschen da sind. Und dass sie Angst um ihre Sicherheit haben, wenn die Soldaten Ende 2014 das Land verlassen.
Nach dem Sturz der Taliban im November 2001 mit Hilfe der US-Armee wurden in Masar-i-Scharif die Universität, das medizinische Institut, die Pädagogische Hochschule und zahlreiche allgemeine Schulen wieder eröffnet.
Wenn Friedrich Kraus, 38, über die Zukunft Afghanistans spricht, erzählt er die Geschichte von dem geplanten Camp für 500 afghanische Soldaten an einem strategisch wichtigen Ort im Nordwesten. Dort, irgendwo zwischen Kundus und Faisabad, wo die Lage derzeit wohl am gefährlichsten ist. Täglich kommt es zu Zwischenfällen und Anschlägen von Aufständischen durch die sogenannten IED (Improvised explosive device). In Erdhügeln vergrabene Sprengsätze, die oft durch ein Handy zur Explosion gebracht werden.
Friedrich Kraus ist einer dieser Menschen, die nichts zu verbergen haben. Klarer Blick, deutliche Worte. Der Major aus Lüneburg ist das erste Mal in Afghanistan und arbeitet im OMLT. "Im Operational Mentor and Liaison Team", sagt er. Bitte? "Mit den Amerikanern unterstützen wir die Afghanen beim Aufbau ihrer Armee. Wir bilden aus - vom Fußsoldaten bis zum General."
Sein Einsatzgebiet ist das Camp Spann, eine Autostunde entfernt vom Camp Marmal. Sein Ziel ist es, die afghanische Armee in die Lage zu versetzen, gegen die Taliban-Kämpfer zu bestehen.
Vielleicht hat Friedrich Kraus, dessen Vater ebenfalls Soldat ist, die wichtigste Aufgabe in diesem Krieg.
"Es geht darum, die Afghanen in Führungspositionen zu bringen", sagt er. Gerade hat Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) bei seinem Weihnachtsbesuch in Kunduz gesagt, dass die Alliierten mit der Strategie des "Partnering", des gemeinsamen Arbeitens mit den Afghanen, "etwas spät angefangen hätten". Aber nun gehe es mit Hochdruck voran.
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Es ist ein langer Weg. "Der afghanische Weg", sagt Friedrich Kraus. Im Februar kommenden Jahres wollen sie also mit dem Aufbau des 500-Mann-Camps beginnen. 1000 Fragen müssen bis dahin geklärt werden. Wo genau ist der Standort? Wem gehört das Gelände? Wie ist die Straßenanbindung? Was ist mit der Stromversorgung und der Verpflegung? Wie ist die Qualität des Wassers? Welche Firmen richten das Lager ein? Wer sucht die Unternehmen aus? Wie viel wird das Ganze kosten? Als Friedrich Kraus seinen afghanischen Kollegen um einen Gesprächstermin bat, fragte dieser, wann mit dem Bau begonnen werden solle. "Mitte Februar? Dann können wir uns doch Ende Januar treffen und darüber reden", bekam er zur Antwort.
Friedrich Kraus erzählt die Geschichte mit einem Schmunzeln. Seine Grundhaltung ist Optimismus. Er glaubt an diese Mission. Und an die Menschen, mit denen er täglich zu tun hat. Die ihn zum Essen einladen und ihm von ihren Familien erzählen. "Die Afghanen sind sehr freundliche und offene Menschen. Sie sind interessiert und auch willens, Dinge zu verändern. Ich habe noch keinen erlebt, der nicht höflich ist und nicht die Kommunikation sucht. Es sind auch fröhliche Menschen, man kann viel Spaß haben."
Derzeit beschäftigt die afghanische Armee 170 000 Soldaten, Ende 2014 sollen es 195 000 Mann sein. Die Zahl der Taliban-Rebellen wird auf 36 000 geschätzt. "Die Masse ist da, weil sie vernünftiges Geld bekommt. Und das regelmäßig", sagt er. Die Soldaten erhalten Zwei-Jahres-Verträge, verdienen anfangs rund 400 Dollar pro Monat. Ein Offizier kommt auf etwa 2000 Dollar monatlich.
Gutes Geld für einen gefährlichen Job. Immer wieder sind die afghanische Armee und Polizei Ziele von Anschlägen. Die Fluktuation ist groß. Manche erscheinen aber auch aus sehr profanen Gründen nicht immer pünktlich zum Dienstantritt am Wochenanfang. Da sie noch kein Vertrauen in das afghanische Bankensystem hätten, erzählt Friedrich Kraus, würden sie mit ihrem Sold in der Tasche übers Wochenende nach Hause fahren, um das Geld dort direkt abzugeben. Und manchmal bräuchten sie zwei Tage - nur für eine Strecke. Klar, dass dann am Montag nicht alle wieder vollzählig zum Dienst erscheinen.
Der afghanische Weg ist holprig. Und gefährlich. Und dennoch voller Lichtblicke. Die Infrastruktur verbessert sich ständig. Mehr als acht Millionen Schüler werden von 170 000 Lehrern unterrichtet. Im Jahr 2002 waren es noch 20 000 Pädagogen. Während vor 2001 nur der Taliban-Rundfunk existierte, hat das Land nun 150 Radiosender. Und 30 Fernsehkanäle, von denen allerdings die Hälfte von Warlords betrieben werden. Jenen Milizenführern, die im Krieg gegen die Sowjets zu Macht und Reichtum kamen und enorme kriminelle Energie entwickeln.
