Der Steuer-Hickhack wirft ein desaströses Bild auf die Bundesregierung in Krisenzeiten
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist um seinen Job nicht zu beneiden: Die Rettung der Währungsunion in Europa ist eine Herkulesaufgabe, die schon die Kräfte eines prosperierenden Staates weit überschreitet. Damit nicht genug: Offenbar muss Schäuble nebenbei auch noch die FDP retten, die in Umfragen lebensgefährlich weit vom rettenden Fünf-Prozent-Ufer entfernt trudelt. Anders ist nicht zu erklären, warum ausgerechnet gestern Schäuble und Philipp Rösler, der liberale Wirtschaftsminister, eine Steuer senkung ankündigten.
Ausgerechnet an dem Tag, an dem dieselbe Bundesregierung die Wachstumsprognosen für Deutschland von 1,8 auf ein Prozent nahezu halbierte. Ausgerechnet an dem Tag, an dem über immer weiter reichende Möglichkeiten diskutiert wird, den Euro-Rettungsschirm zu erweitern. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU in ihrem Bericht die Schuldentragfähigkeit Griechenlands infrage stellt, zugleich aber die Zahlung der nächsten Hilfstranche in Höhe von acht Milliarden Euro empfiehlt. Keine Frage, der deutsche Staatshaushalt stand angesichts dieser enormen Risiken schon besser da.
Genau an diesem Tag kündigen Schäuble und Rösler nach Jahren des Streits ihre Steuersenkung an. Natürlich haben die Liberalen in der Sache recht: Die sogenannte kalte Progression, bei der Arbeitnehmer durch Lohnerhöhungen in eine höhere Steuerstufe rutschen, ist ein Ärgernis, das abgeschafft gehört. Es ist unlogisch und ungerecht, dass Bürger wegen dieser Progression nach einer Lohnerhöhung mitunter sogar weniger Geld netto überbehalten. Es hätte viele gute Gelegenheiten gegeben, hier anzusetzen. Jetzt aber sind Steuersenkungen den Bürgern kaum noch vermittelbar; Politik findet eben nicht im luftleeren Raum statt
So mag auch CSU-Chef Horst Seehofer mit seiner überraschenden Volte, die Einigung sei noch gar nicht da, in der Sache recht haben. Doch wenn zwei in der Sache recht haben, machen sie noch keine richtige Politik - ganz im Gegenteil. Erst verkünden zwei Minister in einer eigens anberaumten Pressekonferenz stolz eine schwarz-gelbe Einigung, wenige Minuten später stellt der CSU-Chef alles wieder infrage. Schwarz-Gelb setzt damit in Zeiten der Krise das verheerende Signal, die Bundesregierung gleiche einem Tollhaus.
Bei den Menschen wächst längst die Verunsicherung, wie teuer die Euro-Rettung noch werden wird. Sie erwarten Klarheit, keine Rabatte. Sie benötigen keine Wahlgeschenke, sondern mehr Transparenz und den Mut zu offenen Worten. Sie sehnen sich nicht nach koalitionärem Kasperletheater, sondern nach Vertrauen.
Die Aufgabe dieser Tage wäre ein einiges Plädoyer für Europa: Die Rettung der Währungsunion wird für die Steuerzahler teuer - und doch gibt es zu dieser Rettung kaum eine vernünftige Alternative. Wer nun anfängt, plötzlich Steuern zu senken, verteilt nie bestellte Geschenke und streut den Deutschen Sand in die Augen: So schlimm kann die Schuldenkrise ja nicht sein, wenn der Staat noch Milliarden entbehren kann. Und dieses Geschenk erschwert Steuererhöhungen, die Europa bald schon nötig machen könnte. Schlimmer noch: Es mehren sich Zweifel, ob die Regierung den Herausforderungen dieser Tage gewachsen ist. Der Euro mag zu retten sein, diese Bundesregierung ist es offenbar nicht mehr.