So schnell wie Uwe Seeler früher auf dem Fußballplatz war, so engagiert spielt der 74-Jährige heute Golf für den guten Zweck.
Hamburg. Nur wer kämpft, hat Erfolg. Das wusste schon Bertolt Brecht (1898-1956). Als der Dramatiker 1941 in die USA emigrierte, war "uns Uwe" gerade mal fünf Jahre alt und kämpfte beim Straßenfußball zu Hause im Winzeldorfer Weg, Ecke Frickestraße, in Eppendorf. Es war Straßenfußball mit Folgen: kaputte Schuhe, zerbrochene Fensterscheiben, die Vater Seeler von seinem Freund, Malermeister Guhl, reparieren ließ. Kampfgeist, niemals aufgeben, das war Seelers Markenzeichen. Schon als Kind bläuten ihm Vater Erwin und Mutter Anni ein: Egal was kommt, du musst nach vorne blicken und weitermachen. Nur so kannst du im Leben und auf dem Platz Erfolg haben."
Aber was heißt Erfolg? Erfolg ist fast immer etwas Kurzfristiges, menschliche Anerkennung auch außerhalb seines Berufslebens etwas Wertvolles. Und wer sich über den persönlichen Erfolg hinaus für seine Mitmenschen engagiert, braucht sich keine Gedanken über fehlende Anerkennung zu machen. Beispiel Uwe Seeler: 1996 gründete er seine Stiftung für Not leidende Menschen. Über 2,5 Millionen Euro hat er durch unermüdlichen Einsatz "erkämpft", bei öffentlichen Auftritten oder durch Golfspielen.
Niemals stand er still. Immer hatte er das gesamte Spielfeld im Blickwinkel. Er überquerte es im Galopp. Er rackerte. Rastlos keuchte er umher. Er war der Motor für die Rot-Hosen-Mannschaft oder im Nationaltrikot, immer darauf bedacht, zusammen mit seinem Team zu gewinnen: "Ohne meine Mannschaftskameraden hätte ich nie so großen Erfolg haben können." Er suchte ohne den Ball den freien Raum. Dadurch riss er das Spiel auf. "Wenn es damals Kilometergeld gegeben hätte", lacht er, "wäre ich sicherlich schon frühzeitig ein Spitzenverdiener gewesen." Gegenspieler von damals erinnern sich. Ludwig "Luigi" Müller, 70 , sechs Länderspiele, drei Jahre in Mönchengladbach Uwes direkter "Bewacher": "Ich stand ihm auf den Füßen. Ich hielt ihn an der Hose und am Trikot fest, aber es nützte alles nichts, plötzlich war er verschwunden und tauchte hinter der Mittellinie im eigenen Strafraum auf." Max Lorenz, 71, Bremer Urgestein: "Wenn mein Freund zum Kopfball hochstieg, dachte ich: der steht auf einer Leiter. Und ich war fast 1,90 Meter groß." Seine Mitspieler attestieren Uwe noch heute eine Sonderstellung. Harry Bähre, 70, 78 Bundesligaspiele, sieben Jahre Mittelfeld-Akteur in einem Team mit Uwe: "Der Dicke war auf dem Platz nicht nur lieb. Nee, nee!"
Es war eine Zeit mit besonderen Kerlen. Auf der linken Seite spielte der Künstler Gert "Charly" Dörfel, elffacher Nationalspieler , 224 Bundesligaspiele, 58 Tore in neun Jahren. Ein Sohn aus der berühmten Dörfel-Dynastie (Friedo, Bernd, Richard), er glänzte durch Flanken und Humor. Montag nach dem Training, Dörfel zu den Kameraden: "Übermorgen seid ihr alle meine Gäste. Ich mache einen Kosmetiksalon auf." Beifall, Bravorufe. Drei Tage später Dörfel: "Sorry, Jungs, der Laden ist leider geschlossen." Das Ordnungsamt sagte Nein: Charly hatte lebende Küken ins Schaufenster gestellt. Eine Ordnungswidrigkeit. Jochen Meinke, 81, der im Leistungszentrum in Ochsenzoll immer noch als " der Chef" angesehen wird, wünscht sich, dass Uwe endlich mal dabei ist, wenn sich die alten Kämpen einmal im Jahr auf Usedom treffen: "In dieser schnelllebigen Zeit ist es doch schön, wenn man sich an die gute alte Zeit erinnern kann." Die gute alte Zeit mit dem Mann, der niemals aufgab bei allen sportlichen und privaten Nackenschlägen, dem Kämpfer Seeler. Der härteste Nackenschlag fand am 20. Februar 1965 an einem Wintertag im Frankfurter Stadion statt.
