Das Paar, es ist ebenso bekannt wie wenig fassbar: Rote-Flora-Besitzer Klausmartin Kretschmer hat Sopranistin Julia Wachsmann geheiratet.
Hamburg. Ihr Hochzeitskleid, ein verspielter Traum in Eierschale aus nachhaltigen Stoffen gearbeitet, die Kutsche ein Oldtimer, ein Citroën-Cabrio in Bordeaux. Pastor Frank Engelbrecht, der mit einem Rosé-Champagner anstößt. Tauben steigen vor der evangelisch-lutherischen Kirche St. Lucas in Fuhlsbüttel auf, als hier geheiratet wird. "Zum ersten Mal richtig", wird der Trauzeuge des Bräutigams später in seiner Festrede sagen. Denn Klausmartin Kretschmer gab zum dritten Mal das Jawort, seiner Verlobten Julia Wachsmann. Jedoch das erste Mal vor Gott.
Das Paar, es ist ebenso bekannt wie wenig fassbar. Er, der Kultur- und Immobilieninvestor, der mit seiner Roten Flora oft durch die Schlagzeilen geistert, aktuell nicht über die Zukunft des besetzten Hauses sprechen kann, will und soll. Sie, mit 31 Jahren, die gut 20 Jahre jüngere Sopranistin und Literaturwissenschaftlerin, die über das Thema "sakrale Räume" promoviert. Zwei, die ihr Anders-Sein gern und öffentlich zelebrieren, ihren Lebensstil nicht an bestehenden Konventionen orientieren. Zwei, die anscheinend aber dennoch nach acht Jahren Beziehung die sozial anerkannte Form des Zusammenlebens wählten. Die Ehe.
"Wir sind zwar Freigeister, brauchen aber eben doch die Institution", sagt die Hamburgerin, die nun Wachsmann-Kretschmer heißt. Wichtig sei für beide das christliche Ritual, denn sie bezeichnen sich als gläubig. "Wir denken, dass es eine andere Ebene gibt neben der irdischen, die in diese hineinwirkt", erklärt die blonde Sängerin, die ihre Karriere in der Staatsoper bei den Hamburger Alsterspatzen begann und nun oft für private Veranstaltungen gebucht wird oder in Filmen singt. Ihre Stimme war es auch, in die sich Kretschmer verliebte. "Wie von einem Engel", sagt er heute wie damals. Sie wird seine Muse, seine Partnerin. Beide verbindet der Drang nach Freiheit, obwohl sie nie in den Urlaub fahren. "Wir verreisen stark in unseren Wohnorten", sagt Kretschmer und deutet mit seinen Händen einen Kreis an. Er und seine Frau sitzen in einem dieser Wohnorte, "im Gegenstück zur HafenCity", dem Brandshof. Dem alten Industriegelände in Rothenburgsort, das von den Elbbrücken aus als südliches Eingangstor der Stadt gesehen werden kann. Hier feierten sie auch ihre Hochzeit. Und nur, wer das Paar nicht kennt, mag sich über Fenchelsorbet oder gefrorenes Meerrettichparfait im Hochzeitsmenü gewundert haben.
"HafenCity und OberhafenCity sind wie Alpha und Omega, es ist unglaublich wichtig, dass es diese Gegensätze in der Stadt gibt", sagt Kretschmer und zeigt eine Masterarbeit zu diesem Thema. Kretschmer besitzt hier eine Vielzahl von Gebäuden, wie viele genau, damit rückt er nicht heraus. Dazu kommen die Riverkasematten, Oberhafenkantine, Elbchaussee-Villen. Nicht irgendwelche Gebäude, sondern "Orte mit Geschichte", betont Kretschmer.
Deshalb auch sein Engagement für die OberhafenCity. Hier positioniert er sich als der Kulturinvestor, als welcher er sich versteht, nicht als der Immobilienspekulant, als welchen ihn andere wegen der Verkaufsabsichten der Roten Flora sehen. Es gibt diese beiden Seiten an Klausmartin Kretschmer, einmal den profitorientierten Kaufmann, dann denjenigen, der jungen Talenten für kein bis wenig Geld oder Gewinnbeteiligungen den Raum für Kunstprojekte gibt. Junge Designer organisieren in den halb verfallenen Gebäuden Fotoshootings, Newcomer-Filme entstehen, Künstler finden hier ein temporäres Zuhause. "Der Brandshof ist unser kleines gallisches Dorf, wir suchen uns die talentierten Leute mit Spirit aus, die hierherkommen", sagt Julia Wachsmann-Kretschmer, "hier kann alles passieren, Kulturen finden zusammen, und man hat die Chance, etwas gemeinsam zu erschaffen." Abseits des Kommerzes, der hier aber ebenso stattfindet. Um Geld zu verdienen, nimmt Kretschmer von etablierten Unternehmen, wie beispielsweise einer "Tatort"-Produktion, die Höchstsumme an Miete, um anderen den Raum für lau geben zu können. "Horrorstreifen mit 53 Morden in fünf Minuten kommen hier aber nicht infrage", so Kretschmer, "für uns ist die monatliche Kostendeckung wichtig."
Er sagt jetzt "wir" und "uns". Er hat eine ambitionierte Frau, die immer eine Meinung hat, die nicht immer seiner entspricht. Gut so. Kretschmer, der sich oft durch die halblangen Haare fährt und auf sein veraltetes Nokia-Handy schaut, braucht den ständigen Austausch: "Zu viel Ordnung erdrückt mich, das hat etwas von Begrenztheit, ich möchte immer viel verändern."
Sie schlägt die Beine übereinander, legt die gefalteten Hände über ihre Knie. "Klausmartin hat eben eine andere Form der Wahrnehmung", sagt sie und schaut auf ihren Mann neben sich, "jetzt leg doch bitte mal das Handy weg, Klausmartin, da kann ich mich echt nicht konzentrieren". Er murrt, hat er doch noch einen Anschlusstermin, will das erklären, doch sie unterbricht. "Diese Heirat war auch wichtig, weil mir klar war, dass er mit diesem Schritt den Fokus ändert, er braucht solche Riten, damit er zur Ruhe kommt", sagt sie. Bedeutet: weniger Spekulationen, keine neuen Immobilienkäufe. Dafür denken sie jetzt über Nachwuchs nach. Und Kretschmer möchte gern wieder mehr lesen, forschen, "mehr in die Muße hineinkommen". Der 53-Jährige stammt aus einer Recklinghausener Offiziersfamilie und berichtet gern darüber, wie er als Zwölfjähriger sein erstes Geld mit dem Vermieten von "Micky Maus"-Heften, Golfball-Einsammeln und Wertpapieren verdiente. Eine Versandbuchhandlung im Hinterhof versorgte ihn mit Wirtschaftsneuigkeiten. Er habe "gern gearbeitet, war sehr früh ein Halberwachsener, aber weiterhin kindlich-spielerisch", sagt Kretschmer im Rückblick. Doch gerade das Spielerische, das Zufällige, das Unerwartete, das will er sich erhalten. Bleibt deshalb unberechenbar. Die einen, sie lieben ihn dafür, andere weniger. Manche Abneigung äußert sich in Drohungen, Hackerangriffen auf sein E-Mail-Postfach. "Wir leben nicht in Angst", sagt er, "aber wir haben unsere Sicherheit in professionelle Hände gelegt." Von Furcht wollen sie sich nicht bestimmen lassen. Denn sie hat nichts mit Grenzenlosigkeit zu tun. Und diese verkörpert eben das Ehepaar Kretschmer-Wachsmann.