“Trau Dich! Zeig Dich! Out is in!“ - Unter diesem Motto feiern Tausende den 31. CSD in Hamburg. 40 Festtrucks nahmen an der Parade teil.

Hamburg. Knappe Glitzerkleider, hautenge Lederhosen und bunte Perücken: In schrillen Verkleidungen sind am Samstag 10 000 Menschen bei einer Parade zum Christopher Street Day (CSD) durch Hamburgs Straßen gezogen. Von Regenschauern ließen sie sich die Laune nicht verderben. „Kein Problem für mich, ich trage wasserfestes Make-Up“, sagte ein Travestie-Künstler im roten Mini-Kleid. 22 Trucks, mehrere Autos und Fußgruppen schlängelten sich durch die Innenstadt der Hansestadt.

Ob Kondome, Bonbons oder Feuerzeuge – alles flog in hohem Bogen durch die Luft in Richtung der etwa 90 000 Schaulustigen, die das ungewöhnliche Spektakel verfolgten. Laute Disco-Musik klang von jedem Wagen, viele Zuschauer am Straßenrand tanzten dazu. „Die Parade anzugucken, macht mir Spaß“, sagte der 18-jährige Kai. „Das ist mal was anderes.“ Vor ihm stand eine Familie mit zwei Kleinkindern. Die Augen waren groß, als der Umzug an ihnen vorbeizog. „Für die Kinder ist es wie Karneval“, erklärte die Mutter.

Überall glitzerte und funkelte es beim 31. Hamburger CSD. Trend-Farbe Nummer eins war ganz klar Pink. Getragen wurde, was gefällt: Flügel, Lack oder hochhackige Schuhe – wichtig war aufzufallen. Ein junger Mann stand in einem weißen Schwanenkostüm vor einem Truck und trank Sekt, ein anderer erinnerte eher an einen Vampir.

„Schwuler Papa“, „stolze Tochter“ stand auf den T-Shirts zweier Teilnehmer. Sie demonstrierten damit Toleranz – ganz im Sinne des diesjährigen Mottos: „Trau Dich! Zeig Dich! Out ist in“. Denn hinter all dem Glanz und Glamour steckte auch eine ernste Botschaft. „Die Besucher sollen dazu motiviert werden, sich zu ihrer sexuellen Identität zu bekennen“, sagte Lars Peter vom Verein Hamburg Pride, der den CSD jährlich organisiert. “Viele haben Angst davor, sich in der Öffentlichkeit zu outen.“

Der 44 Jahre alte Geschäftsmann Frank Burghardt aus Hamburg kann davon ein Lied singen. Erst im Alter von 27 habe er sich geoutet, erzählte er. Die Angst vor negativen Reaktionen, besonders am Arbeitsplatz, sei zu groß gewesen. „Es ist wichtig, dass jedes Jahr tausende Menschen beim CSD auf die Straße gehen und für ihre Rechte kämpfen.“ Viel habe sich getan in den vergangenen Jahrzehnten. „So schwer wie früher haben es Homosexuelle heute sicher nicht mehr.“

In der Mönckebergstraße stoppte der bunte Zug für eine Kundgebung. Gefordert wurden dieselben Rechte für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wie für heterosexuelle Ehen. Die schrille Parade von Homo-, Bi- und Transsexuellen geht zurück auf eine Auseinandersetzung zwischen Homosexuellen und der Polizei in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969.

(dpa/abendblatt.de)

CSD in Hamburg: "Die Heteros können ja nix dafür!"

Um Punkt 12 Uhr mittags startete die Christopher-Street-Day-Parade in der Langen Reihe. Zum 31. Mal. Öfter startete hier bisher nur die Fronleichnamsprozession der katholischen Kirche. Nicht weit entfernt ragen ja auch die beiden Türme des Mariendoms in die Höhe. Beide Welten vermischen sich in St. Georg wie selbstverständlich. Und in der Regel konfliktfrei.

Aber während entlang des Ballindamms und des Jungfernstiegs zahllose Hilfskräfte bei 26 schwülen Grad unter Hochdruck Bühnen, Infostände und Bierzelte für die erwarteten 300.000 Zuschauer errichten, Crèpes-, Würstchen- und Fischbrötchenbuden aufbauen; und während rund um die Binnenalster die Autofahrer fluchend einen weiteren veranstaltungsbedingten Verkehrsinfarkt aussitzen müssen, herrscht im Epizentrum des hanseatischen "Gay Villages" St. Georg eine bemerkenswerte Gelassenheit gegenüber der extrem bunten, kampfhaft fröhlichen Straßenparty, die in diesem Jahr unter dem Motto "Trau Dich! Zeig Dich! Out ist in" steht.

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Das ist ein Motto, das in Uelzen, Büsum oder Eutin sicherlich seine Berechtigung haben dürfte, aber nicht hier. Nicht mehr hier, um korrekt zu sein, seit vielen Jahren schon. In einer Weltstadt wie Hamburg, die ihre erste schwule Bürgermeisterphase bereits erfolgreich hinter sich hat, sowieso nicht - und in der Langen Reihe erst recht nicht. Wobei Petra Dasselaar, 38, Inhaberin der Kinderboutique Lütt'n Georg stolz davon erzählen kann, dass ihre beiden Jungs, drei und fünf Jahre alt, über ineinander verschlungene Männerhände in der Öffentlichkeit kein Wort mehr verlören. "Aber meine kleine Nichte aus München hat sich schon gewundert, und wir mussten ihr das mal ganz in Ruhe erklären!"

