Aber noch scheint das Regime Mubarak Ägypten im Griff zu haben.

Der deutsche Bildungsbürger erschauert bei dem Wort Ägypten ehrfürchtig und denkt an 5000 Jahre Hochkultur, an Pyramiden, Ramses, Kleopatra und Tutanchamun. Der etwas anders strukturierte Sonnenanbeter denkt an Hurghada, das Rote Meer und Getränke mit Schirmchen. An Armut, Repression, Folter und Islamismus denken die wenigsten.

Doch das sind die Elemente, die der sozialpolitischen Zeitbombe Ägypten ihre Brisanz verleihen. Um das Jahr 1900 herum hatte das Land am Nil rund zwölf Millionen Einwohner - nicht viel mehr als in antiken Zeiten. Heute dürften es mindestens 84 Millionen sein, Tendenz explodierend. Die Arbeitslosigkeit vor allem auf dem Lande ist horrend hoch, die Jugend in weiten Teilen ohne Perspektive.

Präsident Husni Mubarak, ein moderner Pharao, beherrscht das Land mithilfe von Militär, Geheimdienst und Notstandsgesetzen seit drei Jahrzehnten. Die westlichen Staaten, namentlich die USA, tun sich schwer, den Autokraten und sein pseudodemokratisches Regime massiv zu attackieren. Aus gutem Grund: Da Mubarak jede demokratische Opposition systematisch zertrümmert hat, besteht die einzige organisierte Alternative zu seiner Regierung derzeit in den Islamisten. Man vergesse nicht, dass die mächtige ägyptische Muslimbruderschaft die Mutter aller radikalislamischen Bewegungen im Nahen Osten war. Der Umstand, dass Ägypten als stärkste arabische Militärmacht im Frieden mit Israel lebt, ist ein wesentlicher Stabilisierungsfaktor in der Region. Nachdem schon im Libanon eine Marionette der Hisbollah an die Macht gelangt ist, könnte ein Sturz Mubaraks den Staat Israel in eine gefährliche Sandwich-Lage bringen - mit unabsehbaren Konsequenzen.

Der Funke aus Tunesien ist übergesprungen. Doch Kairo ist nicht Tunis; das System Mubarak ist weitaus tiefer verankert, als es das des verjagten tunesischen Autokraten Ben Ali je war. Mit ein paar Demonstrationen zumeist jugendlicher Facebook-Nutzer wird es noch nicht entwurzelt werden können. Noch hat das Regime das Land unter Kontrolle. Doch die Zeit des offenbar krebskranken, fast 83-jährigen Ex-Generals Mubarak läuft ohnehin ab. Ob sein Sohn Gamal tatsächlich bereitsteht, um den Vater zu beerben, ist umstritten - und auch fraglich. Politiker und Militärs des Regimes in Kairo werden sich angesichts der Unruhen sehr sorgsam überlegen, ob sie die Volkswut mit einer dynastischen Lösung weiter anfachen wollen.