Hunderttausende feierten den 15. Schlagermove. Es war grell, bunt - und ziemlich verregnet. Den Spaß ließen sich die Fans jedoch nicht verderben.
Hamburg. Jürgen Drews ärgert sich. Am Morgen war er noch der "König von Mallorca", da war die Welt noch in Ordnung, bei Sommerhitze auf der Baleareninsel. Jetzt, am Mittag, steht der Schlagerbarde auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg - bei Schietwetter. "Das geht mir tierisch auf die Nerven", schimpft er und zieht den Kopf ein. Um ihn herum hat sich eine Traube Neugieriger gebildet. Irgendwo blitzt ein Dekolleté hervor. Drews strahlt, zückt einen Stift und gibt ein Autogramm quer über den betreffenden Busen. Er blickt auf das Dekolleté und seufzt. Davon hätte der 66-Jährige heute gern mehrere gesehen. "Aber bei diesem Wetter ziehen sich die Frauen ja leider nicht so an, wie sie sollen."
Ein bisschen Spaß muss sein
Der Wagen von Jürgen Drews ist der erste, der sich um 15 Uhr vom Heiligengeistfeld in Richtung Elbe aufmacht. 44 weitere Trucks folgen, geschmückt mit Blumen und beladen mit tanzenden Menschen. Hoch auf dem siebten Wagen sitzt die größte Konkurrenz für Drews: Roberto Blanco.
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Unten an den Landungsbrücken ist es derweil voll geworden. Der Regen hat viele zögern lassen, aber jetzt sind sie da, Menschen in Blümchenkostümen, in neonfarbigen Shirts, in Schlaghosen, mit Pumuckl-Perücken. Der Regen wird stärker. Die Leute verstecken sich hinter bunten Sonnenbrillen und Hüten, tanzen aber weiter. Meike, 39, zum zwölften Mal beim Schlagermove dabei, trägt auf der Hose einen ganzen Kleingarten und in ihrer Hand einen Schirm, dessen Stoff sie in Streifen gerissen hat. Sie hält ihn über den Kopf, wird nass und lacht. "Der Spaß", sagt sie, "ist wichtiger, als trocken zu stehen."
Das erste Mal tat's noch weh, beim zweiten Mal nicht mehr so sehr
Stephan Rothe, 43, Speditionskaufmann, trägt Pink. Pink ist die Einstiegsfarbe in den Schlagermove, grell, aber doch nicht zu verrückt. Es ist Stephans erster Schlagermove in Verkleidung. "Geil!", schreit er, "einfach geil!" Vor drei Jahren sei er das erste Mal da gewesen, furchtbar habe er da die bunten Klamotten gefunden. Jetzt aber verstehe er, um was es gehe. Die Verkleidung ist die Eintrittskarte in die bunte Schlagerfamilie. "Jetzt wird man angesprochen und akzeptiert."
Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen
Das Schöne am Schlagermove ist ja, sagen die Fans, dass alle so offen sind und man sich ungeniert ansprechen kann. Hier ist man beim Du, hier fließt das Bier. Nirgendwo sonst kommt man sich so schnell so nah.
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"Der Henning will heute Mädels aufreißen", ruft Tim. Tim ist 22 und trägt Strohhut, Henning trägt Federboa und findet das gar nicht lustig. Er schielt zu den Fernsehkameras und protestiert: "Will ich ni-hicht! Wer ist denn letztes Jahr nackt durch die Menge gelaufen, du oder ich?" Tim schüttelt wissend den Kopf. "Der Henning will nur nicht zugeben, dass er hinter den Mädels her ist", sagt er. "Denn wenn das die Mädels hören, dann wollen sie ihn nicht. Deshalb tun wir also jetzt so, als wären wir bloß zum Feiern da und nicht auch zum Flirten."
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Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?
Oben auf der Reeperbahn fahren die Wagen inzwischen auf die Zielgerade ein. Die Zuschauer haben sich transparente Folien übergezogen und feiern beharrlich. "Verdammt, bin ich glücklich!" insistiert die Musik im Hintergrund. Nur Thorsten, 31, schaut unter triefender Perücke unleidig drein. Es ist sein erster Schlagermove, seine Freunde haben ihn überredet. Die Musik mag er nicht, das Wetter schon gar nicht. "Eigentlich bin ich viel zu jung oder viel zu alt dafür", mault er. Stephen aus Ahrensburg, 38, hat sich eine Afro-Perücke aufgezogen und ist in ein prilblumenbuntes Ganzkörperkostüm geschlüpft. "Die Mucke kann ich gar nicht ab", sagt auch er. Trotzdem ist er jedes Jahr wieder dabei, wenn er kann. "Allein wegen der Party. Die Leute sind einfach so lustig. Das ist, als ob man als Heterosexueller auf dem Christopher Street Day mitfeiert. Da hat man doch auch trotzdem Spaß!"
Der Teufel hat den Schnaps gemacht
Hanna, 24, steht in einem Büdchen und bereitet Caipirinhas zu. "Läuft doch!", sagt sie. Die Leute drängen sich unter dem Zelt, kleine Bäche Regenwasser platschen um sie herum zu Boden. "Wir hatten schon Angst wegen des Wetters", sagt Hanna, "aber je betrunkener die Leute sind, desto mehr trinken sie dann auch noch."
Am Stand nebenan lehnt ein Mann im grünen Anzug schwankend an der Theke und droht umzukippen. Neben ihm versucht eine Mittzwanzigerin, mit einem Strohhalm ihr Glas zu treffen. In den Abflussrinnen der Reeperbahn sammeln sich durchweichte Haarteile und Scherben. Von oben tropft es dicht.
Ich bin der König von Mallorca
Die Stimmung ist trotzdem gut. "Party pur!", schreien die durchnässten Gestalten. Männer in Elvis-Kostümen und Frauen in Engelkleidern tanzen in Reihen. Es ist inzwischen 17.30 Uhr, der Zug kommt ins Ziel. Robert Blanco lächelt, hält sich aber im Trockenen. Jürgen Drews gibt noch einmal alles. Der "König von Mallorca" macht das Beste aus dem Schietwetter. Er lehnt sich aus dem Wagen über die Menge, die nassen Haarsträhnen kleben ihm im Gesicht. "Danke, Hamburg!" schreit er. "Ich bin so froh, dass ich da war. Wir haben uns das Wetter schöngesoffen!"