"Die Toleranz gegenüber Schwulen ist komplett vorhanden, an der rechtlichen Gleichstellung fehlt es noch", Dannis Radzuweit, Café Gnosa

Man muss lange suchen, um auf der Flaniermeile Lange Reihe irgendeines der klischeehaften Attribute schwulen urbanen Lebens zu entdecken (von den lässig über definierten Waschbrettbäuchen baumelnden Schultertaschen der vorbeischlendernden Männerpaare vielleicht abgesehen). Als da wären: ein recht lieblos gesprühter fliegender Penis im Eingang zum O2-Shop. Oder drei vergilbte Fotokopien von Männern in erotischen Posen, die in einem weinroten Ford Focus als Sonnenschutz für die Rücksitze dienen. Im Schaufenster der Männerboutique Scubs die Badehose in CSD-Regenbogenfarben für 59,95 Euro.

"Wie schwul ist die Lange Reihe?", fragte kürzlich ein NDR-3-Team. Antwort eines Anwohners: "Ich bin bekennender Heterosexueller und lebe auf der Langen Reihe: gern, häufig und gut. Punkt!" Was eine andere Passantin zu der Äußerung verleitete: "Hier leben auch ein paar Heteros - aber die können ja nix dafür."

Selbst die legendären Marzipanpenisse im Kuchen- und Tortenparadies Gnosa sind auf dem obersten Glasbord der Kühlvitrine aus dem Blickfeld geraten. Die süßen, rosafarbenen Dinger mit glasiertem Schokoschaft schocken niemanden mehr. Außerdem nimmt man inzwischen ganz selbstverständlich Rücksicht auf die Mütter mit Kindern, die im Gnosa selbstverständlich willkommen sind. Die legendäre Quiche mit oder ohne Speck oder die berühmte Birnen-Tarte schmeckt den Protagonisten aller sexuellen Vorlieben. Die Wandlung vom erklärten "Schwulen/Lesben-Café" in den 1990er-Jahren zum professionellen Gastronomiebetrieb für alle ist längst erfolgreich vollzogen.

Und zwar so erfolgreich, dass sich vor gut einem halben Jahr ein Leserbriefschreiber im schwulen Hamburger Stadtmagazin "Hinnerk" über die zunehmende Zahl der Gäste vom anderen Ufer, dem heterosexuellen nämlich, heftig beschwerte. Dieses verbale "Heten-Bashing" habe kurzfristig eine muntere Diskussion ausgelöst, aus der sie sich jedoch vornehm herausgehalten hätten, erinnert sich Dennis Radzuweit, 29, Schichtleiter im Gnosa. Zeitgemäß sei solch eine Debatte nicht: "Die Toleranz gegenüber Schwulen ist doch eigentlich komplett vorhanden", sagt er, "nur an der Akzeptanz und der rechtlichen Gleichstellung fehlt es noch immer." Dieses gesellschaftspolitische Thema sei noch nicht genügend beackert worden.

Vielleicht ist das ja der Grund, warum Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz nebst weiterer, hetero und homosexueller Politprominenz den diesjährigen Festumzug anführen will und wird.

Die CSD-Parade bewegt sich heute auf einem der teuersten Pflaster Hamburgs

Auch für Volker Wuttke, einen der Geschäftsführer des Buchladens Männerschwarm, wo es auch erotische Kalender und Hardcore-DVDs zu kaufen gibt - der Zutritt ist erst ab 18 Jahren erlaubt - ist St. Georg inzwischen ein Stadtteil, der den Prozess der sogenannten Gentrifizierung (oder auch Yuppisierung) so gut wie abgeschlossen hat - nicht zuletzt wegen der zumeist gebildeten und gut verdienenden Homosexuellen.

"Die junge Schwulengeneration muss nicht mehr für ihre Rechte kämpfen", sagt Wuttke. Noch in den 1990er-Jahren ging Hamburgs erster Aids-Pastor Rainer Jarchow - ein Pionier in der Kirche - hier in St. Georg in die Darkrooms, um der von vielen Todesfällen erschütterten Szene Beistand anzubieten. Offen geredet wurde darüber in der Öffentlichkeit noch nicht. Heute haben wir ein Anti-Diskriminierungsgesetz. Und heute ist der Umgang mit dem Virus schon wieder fahrlässiger geworden. In einigen extremen Kontaktbörsen für Schwule wird sogar der ungeschützte Sex propagiert.

St. Georg hat diese Geschichte erlebt. Der alte, heruntergekommene Stadtteil wurde dank niedriger Mieten von "Pionieren" entdeckt, zumeist von Studenten und der Subkultur. Das wertete das Quartier auf, gleichzeitig aber setzte sich ein nachhaltiger Verdrängungsprozess der alten Bevölkerung in Gang. Die Sanierung von Häusern und Wohnungen, das Entstehen von angesagten Szenekneipen, -bars und -restaurants trieb die Immobilienpreise und Mieten hoch. Die neue, wohlhabende Klientel setzte sich endgültig im Stadtviertel fest.

Diese Gentrifizierung habe einen ganz entscheidenden Nachteil, ärgert sich Wuttke. "Sie bedeutet mehr Gleichförmigkeit der Bewohner. Da muss man doch bloß mal in Richtung Schanze oder Ottensen gucken."

Fest steht: Die CSD-Parade bewegt sich auf einem der mittlerweile teuersten Straßenpflaster der Stadt. "Ich weiß, dass hier inzwischen Gewerbemieten von 80 bis 100 Euro pro Quadratmeter verlangt und auch bezahlt werden", erzählt Petra Dasselaar. Sie selber habe großes Glück gehabt mit ihrem Geschäft im Souterrain. Sie komme auch ganz gut zurecht mit ihren Kindermoden. Schließlich verfüge St. Georg nicht nur über die meisten Schwulenbars, sondern auch die meisten Kitas der Stadt, lächelt sie. (abendblatt.de)