Der Streik der Lokführer hat die Pendler im Norden hart getroffen. Noch bis zum gestrigen Abend mussten Reisende mit Verspätungen rechnen.

Hamburg. Die Gewerkschaft der Lokführer hat eine positive Bilanz des heutigen Warnstreiks gezogen: „Allein in Norddeutschland haben sich mehr als 400 Lokführer am Streik beteiligt“, sagte der Vorsitzende des GDL-Bezirks Nord, Lutz Schreiber. "Der heutige Streik war mit Ausfallquoten um 95 Prozent noch deutlicher als die Male zuvor.“ Bei der Metronom-Bahn beteiligten sich 26 von 27 Lokführern am Streik.

Der Verkehr ist im Norden Deutschlands immer noch beeinträchtigt. Wie eine Sprecherin der Bahn abendblatt.de mitteilte, wird sich der Fernverkehr wahrscheinlich erst gegen Abend normalisieren.

Auf dem Hamburger Hauptbahnhof versammelten sich während des Streiks von 4 bis 10 Uhr rund 40 streikende Lokführer, um auf ihre Forderungen nach Einkommensverbesserungen und einem einheitlichen Tarifvertrag für die Lokführer aller Unternehmen aufmerksam zu machen. „Irgendwann muss der Arbeitgeber reagieren. Momentan ist unsere Enttäuschung groß. Wir erwarten, dass man wie erwachsene Menschen zusammenkommt“, sagte ein streikender Lokführer. Viele Reisende äußerten Verständnis, manche machten aber auch ihrer Empörung Luft.

Eine 24 Jahre alte Frau auf dem Weg nach Berlin sagte, vor dem Hintergrund der Internationalen Tourismusbörse werfe es ein schlechtes Licht auf Deutschland, dass ausgerechnet jetzt gestreikt werde. Birgit von Merkel wollte mit Mann und zwei Kindern nach Österreich reisen und zeigte Verständnis: „Die Informationen im Internet sind sehr gut. Wir konnten ohne Probleme heute Morgen noch einen Zug umbuchen. Ich sehe das eher wie ein Abenteuer.“ Gleich mehrere Züge verpasste eine 72-jährige Frau auf dem Weg von Hamburg nach Bützow in Mecklenburg-Vorpommern. Ungerechte Löhne seien nicht fair, daher habe sie Verständnis für die Interessen der Lokführer. „Trotzdem sieht man den Streik nun mit anderen Augen, denn vier Stunden am Bahnsteig sind nicht schön“, sagte die Frau.

Bei der Deutschen Bahn war besonders die Strecke zwischen Hamburg und Lübeck betroffen. Auf anderen Strecken des Nah- und Fernverkehrs in Hamburg und Schleswig-Holstein kam es nach Angaben des Unternehmens zu einzelnen Ausfällen oder Verspätungen. Die Hamburger S-Bahn bemühte sich, zumindest einen 20-Minuten-Takt aufrecht zu erhalten. Die Linien S2 und S11, eigentlich als zusätzliche Züge im Berufsverkehr gedacht, fielen komplett aus.

Auch zahlreiche Lokführer der Unternehmen Nord-Ostseebahn (NOB) und AKN Eisenbahn AG legten ihre Arbeit nieder. Bei der NOB waren nach eigenen Angaben die Strecken zwischen Kiel, Husum, Eckernförde und St. Peter-Ording betroffen. Auf der Strecke zwischen Hamburg und Westerland gab es keine Verspätungen oder Zugausfälle. Die AKN versuchte, den Streik bei den Linien A1, A2 und A3 mit Ersatz-Lokführern zu kompensieren. Bereits um zehn Uhr fuhren die Züge wieder planmäßig, sagte ein AKN-Sprecher. Besonders betroffen waren Metronom-Züge zwischen Göttingen und Hamburg. Ein GDL-Sprecher sprach von einer „Ausfallquote von hundert Prozent“.

Insgesamt warteten etliche tausend Passagiere an den Bahnhöfen vergebens. Schon in den vergangenen Wochen hatten drei Warnstreiks für Zugausfälle und Verspätungen gesorgt.

Der Streik im Güterverkehr hatte bereits am Mittwochabend begonnen. Hier legten bis zum Donnerstagmorgen laut Lutz Schreiber insgesamt rund 130 Lokführer ihre Arbeit nieder. Insgesamt blieben in Deutschland rund 240 Güterzüge liegen. Die Versorgung von Kraftwerken, Hochöfen und anderen zentralen Industrien wurde aber gewährleistet.

Am Montag hatte die GDL bekannt gegeben, dass mehr als 90 Prozent ihrer Mitglieder in einer Urabstimmung für einen unbefristeten Streik votierten. Die Gewerkschaft kämpft für einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Lokführer, bessere Absicherung bei Berufsunfähigkeit und höhere Gehälter.

Unter 0800/ 099 66 33 hat die Bahn eine kostenlose Servicenummer geschaltet. Informationen gibt es auch im Internet unter bahn.de/aktuell

abendblatt.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Streik:

Bekomme ich Geld für meine Fahrkarte zurück, wenn mein Zug wegen des Streiks ausfällt?

