Zwei von drei Deutschen würden gern befristet aussteigen - trauen sich aber nicht. Das Zauberwort heißt Sabbatjahr. Drei Erfahrungsberichte.
Hamburg. Wenn ein Pädagoge ein Fach an seiner Schule einführt, das Lebensart heißt und in dem es um Genuss geht, um die Kunst des Lebens, darum, auch einmal Stille zu genießen, steckt dahinter wohl ein Mensch, der sich Gedanken um das große Glück macht. Björn Lengwenus von der Stadtteilschule Barmbek, Leiter des Standortes Fraenkelstraße, ist so einer. Er hat das Glücksfach vor mehr als einem Jahr eingeführt - und nun wird er sich selbst dem eigenen Glück widmen. Der Schulleiter hat sich zum Beginn der Sommerferien für zwölf Monate ausgeklinkt, gönnt sich ein Sabbatjahr, eine Auszeit vom Job. Lengwenus macht das, was sich viele Arbeitnehmer wünschen, sich aber häufig nicht trauen. Oder nicht dürfen.
Mehr als zwei Drittel der Deutschen würden gern eine Zeit lang aussteigen, den Job hinter sich lassen und dem Alltag entfliehen. Die Hürden: fehlender Mut, mangelnde Ersparnisse, ein Chef, der einen nicht Neues wagen lassen will.
Noch ist das Thema Sabbatjahr bei vielen Firmen gar nicht angekommen. "Es werden wenige Angebote seitens der Unternehmen gemacht. Und nur wenige Arbeitnehmer fragen nach", sagt Kay Ohl von der IG Metall. Dabei sei eine berufliche Auszeit durchaus sinnvoll: "Besonders die Burn-out-Problematik könnte durch diese Prozesse entschärft werden. Auch, wenn ein Mitarbeiter seinen Horizont in einer Auszeit erweitert, kann sich das nur positiv auf die Arbeit auswirken."
Sechs Jahre lang hat Schulleiter Lengwenus auf ein Siebtel seines Gehaltes verzichtet, um im Sabbatjahr finanziell über die Runden zu kommen. "30 Jahre lang in seinem Trott zu bleiben und immer Höchstleistungen bringen zu müssen, das schafft niemand", sagt der 39-Jährige. Das Abendblatt hatte den Schulleiter noch kurz vor der Abreise getroffen. "Manchmal sitze ich im Büro und denke, ganz schön mutig, dass ich das mache. Mir geht's hier doch gut", sagte er vor einigen Wochen. Er arbeite "wahnsinnig" gerne und viel. "Aber das Leben ist mehr. Um die Kraft zu haben, sind Freiräume nötig", sagte der Fachlehrer für Erdkunde und Religion. Man müsse sich einen Termin setzen, losfahren und es machen.
Seine Reise zu sich selbst und um die Welt begann am 13. Juli. Ziel: Windhuk in Namibia, dann mit dem Auto weiter nach Sambia, um dort im Stadtteilhaus Barmbek zu arbeiten. Wie bitte, Barmbek in Afrika? Das Stadtteilhaus ist ein Schulprojekt. "Wir hatten Spenden gesammelt. Durch unsere Hilfe werden dort Waisen aufgenommen", sagte Lengwenus. In Sambia traf der Schulleiter fünf Schülerinnen und zwei Kolleginnen, die in den Ferien zwei Wochen lang dort mitarbeiteten.
Weitere Stationen der Reise: Dubai, der Osten Kanadas, der Westen der USA, Ecuador und Galapagos, Weihnachten und Silvester in der Heimat, Argentinien, Japan. Lengwenus war schon immer gern in der Welt unterwegs. Als Referendar hatte er einmal ein halbes Jahr lang ausgesetzt. Und das nicht, weil er sein Zuhause nicht mag. Ganz im Gegenteil: "Wenn ich nach einem langen Urlaub über die Fuhlsbütteler Straße gehe, kommen mir fast die Tränen", sagte er.
Er mag Barmbek, seine Heimat. Hier sei er verwurzelt. Vielleicht braucht man dieses Gefühl von Heimat, wenn man ein Weltenbummler ist. Er gucke sich zwar gern die Welt an, würde aber niemals auswandern. Das Nachhausekommen gehört zu seinem Glück. Während seiner Abwesenheit übernehmen die Kollegen viele seiner Aufgaben. Sorge, dass er nach seiner Rückkehr ausgebootet sein wird, hat Lengwenus nicht. Es sei grandios, dass seine Kollegen einspringen und ihrem Chef eine solche Auszeit ermöglichen. "Dafür bin ich sehr dankbar." Damals während seiner ersten Auszeit am Milford Sound in Neuseeland verfasste er einen Plan: Sollte er einmal Schulleiter werden, solle seine Schule nicht streng hierarchisch organisiert werden, Schule solle partnerschaftlich gestaltet werden. "Solche Gedanken kommen, wenn es einem gut geht." Wie damals in Neuseeland hat er wieder ein Ideenbuch mit auf die Reise genommen. Das Fach Lebensart war auch einmal solch eine Idee, die ihm während der halbjährigen Pause gekommen war.
