Der ETV qualifizierte sich für den DFB-Pokal. Doch die Verteilung der Prämien sorgte im Verein für einen bundesweit einmaligen Streit.

Hamburg. Am Montagabend erreichten die Auseinandersetzungen ihren Tiefpunkt. 25 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 14 Jahren haben sich vor dem ETV-Gebäude an der Bundesstraße 96 versammelt, vor dem Eingang aufgereiht und rufen mit ihren hellen Stimmen "Fechner raus". Die meisten lachen, einige halten handbemalte Plakate mit derselben Botschaft hoch. Auf einem anderen steht "Pro 1. Herren". Ein älterer Mann, der die Szene beobachtet, wendet sich von dem Happening angewidert ab: "Das sind Verhältnisse wie in Nordkorea. Jetzt schicken sie die Kinder an die Front."

Frank Fechner, 48, ist Geschäftsführer und Vorsitzender des Eimsbütteler Turnverbandes (ETV). Seit einer Woche beschäftigt ihn nur noch ein Thema, das im Stadtteil, in Hamburg und ganz Fußball-Deutschland für Aufregung, bei vielen auch für Unverständnis sorgt: der Austritt der Fußball-Landesliga-Mannschaft aus dem Verein.

Der Streit hatte sich am größten Erfolg des jungen Teams entzündet. Mit einem 1:0-Sieg über Vorwärts/Wacker Billstedt hatten die Eimsbütteler am 1. Juni zum ersten Mal den Hamburger Oddset-Pokal gewonnen und sich damit für die erste Hauptrunde im DFB-Pokal qualifiziert. Dafür zahlt der Deutsche Fußball-Bund jedem Verein 100.000 Euro Fernsehgeld. Hinzu kommen Zuschauereinnahmen. Das ist wie ein Lotto-Gewinn für die Amateurklubs. Gegner der Eimsbütteler ist am 31. Juli Greuther Fürth, ein Zweitligaklub.

ETV-Vorstand und -Aufsichtsrat beschlossen, ihrer Fußball-Abteilung 55.000 Euro zur freien Verfügung zu geben, weitere 55.000 sollten in ein Fußball-Kunstrasen-Projekt am Lokstedter Steindamm gesteckt werden. Ein fairer Vorschlag, wie die Verantwortlichen bis heute meinen. Keiner der 30 für die erste Pokalhauptrunde qualifizierten Amateurklubs plant ähnlich hohe Ausschüttungen an seine Spieler.

Die Mannschaft lehnt diese Aufteilung ab. Sie wollte selbst bestimmen, wer von der Prämie in welcher Höhe profitiert, schließlich sei sie es gewesen, die dieses Geld erspielt habe, obwohl aus ihrer Sicht die Bedingungen im Verein alles andere als leistungsfördernd seien. Auch diesen Standpunkt darf man haben. Auf der Suche nach Kompromissen aber entfernten sich beide Seiten voneinander, bis hin zum momentanen Zustand der Sprachlosigkeit.

"Das ist Kinderkram. Das sind Amateure und bleiben Amateure - und genau so haben sie gehandelt", sagte jetzt sogar der ehemalige HSV-Nationalspieler Manfred Kaltz.

Am vergangenen Mittwoch, als die Mannschaft die Hoffnung auf eine für sie akzeptable Lösung verloren hatte, verkündeten Trainer und Team ihre Kündigung zum 30. Juni. Wer am Monatsende wirklich den Verein verlassen wird, ist offen. Der erste Spieler hat von diesem Schritt Abstand genommen, von 25 avisierten Austrittserklärungen sind bislang 17 eingetroffen. "Wir haben niemanden ausgeschlossen. Wer sich auf eine Rückkehr besinnt, ist herzlich willkommen", sagt Fechner. Auf der anderen Seite melden sich inzwischen täglich drei bis fünf Spieler aus allen Hamburger Ligen bei Aufsichtsrat Stefan Knauß, die in der nächsten Saison für den Pokalsieger spielen wollen.