Die Deutsche Bahn muss kein Geld bei Streiks zurückerstatten, da Streik als höhere Gewalt gilt. Dennoch zeigt sich der Staatskonzern kulant und erstattet Fahrgästen, die ihre Reise wegen Verspätungen oder Zugausfällen nicht antreten können, ihre Kosten für die Fahrkarte plus Reservierung im Reisezentrum vor Ort. Alternativ können Reisende den nächsten Zug nutzen, auch wenn die Fahrkarte für diesen teurer wäre. Das gilt auch, wenn man eine Fahrkarte zum Spartarif gekauft hat und eigentlich an einen bestimmten Zug gebunden ist.

Wie viel Geld verdienen Lokführer?

Ein Lokführer bei der Deutschen Bahn startet mit einem Monatsverdienst von 2330 Euro brutto. Nach 15 Jahren Berufstätigkeit steigt der Lohn auf 2768 Euro bei 12,5 Gehältern. Hinzu kommen monatlich im Schnitt 300 Euro Zulagen. Das jährliche Urlaubsgeld beträgt 409 Euro. Die Arbeitszeit liegt bei 39 Stunden, berichtet die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Bei den privaten Konkurrenten erhalten die Lokführer teilweise 30 Prozent weniger Geld - also knapp 1900 Euro. Damit verdienen Lokführer weniger als der Durchschnitt aller deutscher Arbeitnehmer, der laut Statistischem Bundesamt bei 3237 Euro liegt.

Worum geht es in dem Tarifkonflikt?

Die GDL will einheitliche Standards für alle 26 000 Lokführer im Nah-, Fern- und Güterverkehr durchsetzen, unabhängig davon, bei welchem Betreiber sie angestellt sind. Dafür verhandelt die GDL mit drei Arbeitgebergruppen: dem Staatskonzern Deutschen Bahn (DB), den sechs großen privaten Regionalbahnen (Abellio, Arriva, Benex, Hessische Landesbahn, Keolis und Veolia) - kurz G6 genannt - sowie einer Gruppe privater Güterbahnen. Die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und den G6 erklärte die GDL im Januar für gescheitert, nachdem beide Verhandlungspartner sich in einem Schlichtungsverfahren mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG auf einen branchenweiten Tarifvertrag verständigt hatten - und zwar für alle Bahnbeschäftigten. Die GDL, in der drei Viertel aller Lokführer organisiert sind, will diese Vereinbarungen aber nicht übernehmen, sondern kämpft für einen gesonderten Abschluss für die Lokführer mit weitergehenden Forderungen.

Was fordert die GDL konkret?

Die GDL fordert ein einheitliches Entgelt für alle Lokführer auf dem Niveau der Deutsche Bahn plus einer Lohnerhöhung von fünf Prozent. Alle Lokführer sollen beruflich abgesichert werden, sofern sie durch einen unverschuldeten Unfall - wie bei Suiziden - fahrdienstuntauglich werden. Erhält eine Bahnstrecke einen neuen Betreiber, sollen die Lokführer von dem neuen Arbeitgeber übernommen werden. Zudem besteht die GDL auf einheitlichen Qualifikationsstandards. So sollten Lokführer den Abschluss einer mittleren Reife besitzen.

Worauf bestehen die Arbeitgeber?

Die Deutsche Bahn bezeichnet die Warnstreiks der GDL als "Irrfahrt". Viele Forderungen habe der Staatskonzern bereits erfüllt, so DB-Personalvorstand Ulrich Weber. So biete die DB ein Lohnplus von drei und zwei Prozent in zwei Schritten an, die Fürsorgepflicht für Lokführer sei bereits umgesetzt, der Vorschlag zur Qualifizierung akzeptiert. Die Privatbahnen ihrerseits sehen die wesentlichen Forderungen der GDL durch den abgeschlossenen Branchentarifvertrag mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG "längst erfüllt". Die soziale Fürsorge für Lokführer bei Unfällen sei "gelebte Praxis", das Gehaltsniveau der DB könne jedoch nicht "eins zu eins" auf alle Unternehmen übertragen werden. Auch stemmen sich die Privatbahnen gegen die mittlere Reife als Zugangsvoraussetzung für Lokführer. Dies käme "einem faktischen Berufsverbot für Hauptschüler gleich". Sowohl die DB und die G6 sind zu weiteren Verhandlungen mit der GDL bereit.

Was passiert, wenn ich wegen des Streiks zu spät zur Arbeit komme?

Wer wegen des Streiks zu spät zur Arbeit kommt, muss die versäumte Zeit nacharbeiten oder aber eine Lohnkürzung hinnehmen. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (AZ: 5 AZR 283/80) fallen derartige Verspätungen unter das „Wegerisiko“, das weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber tragen müssen. Daraus folgt, dass Arbeitnehmer ausgefallene Arbeitszeit zwar nicht unbedingt nachholen müssen, der Arbeitgeber aber auch keinen Lohn für diese Zeiten zahlen muss. In vielen Arbeitsverträgen ist deshalb ausdrücklich geregelt, dass die infolge eines Wegerisikos verpasste Arbeitszeit nachgearbeitet oder über das Zeitarbeits- beziehungsweise Urlaubskonto ausgeglichen werden muss.

Auch wenn Arbeitnehmer für die Folgen einer Verspätung selbst aufkommen, ist der Hinweis auf bestreikte Bahnen keine Entschuldigung. Wenn die Verkehrsbehinderung vorhersehbar sei, müssten sich Arbeitnehmer auf längere Fahrtzeiten einstellen und entsprechend eher losfahren oder alternative Verkehrsmittel nutzen, so die Rechtsexperten der Industrie- und Handelskammern.