Immer mehr Menschen haben auch Zugang zum Internet. "Die Leidenschaft der neuen afghanischen Journalisten ist großartig", hat der 23 Jahre alte Journalist Enayat Najafizada aus Masar-i-Scharif jüngst auf einem deutsch-afghanischen Medienseminar in Bonn gesagt. In Herat gibt es den lokalen Sender Radio Sahar, der ausschließlich von Frauen geführt wird. In Faisabad haben die Deutschen gerade eine Schule für Mädchen gebaut.
Major Heinz Breuer, 42, kennt den Preis, den die deutschen Soldaten für diese Entwicklung bezahlen. Der Kompaniechef der Feldjäger aus Hamburg ist für die Sicherheit im Camp Marmal zuständig. Seine Truppe besteht aus 49 Soldaten, es sind Personenschützer darunter und Experten, die nach Anschlägen ermitteln: Gibt es eine neue Strategie der Aufständischen? Wo müssen wir nachbessern?
Heinz Breuer ist zum zweiten Mal in Afghanistan, es ist sein fünfter Auslandseinsatz. Ein erfahrener Teamplayer mit einer fröhlichen Ausstrahlung, der immer beide Seiten der Medaille im Blick hat. Er glaubt daran, dass am Hindukusch unsere Freiheit und unser Wohlstand verteidigt werden. Und er kennt die Opfer des Krieges, die man nicht sieht. Und die kaum einer zählt. Traumatisierte deutsche Soldaten, deren Ehen und Beziehungen scheitern, die nachts schweißgebadet aufwachen und die er irgendwann vorzeitig nach Hause schickt, weil die bösen Bilder im Kopf nicht mehr verschwinden. "Rund zehn Prozent meiner Truppe leidet unter seelischen Belastungen", sagt er.
Draußen ans Vorzelt hat er ein gelbes Ortsschild der Freien und Hansestadt Hamburg gehängt, drinnen stehen Tischtennis-Tisch und Kicker. Ein bisschen Heimat in der tristen Fremde. Wenn Weihnachten ist, sagt er, ziehen sich viele Soldaten relativ früh in ihre Container zurück. Das nehme einen emotional schon mit, da fließen auch Tränen, da könne sich niemand von frei machen. Auch diejenigen nicht, die noch keine eigene Familie haben. Dieses Jahr fällt es auch ihm schwerer als Heiligabend 2001, als er noch nicht verheiratet war. Er würde gern daheim sein und auf dem Rathausmarkt mit seiner Frau einen Glühwein trinken.
In seinem kleinen Büro hängt ein Schild: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
In einer Ecke von Camp Marmal ist eine Gedenkstätte eingerichtet worden. Umringt von Fahnenmasten mit den Flaggen der internationalen Schutztruppen. Auf Steintafeln sind in einem Halbkreis die Namen der Soldaten eingraviert, die bei ihrem Einsatz in Afghanistan ihr Leben verloren haben. Darunter steht das Datum des Todestages. Über der Tafel eines deutschen Arztes hängt das Bild von seiner Frau mit ihrem kleinen Baby im Arm. Sein Kind, das ihn nie kennengelernt hat. Wer erklärt dem kleinen Mädchen, wenn es groß genug ist, wofür sein Vater gestorben ist? Ein Arzt, der in dieses Land gekommen ist, um zu helfen. Dann bleibt nur die Sprachlosigkeit. "Man kann als Soldat alles trainieren", sagt Heinz Breuer, "aber den Umgang mit toten Kameraden, auf den kann man sich nicht vorbereiten."
Die Lage ist angespannt. Der Minister benutzt das Wort "labil". Die Ausbildung der Streitkräfte geht voran. "Wir dürfen nicht in unseren, sondern wir müssen in afghanischen Zeiträumen denken", sagt Heinz Breuer. "Was bei uns drei Monate braucht, dauert hier sechs Monate." Und dass man oft zwei Schritte vor und einen zurück gehe. "In Sachen Bildung, Medizin, Medien und Internet ist hier schon viel geschehen", sagt er. Man brauche Geduld und Zeit.
Es gibt deutsche Soldaten, die ganz offen sagen, dass sie den Einsatz für absolut sinnlos halten. Es gibt deutsche Soldaten, die sich fragen, ob es nicht ziemlich arrogant ist, dem afghanischen Volk das westliche Gesellschaftssystem überzustülpen. Es gibt deutsche Soldaten, die sich sehr sicher sind, dass die Bundeswehr auch nach 2014 noch am Hindukusch präsent sein wird.
Heinz Breuer erinnert an den Spruch der Taliban, die der Nato-Schutztruppe entgegenhalten: "Ihr habt die Uhr, aber wir haben die Zeit." Das stimme ja, sagt der Major aus Hamburg, "aber sie werden die Uhr nicht mehr zurückdrehen können". Gefragt nach seinem schönsten Moment in Afghanistan, sagt er, dass er den hoffentlich noch vor sich habe. "Wenn ich in zwei Monaten als Letzter in den Flieger einsteige und alle Kameraden wieder gesund nach Hause bringe."
Gut möglich, dass das Friedenslicht in der kleinen Kirche von Camp Marmal dann auch noch brennt.
(* alle Namen wurden auf Wunsch der Bundeswehr geändert)