Gestern hatte der Streik der Lokführer die Pendler im Norden bereits hart getroffen. Aber der Abschluss sei nun in Sicht, so ein Insider.

Hamburg. Bahnkunden bleiben am Wochenende von Streiks verschont. Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte am Freitag an, bis einschließlich Dienstag werde auf weitere Arbeitskämpfe verzichtet. Die Arbeitgeber hätten bis dahin Zeit, ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen. In den Gesprächen mit vier privaten Güterbahnen gebe indes Fortschritte. „Der Abschluss ist in Sicht“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky. Die Deutsche Bahn und ihre privaten Konkurrenten im Personenverkehr sollten daher ihre Verweigerungshaltung überprüfen, forderte er. Der GDL-Bezirksvorsitzende von Berlin, Frank Nachtigall, zeigte sich weiter kampfbereit: „Wir sind bestrebt, die Eskalation zügig voranzutreiben“, sagte er. „Wir werden ohne lange zu warten die nächste Aktion planen.“ Diese werde dann länger dauern als sechs Stunden, sagte er der „Berliner Zeitung.“

BAHN: GDL SOLL SAGEN, WAS SIE KONKRET WILL

Die Deutsche Bahn reagierte erneut mit Unverständnis auf die GDL-Forderung nach einem neuen Angebot: „Wir wissen wirklich nicht, wie viele wir noch machen sollen“, sagte eine Sprecherin. „Wir verweigern uns nicht.“ Die DB habe die wesentlichen Forderungen erfüllt. „Die GDL soll erst einmal sagen, was sie konkret will und an den Verhandlungstisch zurückkehren.“

Am Donnerstag hatten die Lokführer mit dem vierten Streik in zwei Wochen den Personen- und Güterverkehr zu großen Teilen lahmgelegt. Zahlreiche Züge fielen aus oder kamen zu spät.

GDL-Chef Weselsky sagte, bei einem Abschluss mit den vier privaten Güterbahnen gebe es dann einen ersten Flächentarifvertrag im Schienengüterverkehr. Der Güterverkehr der DB allein aber beherrscht 75 Prozent des Marktes. Die GDL hat als Ziel höhere Löhne und einen Flächentarifvertrag für alle 26.000 Lokführer im Nah-, Fern- und Güterverkehr ausgegeben.

Die Deutsche Bahn hatte vor den letzten Streiks in einem Brief an die GDL erneut ihre Verhandlungsbereitschaft betont. Sie argumentiert, dass Löhne und Tarifbedingungen bei ihr ohnehin höher seien als bei den privaten Konkurrenten. In dem Schreiben bekundete sie ihre Bereitschaft, auch mit der GDL allein zunächst einen Tarifvertrag für alle Lokführer auszuhandeln. Die GDL müsste dann anschließend die privaten Konkurrenten mit ins Boot holen. Die großen sechs der privaten Personenverkehrsunternehmen hatten ihren Zusammenschluss aufgelöst und damit Gespräche über einen bundesweiten Flächentarifvertrag faktisch beendet. Die GDL müsste daher mit allen Unternehmen einzeln verhandeln.

Unter 0800/ 099 66 33 hat die Bahn eine kostenlose Servicenummer geschaltet. Informationen gibt es auch im Internet unter bahn.de/aktuell

abendblatt.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Streik:

Bekomme ich Geld für meine Fahrkarte zurück, wenn mein Zug wegen des Streiks ausfällt?

Die Deutsche Bahn muss kein Geld bei Streiks zurückerstatten, da Streik als höhere Gewalt gilt. Dennoch zeigt sich der Staatskonzern kulant und erstattet Fahrgästen, die ihre Reise wegen Verspätungen oder Zugausfällen nicht antreten können, ihre Kosten für die Fahrkarte plus Reservierung im Reisezentrum vor Ort. Alternativ können Reisende den nächsten Zug nutzen, auch wenn die Fahrkarte für diesen teurer wäre. Das gilt auch, wenn man eine Fahrkarte zum Spartarif gekauft hat und eigentlich an einen bestimmten Zug gebunden ist.

Wie viel Geld verdienen Lokführer?

Ein Lokführer bei der Deutschen Bahn startet mit einem Monatsverdienst von 2330 Euro brutto. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit steigt der Lohn auf 2768 Euro bei 12,5 Gehältern. Hinzu kommen monatlich im Schnitt 300 Euro Zulagen. Das jährliche Urlaubsgeld beträgt 409 Euro. Die Arbeitszeit liegt bei 39 Stunden, berichtet die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Bei den privaten Konkurrenten erhalten die Lokführer teilweise 30 Prozent weniger Geld - also knapp 1900 Euro. Damit verdienen Lokführer weniger als der Durchschnitt aller deutscher Arbeitnehmer, der laut Statistischem Bundesamt bei 3237 Euro liegt.

