Prof. Bernd-R. Sonnen, 70, Kriminologe und Rechtswissenschaftler aus Hamburg

1. Hamburger Abendblatt:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland erneut wegen der Sicherungsverwahrung gerügt. Müssen Schwerverbrecher ihre Rechte in Deutschland an der Zellentür abgeben?

Prof. Bernd-Rüdeger Sonnen:

Ganz so ist es nicht. Die Entscheidung liegt auf der Linie der dort bisher vertretenen Meinung. Deutschland hat darauf bereits reagiert. Am 8. Februar wird das Bundesverfassungsgericht zum Thema tagen.

2. Hamburg prüft die Unterbringung Ex-Sicherungsverwahrter in der Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses. Ist das Haft mit anderen Mitteln?

Sonnen:

Letztlich schon. Aber es wäre konform mit dem Richterspruch aus Straßburg. Denn es hätte formal nichts mehr mit Strafhaft und Vollzug zu tun, sondern mit medizinischen Erfordernissen.

3. In naher Zukunft werden weitere Sicherungsverwahrte entlassen. Kommen derartige Überlegungen nicht viel zu spät?

Sonnen:

Diese Fragen werden durchaus in Deutschland schon länger erörtert. Die Probleme sind bekannt, aber noch lange nicht gelöst. Wirklich schwierig wird es, wenn Ex-Häftlinge auf ihre Entlassung nicht vorbereitet werden können. Die Zahl der betroffenen Personen ist aber überschaubar klein.

4. In der Bevölkerung hat sich eine massive Angst vor diesen Menschen breitgemacht. Wie kann man der begegnen?

Sonnen:

Da werden Schreckgespenster an die Wand gemalt. Die Gefährdungsrisiken werden oft als zu hoch dargestellt. Die Betreffenden sind meist Dutzende Jahre in Haft und Unterbringung gewesen. In den allermeisten Fällen wird sich an ihrer Persönlichkeit viel geändert haben. Zudem gibt es ja gerade auch bei Sexualstraftätern oft eine dem Alter geschuldete biologische Unwahrscheinlichkeit, dass sie noch mal in alte Verhaltensmuster zurückfallen.

5. Müssen wir mit weiteren Vorschriften aus Straßburg rechnen, die den Umgang mit Sicherungsverwahrten betreffen?

Sonnen:

Das kommt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes an. Im Gegensatz zu Straßburg sehen die Karlsruher Richter sehr wohl einen Unterschied zwischen Haft und dem Festhalten eines Ex-Gefangenen wegen dessen prognostizierter Gefährlichkeit.