Udo Rosenkranz, 67, ein promovierter Jurist, ist der Aufsichtsratsvorsitzende des ETV. Er spricht vom Fluch des großen Geldes, der über den Verein gekommen sei. Selbst im Supermarkt in Lokstedt sei er beim Einkaufen schon auf die Probleme angesprochen worden. Finanzvorstand Michael Frey, ein Unternehmensberater, musste sich am vergangenen Sonnabend bei einem Kindergartenfest den Fragen anderer Eltern stellen. "Täglich soll ich meinen Kollegen und unseren Kunden die derzeitige Situation im Verein erklären", sagt Frey. Dabei gäbe es viel Positives über den ETV zu erzählen. Mit 12.500 Mitgliedern ist der Klub der viergrößte Hamburgs hinter dem HSV (71.600), Sportspaß (58.000) und dem FC St. Pauli (13.500); wenn man den Begriff Sportverein im klassischen Sinne als Sporttreibende in einer Vereinsgemeinschaft definiert: sogar der größte.

Der ETV entwickelt sich dabei gegen den Hamburger Trend. In den vergangenen sechs Jahren stieg die Mitgliederzahl unter der Ägide Fechners um rund 3000. Der Verein gab sich und den 23 Abteilungen professionelle Strukturen, verkürzte Entscheidungswege, entlastete das Ehrenamt. Der Vorstand wird von einem siebenköpfigen Aufsichtsrat bestellt und kontrolliert. Die zehn Hallen an der Bundesstraße wurden für rund eine Million Euro energetisch saniert und modernisiert, 88 Fenster dabei erneuert, die umfangreichen Sportangebote auf die Zielgruppen zeitlich und inhaltlich neu ausgerichtet. Besonders von den 20- bis 40-Jährigen, die anderswo kaum noch in die Vereine finden, erhielt der ETV Zulauf. Die vor ein paar Jahren gegründete Kindersportschule (Kiss) für Vier- bis Zehnjährige kann wegen fehlender Hallenkapazitäten nicht mehr alle Interessenten aufnehmen - trotz doppelten Beitrages. "Der ETV hat sehr vieles richtig gemacht", sagt Günter Ploß, der Präsident des Hamburger Sportbundes.

Der ETV - 2010 mit einem Etat von rund vier Millionen Euro - versteht sich als Breitensportverein, der bereit ist, auch Leistungssport zu fördern. Die Softballerinnen um Bundestrainerin Claudia Effenberg wurden dreimal deutscher Meister, die Floorballer gewannen den nationalen Pokal, die Wasserballerinnen werfen seit Jahren in der Bundesliga. Für den Leistungssport wurde ein Fonds gegründet. Der wird aus den Überschüssen der Abteilungen jährlich mit 50.000 Euro gefüttert. "Leistungssport ja, aber kein Profisport. Wir bezahlen keine Sportler", sagt Fechner.

Genau hier beginnt das Missverständnis mit den Fußballern. Die sind in der Regel Aufwandsentschädigungen und Prämien gewohnt. Die erste Mannschaft des ETV spielt vor durchschnittlich 80 bis 100 Zuschauern in der Landesliga. Das ist die sechste Klasse. Dort erhalten viele Spieler bis zu 250 Euro monatlich. Beim ETV sind es 50 Euro. Für seine 230 Fußball-Herren hat der Klub seinen Grundsatz verletzt, dass sich jede Abteilung selbst tragen muss. In den vergangenen zehn Jahren machten die ETV-Fußballer 100.000 Euro Minus, 2010 waren es bei Einnahmen von 46.000 Euro 5500.

Das Verständnis für die Begehrlichkeiten der Mannschaft hält sich daher bei vielen im Verein in Grenzen. Der Tenor ist eindeutig: Sie sollen belohnt werden, aber der Klub muss auch in seine Infrastruktur investieren dürfen. Claudia Effenberg, die erfolgreiche Softballerin, sagt: "In unserer Mannschaft zahlt jede Spielerin im Jahr bis zu 1000 Euro dazu, damit wir Bundesliga spielen können. Die Fußballer sollen Geld bekommen, das haben sie sich verdient. Aber auch der Rest der Pokalprämie geht ihnen ja nicht verloren. Dafür erhalten sie in den nächsten Jahren einen neuen Kunstrasenplatz."