Worum geht es in dem Tarifkonflikt?

Die GDL will einheitliche Standards für alle 26 000 Lokführer im Nah-, Fern- und Güterverkehr durchsetzen, unabhängig davon, bei welchem Betreiber sie angestellt sind. Dafür verhandelt die GDL mit drei Arbeitgebergruppen: dem Staatskonzern Deutschen Bahn (DB), den sechs großen privaten Regionalbahnen (Abellio, Arriva, Benex, Hessische Landesbahn, Keolis und Veolia) - kurz G6 genannt - sowie einer Gruppe privater Güterbahnen. Die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und den G6 erklärte die GDL im Januar für gescheitert, nachdem beide Verhandlungspartner sich in einem Schlichtungsverfahren mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG auf einen branchenweiten Tarifvertrag verständigt hatten - und zwar für alle Bahnbeschäftigten. Die GDL, in der drei Viertel aller Lokführer organisiert sind, will diese Vereinbarungen aber nicht übernehmen, sondern kämpft für einen gesonderten Abschluss für die Lokführer mit weitergehenden Forderungen.

Was fordert die GDL konkret?

Die GDL fordert ein einheitliches Entgelt für alle Lokführer auf dem Niveau der Deutsche Bahn plus einer Lohnerhöhung von fünf Prozent. Alle Lokführer sollen beruflich abgesichert werden, sofern sie durch einen unverschuldeten Unfall - wie bei Suiziden - fahrdienstuntauglich werden. Erhält eine Bahnstrecke einen neuen Betreiber, sollen die Lokführer von dem neuen Arbeitgeber übernommen werden. Zudem besteht die GDL auf einheitlichen Qualifikationsstandards. So sollten Lokführer den Abschluss einer mittleren Reife besitzen.

Worauf bestehen die Arbeitgeber?

Die Deutsche Bahn bezeichnet die Warnstreiks der GDL als "Irrfahrt". Viele Forderungen habe der Staatskonzern bereits erfüllt, so DB-Personalvorstand Ulrich Weber. So biete die DB ein Lohnplus von drei und zwei Prozent in zwei Schritten an, die Fürsorgepflicht für Lokführer sei bereits umgesetzt, der Vorschlag zur Qualifizierung akzeptiert. Die Privatbahnen ihrerseits sehen die wesentlichen Forderungen der GDL durch den abgeschlossenen Branchentarifvertrag mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG "längst erfüllt". Die soziale Fürsorge für Lokführer bei Unfällen sei "gelebte Praxis", das Gehaltsniveau der DB könne jedoch nicht "eins zu eins" auf alle Unternehmen übertragen werden. Auch stemmen sich die Privatbahnen gegen die mittlere Reife als Zugangsvoraussetzung für Lokführer. Dies käme "einem faktischen Berufsverbot für Hauptschüler gleich". Sowohl die DB und die G6 sind zu weiteren Verhandlungen mit der GDL bereit.

Was passiert, wenn ich wegen des Streiks zu spät zur Arbeit komme?

Wer wegen des Streiks zu spät zur Arbeit kommt, muss die versäumte Zeit nacharbeiten oder aber eine Lohnkürzung hinnehmen. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (AZ: 5 AZR 283/80) fallen derartige Verspätungen unter das „Wegerisiko“, das weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber tragen müssen. Daraus folgt, dass Arbeitnehmer ausgefallene Arbeitszeit zwar nicht unbedingt nachholen müssen, der Arbeitgeber aber auch keinen Lohn für diese Zeiten zahlen muss. In vielen Arbeitsverträgen ist deshalb ausdrücklich geregelt, dass die infolge eines Wegerisikos verpasste Arbeitszeit nachgearbeitet oder über das Zeitarbeits- beziehungsweise Urlaubskonto ausgeglichen werden muss.

Auch wenn Arbeitnehmer für die Folgen einer Verspätung selbst aufkommen, ist der Hinweis auf bestreikte Bahnen keine Entschuldigung. Wenn die Verkehrsbehinderung vorhersehbar sei, müssten sich Arbeitnehmer auf längere Fahrtzeiten einstellen und entsprechend eher losfahren oder alternative Verkehrsmittel nutzen, so die Rechtsexperten der Industrie- und Handelskammern.