Sechs Jahre Haft für den 16-jährigen Elias, der im Bahnhof Jungfernstieg einen Schüler tötete. Opferschützer zufrieden mit dem Urteil.
Neustadt. 90 Minuten hat die Jugendkammer hinter verschlossenen Türen getagt. Dann endlich tritt Oliver Tolmein vor die Kameras und Mikrofone. Der Anwalt vertritt die Nebenkläger, die Familie des jungen Mannes, den ein noch jüngerer Mann im S-Bahnhof Jungfernstieg erstochen hatte. Gerade hat das Landgericht das Urteil verkündet, und Tolmein wirkt zufrieden: "In dem Urteil", sagt er, "kommt zum Ausdruck, dass auch der erzieherische Gedanke des Jugendstrafrechts zur Folge haben kann, dass harte Urteile ausgesprochen werden können."
Ein hartes Urteil für den Messerstecher Elias A.? Sechs Jahre Haft für einen, der mit seinen 16 Jahren fast noch ein Kind ist - das sei schon "sehr, sehr viel", sagt Kristina Erichsen-Kruse vom Opferverband Weisser Ring. Das Gericht hat Elias A. wegen Totschlags verurteilt. Weil er grundlos, aber mit "bedingtem Tötungsvorsatz" den nur drei Jahre älteren Schüler Mel D. umbrachte. Es ist eine Strafe, mit der der Weisse Ring in dieser Höhe nicht gerechnet hatte. "Es ist ein für die Familie akzeptabler Schuldspruch, endlich kann sie zur Ruhe kommen", sagt Erichsen-Kruse.
Während der Verhandlung erfuhren die Hinterbliebenen grausige Details der Bluttat. Es passierte am 14. Mai: Elias A. zieht mit vier Freunden durch den Bahnhof Jungfernstieg, am S-Bahnsteig trifft die Gruppe auf Mel D., 19, und seinen Freund Beny, 17. "Was guckst du?!", blafft Elias A. Ein Wort ergibt das nächste, die Situation gerät außer Kontrolle. Tritte, Schläge, dann zückt Elias A. ein Messer und sticht zu. Zehn Zentimeter tief dringt die Klinge in den Körper von Mel D. ein, verletzt Herz und Lunge. Von seinen Peinigern gehetzt, schleppt er sich eine Treppe hinunter auf den Bahnsteig der U 2. Erst als Mitarbeiter der Hochbahn-Wache aufkreuzen, flüchten sie. Für Mel D. kommt jede Hilfe zu spät: Er verblutet noch auf dem Bahnsteig.
Die Tat - so brutal und sinnlos, der Täter so jung - erschüttert Hamburg, vor allem, als weitere Details über Elias A. bekannt werden: Dass er seit August 2009 als Intensivtäter im Fokus der Polizei steht, dass er einem Lehrer den Kiefer gebrochen und einen Supermarktangestellten verprügelt haben soll. Dass seine Strafakte bei der Staatsanwaltschaft zwar rund 20 Einträge umfasst, er aber lediglich zu fünf Arbeitsauflagen verurteilt wurde. Elias A. gehört zu den rund 100 Jugendlichen, auf die das "Protäkt"-Konzept abzielt: Strafen sollen auf dem Fuß folgen, die Behörden Maßnahmen einleiten, die verhindern, dass Schläger wie er der Gesellschaft weiter entgleiten.
Doch es läuft einiges schief: Ein Anti-Aggressionstraining wird nur angeboten, aber nicht angeordnet. Erst im März 2010 befasst sich eine "Fallkonferenz" mit Elias. Zwei Monate später sticht er Mel D. nieder.
Ausdruckslos habe der Messerstecher vom Jungfernstieg das Urteil aufgenommen. Im Zentrum der Verhandlung stand die Frage, ob Elias A. den drei Jahre älteren Schüler wirklich töten wollte. Der 16-Jährige hatte das vor Gericht bestritten, er habe doch nur den linken Oberarm von Mel D. treffen wollen. Zumindest einen bedingten Tötungsvorsatz bejahte indes die Kammer: Elias A. habe den Tod von Mel D. billigend in Kauf genommen. Eine Tat, die die Vorsitzende Richterin als "vollkommen grundlos" bezeichnete. Dass der Junge während der Verhandlung Reue und Einsicht zeigte, wertete die Kammer zu seinen Gunsten. Die erzieherisch nötige Jugendstrafe biete ihm die "Chance zu einem Wendepunkt".
So sieht das auch Rechtsanwalt Oliver Tolmein. "Die Gesellschaft hat sich einiges auferlegt, sie muss den Vollzug so realisieren, dass die Strafe auch einen erzieherischen Nutzen hat." Opferschützerin Erichsen-Kruse ergänzt: "Ich glaube, dass Elias kein dummer Junge ist und versuchen wird, noch etwas aus seinem Leben zu machen."
Wortlos geht ein mit dem Ausgang des Verfahrens sichtlich unzufriedener Uwe Maeffert an ihnen vorbei. Der Hamburger Verteidiger hatte beantragt, seinen Mandanten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen. "Ich halte das Urteil für völlig falsch. Die Annahme eines Totschlags ist nicht überzeugend begründet, deshalb werden wir in Revision gehen."
Er hoffe, dass die Revisionsverhandlung nicht in Hamburg geführt werde. Denn nach jüngsten Presseberichten über die vermeintlich zu milde Sanktionspraxis der Hamburger Richter habe sich womöglich auch diese Kammer genötigt gefühlt, ein besonders hartes Urteil zu fällen. Maeffert: "Ich denke, dass es die Richter in dieser Stadt schwer haben, ihre Unabhängigkeit zu wahren."