Silke Schwartau, 53, leitet die Ernährungsabteilung der Verbraucherzentrale Hamburg.
Hamburger Abendblatt:
1. Für wie ernst halten Sie den Skandal um dioxinbelastete Eier, Schweine- und Putenfleisch?
Silke Schwartau:
Wir erleben den größten Lebensmittelskandal in Deutschland seit der BSE-Krise in den 90er-Jahren. Der Fall ist ein Rückschlag für das Vertrauen der Verbraucher.
2. Sind die Dioxin-Eier nur die Spitze des Eisbergs?
Schwartau:
Das befürchte ich, ja. Alle Skandale der vergangenen Jahre wurden durch verunreinigte Futtermittel verursacht. Da wird vermutlich alles Mögliche hineingepanscht. Ein undurchschaubarer Markt.
3. Der Verbandschef der Lebensmittelkontrolleure fordert 1500 neue Prüfer, um die bundesweit 2500 staatlichen Kontrolleure zu verstärken. Wäre das Problem damit gelöst?
Schwartau:
Mehr Prüfer wären sicher nicht verkehrt, um jeden der 1,1 Millionen lebensmittelverarbeitenden Betriebe mindestens einmal im Jahr zu kontrollieren. Das ist bei Weitem nicht der Fall. In manchen Regionen steht laut Kontrolleursverband nur ein Mitarbeiter für 1200 Firmen zur Verfügung. Das größere Problem ist strukturell: Lebensmittelkontrollen sind eine schwierige Gemengelage. Mal sind sie von Bundesländern organisiert, mal von Kommunen, ohne einheitliche Richtlinien. Selbst die Hamburger Bezirke arbeiten unterschiedlich effektiv.
4. Warum ist das ein Problem?
Schwartau:
Die Futtermittel mafia ist offenbar so stark, dass mit den bisherigen Mitteln nicht dagegen anzukommen ist. Das föderalistische System hat sich bei der Lebensmittelkontrolle überlebt. Das zeigt sich auch darin, dass das nationale Warnsystem viel zu spät angesprungen ist. Zudem ist es schwierig, wenn regionale Behörden Firmen überwachen sollen, die für sie wichtige Steuerzahler sind. Dass erst zwei Bundesländer die Codes von belasteten Eiern veröffentlichten, zeigt, wie dringend klare, allgemeingültige Ansagen fehlen. Jetzt muss rigoros durchgegriffen werden.
5. Wie könnte das aussehen?
Schwartau:
Erst mal sollte gesetzlich geregelt werden, dass Futtermittelkontrollen in kürzeren Abständen Pflicht werden. Optimal wäre eine Taskforce von unabhängigen Kontrolleuren, die beim Bundesministerium für Verbraucherschutz angesiedelt ist und den starken Willen mitbringt, solche kriminellen Machenschaften aufzudecken.