Kirche wehrt sich gegen Kritik an Wirtschaftstagung im Michel. Hauptpastor Röder: Es ist der richtige Raum für kontroverse Diskussionen.
Hamburg. Wenn morgen Spitzenvertreter aus Wirtschaft und Politik in der Hauptkirche St. Michaelis auf Einladung der "Zeit" zum Deutschen Wirtschaftsforum zusammentreffen, wird es wohl nicht nur um Fragen unternehmerischer Verantwortung gehen. Nachdem der ehemalige Staatsrat und Polizeipräsident Dirk Reimers mit einem Debattenbeitrag im Hamburger Abendblatt die Wahl des Veranstaltungsorts als "Skandal" kritisiert hatte, ist in der Stadt eine Debatte entbrannt. Die Frage: Darf der Michel für eine Wirtschaftskonferenz genutzt werden - mit Eintrittspreisen von 1600 Euro?
Viele Bürger reagierten empört, auch in Leserbriefen an diese Zeitung, und schlossen sich Reimers Meinung an, der eine "Huldigung des Kommerzes" und "die schleichende Zerstörung der letzten Besinnungsräume" angeprangert hatte. Im vergangenen Jahr hatte schon Altkanzler Helmut Schmidt, der nur knapp sechs Wochen nach der Trauerfeier für seine Ehefrau Loki als Konferenzgast in den Michel gekommen war, sein Unbehagen "über diese vorübergehende Profanisierung des Kircheninnenraums" geäußert. Gestern schlossen sich weitere Kritiker an. So sagte Hermann Rauhe, langjähriger Präsident der Musikhochschule und Ehrenkantor des Michel: "Es ist ein Ort der Heiligkeit, in dem gebetet wird und Menschen Hilfe und Trost finden. Der Michel darf nicht beliebig als Konferenzraum missbraucht werden."
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Der Zeitverlag lädt zum dritten Mal zu dem hochkarätigen Branchentreffen in den barocken Prachtbau. Dabei sind unter anderen Josef Ackermann (Deutsche Bank), Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), die österreichische Finanzministerin Maria Fekter, Telekom-Vorstand René Obermann und auch wieder Helmut Schmidt. Insgesamt werden 450 Besucher erwartet. Man habe die Frage, ob der Michel ein geeigneter Ort für eine weltliche Konferenz sei, sehr intensiv diskutiert, sagte "Zeit"-Geschäftsführer Rainer Esser gestern. "Letztlich hat die Meinung überwogen, dass die weitere Erhaltung des Michel, auch durch den wirtschaftlichen Beitrag von hochwertigen Veranstaltungen, gesichert werden muss, und dass das Deutsche Wirtschaftsforum mit dem Leitthema Unternehmerische Verantwortung in den Michel passt." So hätte Benediktiner-Abt Notker Wolf 2010 keine Scheu gehabt, die Diskussionsteilnehmer aus der Wirtschaft "ins Gebet zu nehmen", sagte Verlagssprecherin Silvie Rundel.
Der Anstoß für die ungewöhnliche Allianz war von der Kirche selbst gekommen. Die EKD hatte den Michel als "Leuchtturmkirche" für die Gespräche zwischen Kirche und Wirtschaft auserkoren. Daraus entwickelte sich unter Mitwirkung verschiedener Kirchenleute, etwa dem Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer, die Idee der Wirtschaftskonferenz in der Hamburger Bischofskirche. "Wir sind sehr überrascht über die Aufregung", sagte Pastor Peer-Detlev Schladebusch gestern.
Die neue Bischöfin Kirsten Fehrs betonte den besonderen Charakter der Veranstaltung. "Selbstverständlich huldigt Kirche nicht dem Kommerz", sagte sie. "Die Erfahrungen haben gezeigt, dass gerade der Kirchenraum eine ethische Tiefe und Nachdenklichkeit in der Diskussion ermöglicht, in denen die Position der Kirche zudem deutlich zum Ausdruck gebracht wurde."
Auch Michel-Hauptpastor Alexander Röder, selbst Mitglied der Christlichen Unternehmer, verteidigte das Konzept. "Es geht nicht um eine positive Bewertung des Status quo wirtschaftlichen Handels, sondern auch darum, Gegenpositionen zu formulieren", sagte er. "Und es ist gut, dass diese wirtschaftsethische Debatte in der Kirche stattfindet." Er räumt jedoch auch ein, dass die St.-Michaelis-Gemeinde seit Langem den Unterhalt des Hamburger Wahrzeichens nicht mehr allein mit Kirchensteuern finanzieren kann. 2010 habe die Gemeinde 93 Prozent der Ausgaben selbst erwirtschaftet, unter anderem aus Mieten für Veranstaltungen.
Unterstützt wird das Wirtschaftsforum auch von der Stadt Hamburg. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wird einen Vortrag halten, bereits heute Abend hat Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) 150 Gäste zu einem Senatsempfang ins Rathaus eingeladen. Die Parteien reagierten unterschiedlich. Während sich der Kirchenexperte der CDU-Fraktion, Frank Schira, "sehr skeptisch" äußerte, nannte SPD-Fachsprecher Ekkehard Wysocki, selbst Kirchenvorstand in einer Rahlstedter Gemeinde, die Kritik "überzogen". An der Veranstaltung sei nichts Verwerfliches. FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte: "Ich hätte mir von einem Hamburger Unternehmen wie der ,Zeit' gewünscht, dass es so eine Veranstaltung in der Hamburg Messe macht."