Der HSV spielt gegen Eintracht Frankfurt. Seeler stürzt und seine rechte Achillessehne reißt. Die Strümpfe werden aufgeschnitten, Stiefel und Schienbeinschützer entfernt, doch die erwartete Erleichterung bleibt aus. Mit eingegipstem Fuß fliegt Uwe zusammen mit Ehefrau Ilka zurück nach Hamburg. Uwe fleht Vereinsarzt Dr. Fischer an: "Ich bin doch erst 28 und will doch weiter Fußball spielen." Dr. Fischer tröstet ihn: "Das wirst du auch, ich habe schon genug Sportler wieder zusammengeflickt." Sieben Monate später ist Seeler wieder fit und schießt am 26. September 1965 das entscheidende Tor zum 2:1-Sieg gegen Schweden in Stockholm, das die Teilnahme bei der WM in England sichert. Franz Beckenbauer, der sein erstes Länderspiel machte: "Dicker, du bist ein Wunderkind."
Wer nichts selbstverständlich nimmt, was einem Freude bereitet, kann das Staunen lernen. Fußball lässt immer wieder viele Menschen staunen. Weltweit, trotz der Entwicklung, die den Fußball heute zur Industrie, zum Millionengeschäft gemacht hat. Immer wieder taucht der eine oder andere auf, der die Massen mitreißt. Dabei ist es nicht immer der berühmte Zauberpass, das Supertor, der geniale Querpass. Manchmal ist es einfach ein Hauptdarsteller, der seine Leistungsbereitschaft im Beruf die Zuschauer spüren lässt: Freunde, ich arbeite. Im Ruhrgebiet würde man sagen: ich maloche. Wie "uns Uwe".
Den Jugendmannschaften, die ihre Geburtstagswünsche für Uwe Seeler ans Abendblatt schicken können (an uwe75@abendblatt.de , zu gewinnen gibt es einen kompletten Trikotsatz von Adidas), verrät Franz Beckenbauer seine Tipps: "Liebe Freunde, das Wichtigste ist: den Ball erobern, den Ballbesitz sichern und Tore schießen. Zweitens: Es gibt viele Arten von Fußball. Die dümmste von allen ist, wenn man spielen will, was man nicht kann. Drittens: flach spielen, hoch gewinnen. Wenn ihr den Ball habt, hat ihn nicht der Gegner." Danke, Kaiser Franz - Uwe hat deine Tipps perfekt in die Tat umgesetzt.
An dieser Stelle noch eine kleine Rückblende in die Zeit von Georg "Schorsch" Knöpfle, dem ersten Meistertrainer der Bundesliga, 1964 beim 1. FC Köln. Von 1968 bis 1970 trainierte er den HSV. Man verlor im Europapokal der Pokalsieger das Finale gegen AC Mailand am 23. Mai 1968 in Rotterdam mit 0:2. Mit ihm als technischen HSV-Direktor (1966-68) gab es im deutschen Pokalfinale ein 0:4 gegen Bayern München. Dialog Chef Knöpfle, Spieler Seeler. Knöpfle: "Uwe, wir wollen heute mal schön spielen." Seeler: "Das auch. Aber wir wollen gewinnen und darum gilt nur eins: Wir müssen kämpfen, wir müssen arbeiten." Diese Worte besitzen auch nach über 40 Jahren ihre Gültigkeit. Vielleicht eine Empfehlung, die der aktuelle HSV-Trainer Thorsten Fink seinen Spielern nahebringen könnte. Am besten am Sonnabend in Leverkusen, und dann kommt das Team mit drei Punkten zurück.
Der Mann, der sich über dieses Geburtstagsgeschenk an seinem Ehrentag am meisten freuen würde, wäre "uns Uwe".
Lesen Sie morgen: Uwe Seeler und sein HSV - gute Zeiten, schlechte Zeiten