Als Lars-Olav Beier, 46, vergangenen Dienstag ins Büro kam, erwartete ihn ein großer Berg Post. Schließlich hatte der Spiegel-Redakteur drei Monate lang keine beruflichen Briefe mehr geöffnet. So lange dauerte sein Sabbatical, seine Verschnaufpause vom Redaktionsalltag. Doch er nutzte die Pause nicht für große Reisen oder zum Entspannen, sondern schrieb nach einem etwa dreiwöchigen Urlaub mit der Familie gut zwei Monate an einem Drehbuch. Ein Actionfilm, den nun ein Agent in Hollywood in die Kinos bringen will. "Ich wollte einfach nicht in 20 Jahren dasitzen und sagen: ,Hättest du das mal gemacht'", sagt Beier, der für das Kulturressort über Filme schreibt. "Und ich wusste, dieses Buch kann ich nur schreiben, wenn ich sieben Tage die Woche daran arbeiten kann."
Also ging er den üblichen Weg: direkter Vorgesetzter, Chefredaktion und schließlich eine Absprache mit den Kollegen über den konkreten Zeitraum. "Das war kein Kampf für mich, aber natürlich schlug mir auch keine Begeisterung entgegen", sagt Beier. Umso dankbarer sei er, dass ihm diese Möglichkeit gegeben wurde.
Und auch sein Arbeitgeber profitiert von Beiers Auszeit. "Die bekommen jetzt einen motivierten, energiegeladenen und ausgeglichenen Redakteur", sagt er. Außerdem kenne er jetzt das Filmgeschäft auch von innen und verfüge über viele neue Kontakte. "Ich freue mich aber auch, jetzt wieder völlig in meinen Job zurückzukehren", sagt Beier. Besonders auf die Kollegen. "Das Drehbuchschreiben kann ganz schön einsam machen." Im Büro wurde er am Dienstag freudig empfangen. "Die Kollegen waren sehr neugierig und wollten alles über das Drehbuch und das Sabbatical allgemein wissen." Missgunst habe es nicht gegeben. Nur eines war in den ersten Tagen nach der Rückkehr etwas anstrengend: "Diese ganzen Verwaltungssachen und Telefonate war ich nicht mehr so gewohnt." Aber das mochte er eh noch nie.
Wenn Christiane Lex-Asuagbor von ihrer Auszeit im afrikanischen Kamerun erzählt, lacht sie viel. Sie scheint immer noch davon begeistert zu sein, obwohl diese besonderen drei Monate zwei Jahre zurückliegen. Von April bis Juni 2009 hat die 47-Jährige ihre Arbeit als Oberregierungsrätin in der Innenbehörde ruhen lassen. Sie hatte ein Jahr lang ein Viertel ihres Gehalts gespart und sich Geld geliehen, um die Flüge nach Kamerun für sich und ihre Töchter Yolanda, 12, und Louisa, 6, die Impfungen und die laufenden Kosten in Hamburg zahlen zu können. Wie teuer die Auszeit war, das hat sie nie ausgerechnet. Die Verwaltungsjuristin, zuständig für Ausländerrecht, hatte das Bedürfnis, ihren Töchtern die Heimat und die Familie ihres Vaters zu zeigen.
Und sie hat großes Glück mit ihrem Chef: "Die Sabbatzeit war nicht schwer durchzusetzen", sagt sie. "Ich habe einen fantastischen Vorgesetzten, der das unterstützt." Ihr Chef hat dann auch die Vertretung während ihrer Auszeit übernommen.
Kurz bevor Tochter Yolanda in die fünfte Klasse wechselte, hatte ihre Mutter sie von der Schule beurlauben lassen. In Kamerun sind Yolanda und Louisa, damals neun und vier, in die dortige Schule gegangen. Gelebt haben Mutter und Töchter bei den für afrikanische Verhältnisse wohlhabenden Eltern ihres Mannes, der aus beruflichen Gründen nicht mitkommen konnte. Yolanda hatte in Hamburg extra noch einen Englischkurs besucht, damit sie in der dortigen dritten Klasse einigermaßen zurechtkommt. Auch wenn der Erziehungsstil in Kamerun sehr viel strenger und disziplinierter sei als in Deutschland, seien ihre Kinder gut zurechtgekommen. Louisa musste in der Vorschule bereits schreiben und rechnen. "Sie fand das toll." Die Mädchen seien stolz, dass sie die Schule dort durchgehalten hätten. "Sie wissen aber auch, dass sie das nicht noch einmal brauchen."
Ihre Kinder hätten viel aus dieser Zeit mitgenommen. "Durch diese drei Monate sind die Mädchen noch fester und sicherer in die Familie Asuagbor eingebunden worden. Sie fühlen mit ihrer Familie dort und nehmen regen Anteil, den sozialen Netzwerken sei Dank." Für Yolanda sei Kamerun eine Art Sehnsuchtsort geworden und sie möchte später mal eine Weile dort leben, um eine Schwimmschule zu eröffnen, sagt Frau Lex-Asuagbor.
Sie selbst habe in Kamerun "exzessiv" gelesen und Ketten gebastelt und verschenkt. "Ich habe die Seele baumeln lassen." Gegen Ende der drei Monate hat sie ein Gefühl erlebt, dass sie schon fast vergessen hatte: Langeweile.
Die Rückkehr in den Job, sagt sie noch, sei unspektakulär gewesen. "Es hat sich in der Auszeit ja nichts geändert. Ich mache das mit einer gewissen Routine."