Gleich hinterm Gruenspan bauen Hamburger Gemüse auf einem alten Parkdeck an. Jetzt ist Winterpause, nächtes Jahr geht es weiter.
St. Pauli. Im kalten Wind flattert die Folie eines improvisierten Tomatengewächshauses, Nieselregen weht über die zahllosen Gitterkisten hier auf dem Dach einer Tiefgarage an der Großen Freiheit. Ein wenig Salat lugt aus manchen der Behälter hervor, einige kümmerliche Grünkohlpflanzen, Reste von Kräutern. Die Mütze tief über die Ohren gezogen, steht Claudia Plöchinger dazwischen: "Jetzt ist Pause, Winterpause", sagt die Mitorganisatorin des Hamburger Gartendecks. Ein Stadtteilprojekt, das sich im Sommer erst auf der rund 1100 Quadratmeter großen Brachfläche zwischen einer alten Fabrik und dem legendären Kiezklub Gruenspan etabliert hatte.
In lockeren Gruppen gärtnerten Nachbarn, Schulklassen oder Kita-Gruppen dort gemeinsam; Salat, Kartoffeln, Mais wurden dann meist gleich an Ort und Stelle gekocht und gegessen. Gartendeck - das ist das erste sichtbar herangewachsene Hamburger Pflänzchen der sogenannten Urban-Gardening-Bewegung.
Seit einigen Jahren bauen dabei in vielen Metropolen wie Berlin oder auch London und New York Nachbarschaften auf stillgelegten Flächen, auf alten Fabrikdächern oder ungenutzten Parkgaragen Obst, Gemüse oder Salat an. Als Keimzelle des westlichen Urban-Gardenings gilt Chicago, wo 2002 auf einer Industriebrache die erste City-Farm gegründet wurde, um solche städtischen Flächen nutzen zu können. Heute arbeiten gut 800 freiwillige Helfer auf der City-Farm, die lokale Märkte mit frischen Produkten beliefert. Das bekannteste deutsche Urban-Gardening-Projekt ist der Prinzessinnengarten in Berlin, der seit 2009 besteht, gut 6000 Quadratmeter groß ist und eine Art Vorbild für das Hamburger Gartendeck ist.
+++ Das berichteten die Stadtteilreporter über die Parkdeckgärtner +++
Im Unterschied zu den individuellen Schrebergarten-Parzellen steht bei dieser neuen Form der städtischen Gartenbewegung vor allem das lockere Gemeinschafserlebnis im Vordergrund. "Hier kann jeder hineinschneien, wenn das Tor offen ist", sagt Plöchinger. Das Gartendeck sei eben eher eine Mischung aus gesunder Selbstversorgung, gemeinschaftlichem Erleben und auch Bildung. "Stadtkinder wissen doch gar nicht mehr, dass die Kartoffeln aus der Erde kommen", sagt Plöchinger, die eigentlich Theaterproduzentin und nicht Gärtnerin ist. Ausgehend vom Kampnagel-Sommerfestival war das Gartendeck im Juni dieses Jahres entstanden - auf der Brachfläche, die der städtischen Sprinkenhof AG gehört. Am Wochenende packten die Gartendeck-Aktivisten, die inzwischen einen Verein gegründet haben, nun die Anzuchtfolien zusammen, räumten das Gelände auf. Der Vertrag mit der Sprinkenhof AG läuft zum 1. Dezember aus. Doch im kommenden Sommer kann das Gartendeck auf St. Pauli voraussichtlich fortgeführt werden. Das sagt zumindest Sprinkenhof-Vorstandssprecher Henning Tants: "Wir haben kein Problem damit." Das Areal soll zwar einmal mit Wohn- und Gewerbebauten entwickelt werden, doch mit den Neubauten werde erst 2013 begonnen.
Wie es danach weitergeht mit dem Gartendeck, ist also noch offen. "Es gibt da viele Möglichkeiten", sagt Organisatorin Plöchinger, "es wird nicht vorbei sein, vielleicht gibt es später ja einmal mehrere Gartendecks in der Stadt."
Möglich ist das: Das Prinzip in Berlin, in Chicago oder auf dem Hamburger Kiez-Garagendach ist ähnlich und ließe sich schnell an vielen Stellen der Stadt aufbauen: In den Gitterkisten auf St. Pauli haben die Gartendeck-Gärtner eine Schichtung aus Grünschnitt, organischem Dünger wie Mist und dann schwarze Erde angelegt, erklärt Plöchinger. So können sich wieder neue Nährstoffe bilden, und der Boden ist nicht gleich nach der ersten Pflanzung ausgelaugt.
Gut 30 Kubikmeter Boden wurden dazu im Sommer angeliefert und dann von den Stadtgärtnern in die Pflanzkisten verfüllt. Eine Menge, die immerhin dem Volumen von drei großen Betonmischer-Lkw entspricht. Der Vorteil ist: Mit diesen Pflanzkisten können auch Flächen genutzt werden, deren Bodenuntergrund wegen vorheriger gewerblicher Nutzung vielleicht nicht gerade besonders gut für die Anzucht von Lebensmitteln geeignet ist. Und: Diese besondere Art des Hochbeet-Gartens in Kisten und Säcken ist mobil: Eine Brache kann eine Weile genutzt werden, später aber lässt sich alles weitertransportieren.
Oder eben schnell winterfest machen. Für die nächste Gartensaison mitten in der Stadt.